Unsterbliche HeLa-Zellen und Viren-Voodoo

Ein schwarzmagischer Scifi-Thriller: Die Krebsforschungszelllinie, die einem malignen Tumor einer einzigen Person – Henrietta Lacks – entstammt und in der Medizinforschung Geschichte geschrieben hat, wurde mit einem Hexengebräu aus Tier-Embryonenblut und menschlicher Plazenta genährt und wuchert sich inzwischen zu einer eigenen Art aus.

Kontaminiert durch HeLa-Zellen

Die unsterblichen HeLa-Zellen erwiesen sich als derart widerstandsfähig, dass sie es schafften, auf ihrer jahrzehntelangen Reise durch Labors in aller Welt viele andere Zelllinien, die in der Krebs- und Karzinogenese-Forschung zum Einsatz kamen, zu kontaminieren.

1974 entdeckte der Zellkulturexperte Walter Nelson-Rees, PhD, eine ausgedehnte Kontamination verschiedener Zelllinien durch HeLa-Zellen. Nelson-Rees hatte für seine Untersuchungen ein Lichtmikroskop und eine spezielle Giemsa-Färbung verwendet, mit deren Hilfe er die charakteristischen Chromosomenmutationen der HeLa-Zellen kenntlich machen konnte. Durch seinen Nachweis, dass 40 verschiedene menschliche Zelllinien, mit denen weltweit in Labors gearbeitet wurde, durch HeLa kontaminiert waren, deckte er schwere Mängel in der Krebsforschung auf. Millionenschwere publizierte Krebsforschungs-Experimente erwiesen sich nachträglich als wertlos. Wie sich herausstellte, waren bei Krebsversuchen verwendete „Leberzellen“ und „Affenzellen“ in Wahrheit nur getarnte Gebärmutterhalskrebszellen von Henrietta gewesen. Und gutartige Zellen, die angeblich eine „spontane Mutation“ zu bösartigen durchgemacht hatten, wurden rückblickend als Zellkulturen entlarvt, die unabsichtlich durch HeLa-Zellen kontaminiert worden waren.

Sogar der hochangesehene Immunologe Dr. Jonas Salk, der den nach ihm benannten Polioimpfstoff entwickelte, ließ sich täuschen: seine tierischen Zelllinien waren ebenfalls durch HeLa-Zellen kontaminiert. Salk verwendete Hela-Zellen, um den Poliovirus zu kultivieren und testete auch seinen Impfstoff an HeLa-Zellen, bevor er ihn 1955 erstmals beim Menschen zum Einsatz brachte. Später, im Jahr 1978, sprach er vor einem fassungslosen Konferenzpublikum aus Zellbiologen und Impfstoffherstellern über eine Reihe von Experimenten, die er in den späten 1950er Jahren an Krebspatienten im letzten Stadium durchgeführt hatte. Salk hatte diesen Patienten eine Zelllinie aus Affenherzgewebe injiziert – dieselbe Zelllinie, mit der er den Poliovirus für seinen berühmten Impfstoff kultiviert hatte. Er hatte gehofft, die Affenzellenspritzen würden das Immunsystem dazu anregen, den Krebs zu bekämpfen. Als an den Injektionsstellen jedoch Abszesse zu wuchern begann, erwachte in Salk der Verdacht, dass er statt Affenzellen HeLa-Zellen spritzte – also brach er das Experiment ab.

Nelson-Rees, der ebenfalls bei der Konferenz zu Gast war, bot Salk an, seine Zelllinie zu testen, falls sie noch verfügbar war. Salk willigte gnädig ein, und seine Affenzellen erwiesen sich tatsächlich als HeLa-Zellen, die in die Affenzelllinie eingedrungen waren und sie übernommen hatten. Gold schreibt, dass Salk der Ansicht war, es gebe geeignete Mittel und Wege, Viren von den Zelllinien zu trennen, sodass es gar keine Rolle spielte, welche Gewebezellen man verwendete. Salk glaubte, dass die Impfstoffe nicht gefiltert werden mussten und man einem Menschen sogar ganze Krebszellen direkt injizieren konnte – der Körper würde sie schon abstoßen und keinen Schaden daran nehmen. Zu dieser Zeit glaubten nicht viele Mediziner daran, dass es Viren gibt, die Krebs verursachen. Heute würde sich kein Forscher trauen, einem menschlichen Wesen Krebszellen zu spritzen. Doch in den 1950er Jahren hatte Salk noch versehentlich dutzenden Patienten HeLa-Krebszellen injiziert und sich keine weiteren Gedanken darüber gemacht.

