Der Schädel im Schöpfungsmythos der Maya
Dass die Schädel im Kernland des Maya-Königreichs gefunden wurden, ist ein Beweis, der mit den wenigen Fakten, die wir über ihre Herkunft besitzen, übereinstimmt. Der Maya-Schädel und der Amethyst-Schädel wurden angeblich im frühen 20. Jahrhundert in Guatemala gefunden. Der Amethyst-Schädel besteht aus violettem Kristall, der Maya-Schädel aus weißem, aber sie haben in anderer Hinsicht vieles gemein. Beide wurden, wie der Mitchell-Hedges-Schädel, bei Hewlett-Packard untersucht und auch bei ihnen stellte man fest, dass sie gegen die Kristallachsen geschliffen worden waren – eine bemerkenswerte handwerkliche Leistung, denn ständig droht die Gefahr, dass der Kristall während des Arbeitsprozesses bricht oder zersplittert.
Etwas konkreter ist dagegen Nick Nocerinos Behauptung, dass er 1949 während seiner Reise durch Mexiko einen Schamanen getroffen habe. Der Schamane habe ihn zu einem Maya-Priester geführt, der ihm erklärte, dass er die Kristallschädel verkaufen dürfe, weil das Dorf Geld für Lebensmittel brauche. Nocerino kaufte sie nicht, aber er untersuchte sie. Auf alle Fälle ist klar, dass jemand diese Schädel in Mittelamerika zum Verkauf anbot. Was dann passierte, war schon oft zuvor passiert, und wir wissen, dass ganze Maya-Dörfer „finanziell unterstützt“ wurden, indem sie archäologische Güter auf dem Schwarzmarkt verkauften. Warum sollte Boban angesichts dieses vielfältigen Angebots einen deutschen Kristallschädel ausfindig machen und kaufen, den er nur schwer würde weiterverkaufen können?
Daher gibt es nur eine wahrscheinliche und logische Schlussfolgerung, nämlich dass die Schädel aus Mittelamerika stammen. Vermutlich wurden sie von gewissen Leuten auf undurchsichtige Art und Weise erworben und endeten dann einige Zeit später auf Auktionen, wobei die Spuren ihrer Herkunft größtenteils ausgelöscht worden waren.
Aber wenn sie mittelamerikanischen Ursprungs sind, welchem Zweck dienten dann die Schädel – unter der Annahme, dass sie tatsächlich archäologische Schätze sind? Bekanntlich besaßen alle Heiligtümer, darunter auch Lubaantun, wo Mitchell-Hedges angeblich seinen Schädel gefunden hatte, einen Tzompantli als Teil der heiligen Tempelanlage, die selbst wiederum eine dreidimensionale Darstellung des Schöpfungsmythos der Maya war.
Der Mythos erzählt, dass zwei Zwillinge mit ihrem Ballspiel die Fürsten von Xibalba, der Unterwelt der Maya, störten. Die Fürsten von Xibalba ließen die beiden Zwillinge in die Unterwelt kommen, damit sie über ihr respektloses Verhalten Rechenschaft ablegten, wobei sie einer Reihe von Prüfungen unterzogen wurden. Als sie diese Prüfungen nicht bestanden, wurden sie getötet und auf dem Spielfeld in Xibalba begraben. Der ältere der Zwillinge wurde enthauptet und sein Kopf in einem Baum am Spielfeld aufgehängt, als Abschreckung für alle, die eine solche Verfehlung wiederholen sollten. Später, und trotz dieser Warnung, besuchte die Tochter eines der Unterweltfürsten den Schädel, der mit ihr sprach und ihr in die Hand spuckte, wodurch sie schwanger wurde.
Der Ort, an dem der Schädel hing, war der Tzompantli, und in Stätten wie Chichén Itzà ist er noch immer als Teil der Tempelanlage klar erkennbar.
