Über Silvester bin ich mal dazu gekommen, mir ein Interview mit Gerhard Wisnewski anzuschauen. Das war zwar schon ein Jahr alt (und im Vordergrund wurde die letztjährige Ausgabe des hier besprochenen Buchs präsentiert), aber danach war mir klarer, warum der Mann so tickt, wie ich ihn als Leser kenne. Wisnewski nämlich hatte bereits vor geraumer Zeit sein persönliches 9/11 – einen Erweckungsmoment, der seine journalistische Karriere in völlig neue Bahnen lenkte. Ziemlich zu Beginn seiner Karriere hatte er zum Thema „RAF“ recherchiert – und plötzlich feststellen müssen, dass seine Recherchen ihn zu ganz anderen Ergebnissen geführt hatten als den offiziell sanktionierten. Als er dann noch seine Resultate mit denen verglich, die im Spiegel präsentiert wurden, fiel er aus allen Wolken – und die „journalistische Vaterfigur“, die ihm das Blatt bis dato war, stürzte mit. Seither ist er ein gebranntes Kind, und muss bei der letzten Frage des Interviewers, ob er denn überhaupt irgendetwas nicht hinterfrage, eine Denkpause einlegen und schmunzeln: Im journalistischen Bereich falle ihm da gerade nichts ein, sagt er. Überhaupt seien ihm vorgebackene Kuchen suspekt – er backe lieber seinen eigenen. Denn da wisse er, was drin sei.
Als regelmäßiger Leser seiner Jahresrückblicke weiß ich inzwischen auch, „was drin ist“, und bin ihm nun noch etwas weniger gram, wenn ich nicht so ganz mitgehen kann mit dem, was er schreibt – denn dass man bei ihm etwas Hausgemachtes bekommt, ist mir wichtiger als pasteurisierter und sterilisierter Einheitsbrei.
Vor zwei Jahren nun hat Wisnewski festgestellt, dass das Material für seinen „kritischen Jahresrückblick“ gut noch ein zweites Buch füllen könnte, und so hat er ein paar weitere Geschichten in das „Jahrbuch des Verbrechens“ ausgelagert. Dem merkt man seine Genealogie noch an, denn unter den Begriff Verbrechen fasst Wisnewski nicht nur manch seltsame Tode von Prominenten wie Joan Rivers, Bobbi Brown oder den Fall Robert Durst, sondern heuer auch die angebliche Verbrennung des jordanischen Kampfpiloten Muath al-Kasasbeh durch den IS und den Germanwings-Absturz.
Während ich die Tode der Prominenten als eine Art „Schulung in kriminalistischem Gespür“ weglas, blieb ich bei den letztgenannten Fällen etwas länger hängen – auch gedanklich.
Bei der „Verbrennung“ des jordanischen Kampfpiloten nämlich gab es einen Präzedenzfall, den Wisnewski schon im Vorjahr aufs Korn genommen hatte: die „Enthauptung“ des US-Journalisten James Foley. Da war aufgefallen, dass der Delinquent vor der Vollstreckung seelenruhig und stotterfrei eine Rede halten konnte, die Tat selbst nicht zu sehen war, im Video kein Tropfen Blut floss und Foley außerdem aus einem ziemlich seltsamen (Geheimdienst-)Milieu stammte. Anfang 2015 tauchte zudem noch das Video einer Hackergruppe namens „Cyber Berkut“ im Internet auf, das diese vom Laptop einer McCain-Gesandtschaft gestohlen haben will, und auf dem dieselbe Wüstenszene in einem kompletten Studioumfeld zu sehen ist. Schon seltsam, oder? Zumal das Video den internationalen Aufschrei gegen den IS noch verstärkt hat. Nun schien dieser mit der Verbrennung des Piloten noch „einen draufsetzen“ zu wollen. Aber auch hier kommen Zweifel an der Authentizität des Videos auf, da viele Details auf ein abgefilmtes Drehbuch schließen lassen: Die IS-Soldaten in ihren frisch gestärkten Anzügen stehen in Hollywoodmanier bereit, die Umschnitte aus mehreren Kameraperspektiven sind framegenau, und der Verurteilte spaziert, ohne sich irgendwie wehren zu wollen, seinem Tod entgegen. Die