Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet

WindMichael Lüders
C. H. Beck
175 Seiten
ISBN: 978-3-40667-749-6
€ 14,95

Dass „der Westen“ auf unrühmliche Weise zum derzeitigen Chaos im Nahen und Mittleren Osten beigetragen hat, wenn nicht hauptschuldig daran ist, war mir ja schon lange klar. Doch wie die Ereignisse sich nun genau entwickelt haben, welche Akteure wann, wie und warum ins Geschehen eingegriffen haben und wie die einzelnen ethnischen Zahnräder dort historisch ineinandergreifen – hmm. Mich jedenfalls trieb mein Unwissen in diesem Bereich zu dieser kleinen Fibel der westlichen Nahostpolitik, geschrieben von einem Mann, der es wissen muss: Michael Lüders, langjähriger Nahostkorrespondent der Wochenzeitschrift Die Zeit mit entsprechender Erfahrung vor Ort.

Und seine Expertise lässt sich nicht verhehlen: Das gerade einmal 175 Seiten schmale Werk strotzt nur so vor Fakten, Ereignissen und Hintergründen, die schlecht in drei Absätzen zusammenzufassen sind. Zu verworren sind die Geschicke der einzelnen Clans, religiösen Gruppen und Sekten mit ihren divergierenden Zielen, die dann noch regelmäßig von westlichen Industrienationen, NGOs und Unternehmen nach strategischem Gustus befeuert werden.

Ich will Ihnen die Geschichte des Irak nach Hussein exemplarisch aufführen, damit Sie einen Eindruck gewinnen. Die Sanktionspolitik gegen den Irak hatte ja im Grunde schon vor dem Krieg genug Schaden angerichtet – der Analphabetismus war in die Höhe geschnellt, ein gutes, funktionierendes Gesundheitssystem am Boden, die Kindersterblichkeit von einer der niedrigsten zu einer der höchsten der Welt angewachsen und es gab geschätzt eine Million Tote. Nur durch die Sanktionen, wohlgemerkt. Als man Hussein (ob es der echte war oder nicht, spielt für die Argumentation keine Rolle) dann aber medienwirksam aus seinem Erdloch geholt und hingerichtet hatte und das Land wieder aus den Schlagzeilen geriet, wurde das Chaos perfekt gemacht. Die USA setzten den „Zivilverwalter“ Paul Bremer ein, der auf Teufel komm raus zu privatisieren begann und einen neoliberalen Modellstaat schaffen wollte, ohne dabei Recht und Ordnung wiederherzustellen. Was nichts anderes heißt, als dass der Staatsbesitz unter den Hammer kam und die alten Wunden wieder aufgerissen wurden. Unter Hussein nämlich hatten die Sunniten und Schiiten noch friedlich koexistiert, nun aber begann von Neuem ein Kampf um die Vorherrschaft im Staat. Bremer befeuerte das Ganze, indem er nicht von „Irakern“ sprach, sondern von Schiiten, Sunniten und Kurden – und zugleich die sunnitische Baath-Partei verbot, die unter Hussein an der Macht gewesen war. Damit wurden auch die meisten Mitglieder der irakischen Armee zu Illegalen. Und da zudem der neue Präsident al-Maliki seine Macht unter anderem dazu nutzte, sich am vorhergehenden Regime zu rächen, blieb der alten Garde nichts anderes übrig, als sich in den Untergrund zu begeben – was sie zu perfekten Rekruten für den angehenden IS machte, wo sie bis heute in den Führungsriegen zu finden sind.

Gut, vielleicht war Ihnen das schon bekannt; aber in dem Stil reitet Lüders durch so ziemlich jedes Land im Nahen und Mittleren Osten, nennt die beteiligten Akteure, politischen Intrigen und zeichnet die historischen Zusammenhänge nach. Die Geschichte und Motive des Islamischen Staats und der al-Qaida sind genauso dabei wie das traurige Schicksal der ägyptischen Revolution; der Unterschied zwischen Wahhabiten und Alawiten sowie deren Konflikt wird ebenso geklärt wie die Frage, warum das, was in Libyen und Tunesien – naja, sagen wir, „funktioniert hat“, in Syrien eben nicht klappen kann. Und am Ende hagelt es noch auf einigen Seiten bissige Kritik an Israel, an dessen Gebaren Lüders kein gutes Haar lässt.

Bei fast allem aber – siehe den Titel desBuchs –hatte von Anfang an der „Westen“ seine Finger im Spiel, vor allem in Gestalt der alten Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien sowie den USA. Das jetzt im Detail zu wissen, ist erhellend, aber auch reichlich ernüchternd: Denn natürlich stellt sich mir die Frage, wie dieses Knäuel aus Ölgier, Religionsfanatismus, Clanherrschaft und Geostrategie jemals wieder entwirrt werden soll. Am liebsten möchte man alle Drahtzieher am Schlafittchen packen, kräftig durchschütteln und ins Kinderzimmer zurückschicken, damit sie wieder mit Zinnsoldaten spielen. Damit wäre der Welt wohl am meisten gedient.

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