Eine der Aufgaben der Maya-Priester bestand natürlich darin, den Schöpfungsmythos nachzustellen. In der Mythologie der Maya stand der Schädel für den Tod des Helden, aber auch für die Wiedergeburt. Daher ist es faszinierend, dass die Erklärung, die Kristallschädel seien ein Teil des Schöpfungsmythos der Maya gewesen, in etwa mit Mitchell-Hedges‘ Interpretation über den Gebrauch der Schädel übereinstimmt.
Die Schöpfungsgeschichte weist deutliche Parallelen zu den technischen Möglichkeiten des Mitchell-Hedges-Kristallschädels auf. Ein Schädel aus Kristall könnte tatsächlich den Eindruck erwecken, dass es sich um den Schädel einer Gottheit handelt, und nicht um den eines gewöhnlichen Sterblichen. Es sollte beachtet werden, dass der Mitchell-Hedges-Schädel keine Schädelnaht aufweist. Da Fachleute darin übereinstimmen, dass es sehr einfach gewesen wäre, dieses Detail hinzuzufügen, lässt die Abwesenheit der Schädelnaht verschiedene Deutungen zu. Das könnte bedeuten, dass der Schädel nicht der eines gewöhnlichen Sterblichen sein kann, auch wenn er menschlich aussieht. Es könnte außerdem bedeuten, dass der „Besitzer“ des Schädels entweder als Erwachsener geboren wurde und / oder eine Gottheit war, also ein vollkommenes Wesen. Darüberbhinaus könnte der Schädel mit Hilfe des abnehmbaren Unterkiefers „gesprochen“ haben, genauso wie der Schädel des Helden im Schöpfungsmythos. Da der Schädel in der Legende spuckte, könnten die Maya auch diesen Effekt durch einen abnehmbaren Unterkiefer, wie ihn der Mitchell-Hedges-Schädel besitzt, erreicht haben.
Dorland zeigte, dass der Schädel mit den zwei Löchern an der Unterseite so bewegt werden kann, dass es aussieht, als würde er sprechen. Mit einem Stab, der durch ein Loch im Altar in das größere Loch an der Schädelbasis geschoben wird, hätte der Kristall bewegt werden können; das kleinere Loch an der Schädelbasis hätte als Drehpunkt für den Schädel dienen können. Die Eigenschaft des Schädels, Bilder zu projizieren, könnte die davorstehende Person zu Visionen oder Träumen angeregt haben …
Ein neues Zeitalter und die „Zusammenkunft der Schädel“
Das bringt uns zu einer weiteren oft übersehenen Frage, die nur wenige stellten: Warum Kristall? Wie bereits erwähnt, werden die Kristallschädel heute oft zum Wahrsagen benutzt, und die Verwendung von Kristallkugeln im mittelalterlichen Europa war dem Gebrauch der Kristallschädel in der New-Age-Szene sehr ähnlich. Allerdings können wir im Rahmen der Maya-Kultur noch viel weiter gehen.
Der Schöpfungsmythos der Maya enthielt auch eine „Zeremonie der Neuen Flamme“, mit deren Entzündung auch ein neues Zeitalter eingeläutet wurde. Die Neue Flamme, geschaffen von den Göttern, war ein Hauptaspekt der „esoterischen Kulthandlungen“, um Mitchell-Hedges zu zitieren.
Diese Art Zeremonie ist heutzutage als Entzündung der Olympischen Flamme allseits bekannt, die im Vorfeld eines neuen Zeitalters – nämlich der Olympiade – im griechischen Tempel von Olympia entfacht wird. Dabei stellen elf Frauen die Priesterinnen dar, die ursprünglich für das Tempelfeuer verantwortlich waren, und entzünden in einer Zeremonie die Fackel durch das Licht der Sonne, das in einem Parabolspiegel gebündelt wird. Wie bereits erwähnt, wurden schon in der Antike Linsen benutzt, um Licht zu fokussieren. In Griechenland hatte das Feuer eine göttliche Bedeutung, und der Legende nach stahl Prometheus das Feuer von Göttervater Zeus. Aber Griechenland war nur eine von dutzenden Zivilisationen in der Alten und auch in der Neuen Welt, in der das Feuer eine wichtige und heilige Rolle spielte; die Zivilisation der Maya war eine andere.