In der wissenschaftlichen Arbeit „Henrietta Lacks, HeLa Cells, and Cell Culture Contamination“, die im September 2009 in der Fachzeitschrift Archives of Pathology & Laboratory Medicine erschien, fassten Nelson-Rees und seine Mitautoren zusammen:

„Obwohl seit dem Bekanntwerden des Problems kontaminierter Zellkulturen durch HeLa-Zellen beinahe 50 Jahre vergangen sind und die Molekularbiologie seither gigantische Fortschritte erzielt hat, ist die Kontamination von Zellkulturen nach wie vor ein bedeutendes Problem für die Wissenschaftsgemeinde. Und dieses Problem geht weit über HeLa-Zellen hinaus, obwohl diese bis heute zu seinen Verursachern gehören. Eine Studie ergab, dass 45 von 252 menschlichen Zelllinien (18 Prozent), die von 27 von ingesamt 93 Spendern (29 Prozent) stammten, kontaminiert waren. […] Erfreulicherweise erfolgte neulich eine offizielle Handlungsaufforderung zur Verhinderung kontaminierter Zelllinien.“

Dennoch findet man in der englischen Wikipedia bis heute eine lange „Liste kontaminierter Zelllinien“.

Es geht weiter: kontaminierte Zelllinien im 21. Jahrhundert

Am 15. Januar 2010 berichtete BBC News, dass Zellkontamination für die aktuelle Krebsforschung immer noch ein Problem darstelle und dutzende Krebsstudien durch die Entdeckung, dass die Forscher unabsichtlich falsche Krebszellen dafür verwendet haben, in Zweifel gezogen werden könnten. Aus einer Studie im Journal of the National Cancer Institute (elektronische Veröffentlichung am 14. Januar 2010) geht hervor, dass die betreffenden Zelllinien als Proben von Speiseröhrenkrebs angeliefert worden waren. Bei Tests zeigte sich aber, dass sie auch Gewebeteile anderer Tumorarten wie etwa Lungen- und Darmkrebs enthielten. Die Autoren der Studie vom University Medical Centre Rotterdam merkten an, dass dadurch auch großangelegte klinische Medikamentenstudien in Zweifel gezogen werden könnten. Sie schrieben:

„Auf den kontaminierten Zelllinien aufbauende Versuchsergebnisse haben zu derzeit noch laufenden klinischen Studien geführt, für die Patienten rekrutiert werden, weiterhin zu mehr als 100 wissenschaftlichen Publikationen und mindestens drei Krebsforschungsstipendien und elf US-Patenten – was die Bedeutung unserer Forschungsergebnisse noch unterstreicht.“

Sie fügten hinzu, dass sich der weitverbreitete Einsatz der betreffenden Zelllinien negativ auf die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden auswirken könne.

Am 31. Januar 2010 lief im amerikanischen Sender ABC News ein begeisterter Bericht zum Thema: „Wie die Zellen einer einzelnen Frau die Medizin veränderten“. Vincent Racaniello, Professor für Mikrobiologie an der Columbia University, behauptete darin, dass HeLa-Zellen zu einigen der bedeutendsten medizinischen Durchbrüche der vergangenen 100 Jahren geführt hätten. ABC erinnerte seine Zuschauer daran, dass diese unsterblichen Zellen – Billionen und Aberbillionen von ihnen – zuerst bei der erfolgreichen Suche nach einem Kinderlähmungsimpfstoff eingesetzt wurden, danach wichtig für die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs, Grippe und die Parkinson-Krankheit waren und auch in der Forschung, die zur Genkartierung und zum Klonen geführt hat, eingesetzt wurden. Zudem wurden sie eingesetzt, um die Auswirkungen von Atomstrahlung zu testen, und sogar ins All geschickt. „Ich glaube, wir schulden Henrietta eine Menge Dank“, sagte Racaniello. „Daran besteht absolut kein Zweifel.“

Auf der Website von Popular Science wurde Henrietta Lacks am 5. Februar 2010 zur „wichtigsten Frau der Medizingeschichte“ erklärt.

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02. August 2016, 17:51 Uhr, permalink

Cynthia

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