teils ausgeklügelte Bildgestaltung lässt genauso Fragen aufkommen wie die Seelenruhe des „Piloten“ im Angesicht seines Feuertodes – und schließlich noch die Tatsache, dass an den entscheidenden Punkten der „Verbrennung“ umgeschnitten wird, also Zeit für irgendwelche Filmtricks bleibt. Sie merken schon, worauf Wisnewski hinauswill: alles inszeniert. Ob man dann so weit gehen muss, den gesamten Islamischen Staat als reine Propagandafront des Westens zu erklären, die von muslimischen Nerds betrieben wird – mmhh, okay; zumindest führt er als Beleg ein Interview mit einem Ex-IS-Gefangenen auf Euronews an. Doch auch ohne die recht pauschale These hinterlässt Wisnewskis Analyse genug Fragzeichen: Wenn die Videos nicht echt sind, wer fabriziert sie dann – und aus welchem Grund? Was für ein Propagandaapparat muss dahinterstehen, dass sogarWikipedia-Seiten über jordanische Piloten erfunden werden? Oder hat der (arme) Kerl freiwillig mitgespielt? Und wenn das Foley-Video echt ist, wer macht sich die Mühe, eine Studioszene exakt so nachzuspielen wie die angebliche Enthauptung und diese dann als „Hack“ zu präsentieren?
Auch den Fall „Germanwings“ verschlang ich in einem Zug. Als das Thema durch die Medienlandschaft polterte, war mir vor allem suspekt, wie schnell im Nachhinein auf den toten Copiloten eingedroschen wurde – das Thema „tote Schuldige“ zieht sich ja durch einige der fragwürdigsten Attentate der letzten Zeit. Verfolgt hatte ich die Kontroverse um den Absturz aber nicht so intensiv, deshalb freute ich mich, sie hier gebündelt zu finden. Lassen Sie mich rasch ein paar der Ungereimtheiten aufzählen:
- Am Absturzort hörten nur wenige Augenzeugen eine Explosion oder nahmen einen Crash wahr;
- die Wrackteile waren förmlich pulverisiert, dennoch bleibt ausgerechnet die Registrierung mit deutscher Flagge komplett erhalten;
- entgegen anderen Abstürzen in den Bergen fehlten sehr auffällig Leichen und -teile;
- der französische Staatsanwalt hat auf dem Voicerekorder Dinge gehört, die man eigentlich nicht hören kann (den „ruhigen“ Atem des Copiloten, was seltsam genug war), und viel zu früh Schlussfolgerungen gezogen;
- der Blackbox, die unter zweifelhaften Umständen gefunden wurde, fehlte die „Speicherkarte“, was eigentlich unmöglich ist – dann wird noch eine zweite, unbeschädigte gefunden.
Und so weiter und so fort. Wisnewski lässt sich gut 80 Seiten Zeit, um den Fall aufzudrüseln. Also auch hier alles nur Show? Sieht ganz danach aus. Nur sind die Fragen, die sich dann stellen, auch nicht ohne: Selbst wenn die Trümmerteile nur „gesät“ wurden (was durch die Anwesenheit einer Transportmaschine des französischen Militärs jedenfalls nicht auszuschließen ist) – wo ist dann die echte Maschine? Wo sind die womöglich Hinterbliebenen der Trauernden? Und wurde das Ganze nur inszeniert, um der Lufthansa eins auszuwischen, Europa wieder näher zusammenrücken zu lassen und Hollande bessere Umfragewerte zu verpassen, wie es just danach geschah? In diese Richtung geht zumindest Wisnewskis Erklärungsansatz; die Frage nach dem Verbleib der „echten“ Maschine spricht er lieber gar nicht erst an.
Wie bereits anfangs gesagt: Nicht immer gehe ich mit Wisnewskis Analysen – und vor allem mit seinen alternativen Erklärungsansätzen – d'accord. Fakt aber ist, dass sein hausgemachter Kuchen wesentlich gehaltvoller ist als der vorgebackene – und man dank der Geheimzutat „Hinterfragen“ gleich Lust auf das nächste Stück bekommt. Da kann man eigentlich nur noch guten Appetit wünschen.
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