Aus diesem Grund ist es sehr interessant zu wissen, dass der Mitchell-Hedges-Schädel ein Feuer entzünden kann, wenn die Sonnenstrahlen in einem bestimmten Winkel von hinten auf den Schädel treffen. Genauer gesagt würde das gebündelte Sonnenlicht, das aus Nase, Mund und Augen tritt, ein Feuer entzünden, genauso wie bei der heiligen Flamme in Olympia. Benutzten die alten Maya anstelle eines Parabolspiegels vielleicht einen Kristallschädel, um die Neue Flamme zu entzünden, den essentiellen Teil, der den Beginn eines neuen Zeitalters markierte?
Wenn diese Interpretation zutrifft, hat es vielleicht in jeder religiösen Stätte einen solchen Schädel gegeben. Das würde sie zu seltenen Stücken machen; aber wir wissen ja bereits, dass diese Schädel tatsächlich äußerst selten sind. Obwohl es im Moment keinen handfesten Beweis dafür gibt, besteht der Vorteil dieser Theorie darin, dass sie zu allen vorliegenden Beweisen passt, anders als einige „akademischere“ Theorien. Wenn sie stimmen sollte, dann sind die Kristallschädel mächtige Symbole: Symbole für den Wohnsitz der Götter. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass der Kristall des Mitchell-Hedges-Schädels aus demselben Material besteht, das in modernen Anwendungen benutzt wird, um Informationen zu speichern.
Natürlich sind einige der „geistigen Gespräche“ zwischen den Schädeln und bestimmten Leuten äußerst „übertriebene“ und bestenfalls unwahrscheinliche Behauptungen. Die Skeptiker jedenfalls hatten ihre helle Freude an den Behauptungen, dass die Schädel außerirdischen Ursprungs seien, vielleicht von Sternensystemen wie den Plejaden oder Orion stammen und möglicherweise mehrere hunderttausend Jahre alt sind.
Aber wenn jemand versucht, eine Schallplatte mit einer kaputten Nadel anzuhören, hört er nur entstellte Geräusche. Er würde vermutlich davon ausgehen, dass er die Nadel ersetzen muss, um die Schallplatte richtig anhören zu können. Könnte es im Fall der Kristallschädel – die ja aus einem Material bestehen, das bekanntermaßen Informationen speichern und als elektrischer Leiter dienen kann – nicht vielleicht so sein, dass wir zwar die Schallplatte besitzen, nicht aber den richtigen Plattenspieler?
Für ihr Buch interviewten Morton und Thomas viele Ureinwohner aus Nord-, Mittel- und Südamerika.
Immer wieder hörten die Autoren Geschichten darüber, wie wichtig die Kristallschädel seien. Ihnen wurde erzählt, dass die Maya insgesamt 13 solcher Schädel besessen hätten, da die 13 eine für sie wichtige Zahl gewesen sei, die sie interessanterweise von der Anzahl der Gelenke des menschlichen Körpers (Knöchel, Knie, Hüften, Handgelenke, Ellbogen, Schulter, Nacken) abgeleitet hätten. Wir können nur Vermutungen darüber anstellen, ob es 13 Haupttempelanlagen im Maya-Königreich gegeben hat, von denen jede einen Kristallschädel besaß, und ob diese Schädel eine Art Netzwerk bildeten. So oder so vertraten die amerikanischen Ureinwohner die Auffassung, dass die 13 Schädel zusammengebracht werden sollten, und zwar so, dass zwölf davon einen Kreis bilden und der dreizehnte Schädel in der Mitte liegt. Obwohl diese Anordnung in der New-Age-Szene als „Zusammenkunft der Schädel“, die eine „Neue Zeit der Erleuchtung“ einleiten soll, ziemlich populär geworden ist, könnte es sich dabei um nicht mehr – aber auch nicht weniger – handeln als die Erinnerung der amerikanischen Ureinwohner an ihr gemeinsames Erbe und daran, wofür die Kristallschädel ursprünglich standen.
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