In „Verzockte Freiheit“, das in der Erstauflage schon 2014 erschienen ist, analysiert er die Finanz-, Banken- und Eurokrise von 2008. Als langjähriger Berater der Finanzindustrie im Bereich Risikomanagement weiß er, wovon er spricht, und kann die Handlungsmotive von Politik, Banken, Ratingagenturen und Derivatehändlern nachvollziehbar erklären. Er klopft die Interessen und Ziele – vom Erhalt des eigenen Ansehens über Profilierung bis hin zu Gewinnmaximierung und blanker Gier – aller Marktteilnehmer ab. Das ist ein Lehrstück, wie menschliche Schwächen und systemische Abhängigkeiten zu Disbalance und irgendwann zur Katastrophe führen. Wer sich für Risikomanagement, Ökonomie allgemein und/oder Soziologie interessiert, der wird mit Sicherheit mehr als ein Aha-Erlebnis haben. Ist das freie Spiel der Marktkräfte die Lösung – oder das Eingreifen des Staates und der Politik? Auch diese Frage wird am konkreten Beispiel analysiert, und der Untertitel des Buchs gibt ja einen Vorgeschmack auf seine Ergebnisse.
Kralls Lösungsansätze für die im Grunde immer noch nicht beigelegte Finanzkrise in Europa haben mich etwas ratlos zurückgelassen. Über die unterschiedlichen währungspolitischen Ausrichtungen der Nordländer und des „Club Mediterranée“ ist viel diskutiert worden. Es sind zwei grundlegend verschiedene Konzeptionen, die in einem Währungsraum nicht kompatibel sind. Wie er sie aber dennoch unter einen Hut bringen will, hat sich mir nicht wirklich erschlossen.
Angenommen, Ehepartner leihen sich untereinander Geld. Unproblematisch ist das genau so lange, bis es zu einer Scheidung kommt. Die TARGET2-Salden könnten im Fall eines Auseinanderbrechens des Euros zu genau dieser Situation führen, dass Deutschland auf den gesammelten Schulden sitzen bleibt, die es im schlechtesten Fall in den Abgrund reißen. Das bietet eine Menge „Verhandlungs-“, das heißt Droh- und Erpressungspotenzial für alle Länder, die das wissen; ein Geheimnis ist es nicht wirklich. Deutschland hat ökonomisch voll auf die EU gewettet, daher müssen die Durchhalteparolen der Kanzlerin niemanden wundern – sie hat gar keine andere Wahl.
Es ist derzeit einfach noch preiswerter, die EU zu retten als sie untergehen zu lassen, das macht Markus Krall klar. Seine Argumente für die EU erinnern vielleicht auch deshalb mehr an eine PR-Aktion aus Brüssel als an tiefe innere Überzeugung.
Gewünscht hätte ich mir in einer Neuauflage sechs Jahre nach der Erstausgabe wenigstens ein Nachwort, in dem Markus Krall seine heutige Sicht auf die seitdem nicht wirklich verbesserte Lage an den Finanzmärkten darlegt. Die müssen Sie sich wohl selbst aus dem Weltnetz fischen.
Markus Krall
FinanzBuch Verlag München
197 Seiten
ISBN 978-3-959723-33-6
€ 17,99
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