Twilight Zone: Die „blaue Seuche“ im Golf von Mexiko

Deepwater Horizon – nur ein Unfall oder das unvermeidliche Resultat skrupelloser Ausbeutung der Erde? Die Wahrheit könnte komplexer sein, als man denkt. Und leider auch beunruhigender.

Jahrzehntelang haben sich Wissenschaftler voller Eifer um genetische Modifizierungen bemüht, die Mikroben dazu befähigen sollten, Öllecks an Land und auf dem Meer zu vertilgen. Aber trotz Neugruppierung von DNS-Sequenzen und Genteilung konnten bei diesen natürlichen Ölfressern nur geringe Erfolge verzeichnet werden. Auch wenn die Ankündigungen von JCVI und dem Gründer von Synthetic Genomics, Craig Venter, auf einer Pressekonferenz am 15. Mai irgendwie nicht das Ohr der Weltpresse erreichten, sprachen diese – ganz offen – gerade eine solche Anwendung von Synthia an. Genauer gesagt bezog sich Venter auf ein synthetisches Bakterium auf Synthia-Basis, das in der Lage sein sollte, Kohlenwasserstoff effizienter zu verstoffwechseln als jeder bekannte natürliche Mikroorganismus.

Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass 1980 eines der ersten Patente für genmanipulierte Organismen eine Mikrobe betraf, die Kohlenwasserstoff vertilgen kann. Bei diesem als „Ölfresser“ bezeichneten Mikroorganismus handelt es sich um ein natürlich vorkommendes Bakterium, das mit vier ebenfalls natürlich vorkommenden DNS-Ringen aufgerüstet wurde, die es in die Lage versetzen, vier verschiedene Rohölkomponenten aufzuspalten.10

Bisher sah sich die Wissenschaft bei dem Versuch, natürlich vorkommende Mikroorganismen zu beherrschen, immer mit Problemen konfrontiert, da das Verhalten solcher Organismen unter verschiedenen Umweltbedingungen einfach zu unberechenbar ist. In bestimmten Milieus erledigen sie ihre Aufgabe vielleicht ganz gut, während sie in anderen ökologischen Umgebungen inaktiv werden. Der Meereschemiker Chris Reddy vom Woods Hole Oceanographic Institut meint, dass Mikroben, ähnlich wie Teenager, nur schwer zu kontrollieren seien.5 Im Gegensatz dazu lassen sich künstliche mikrobische Lebensformen wie Synthia vollständig über ihre am Computer erschaffenen DNS-Programme steuern.

Der Mikroben-Ökologe Kenneth Lee erklärt, dass nur Mikroben in der Lage seien, Öl aus dem Ozean zu entfernen und dass die Umwelt am effektivsten durch biologischen Abbau vom Öl befreit werden könne. Zwar beweist die Geschichte, dass er Recht hat, doch können dafür Jahrzehnte oder gar noch längere Zeitspannen erforderlich sein. So viel Zeit steht uns nicht zur Verfügung, wenn es um das Öl im Golf geht.

Die Zeitschrift Scientific American meint hierzu: „Die letzte und einzige Verteidigungsmöglichkeit gegen das Deepwater- Horizon-Ölleck im Golf von Mexiko sind Milliarden von kleinen, kohlenwasserstoffvertilgenden Mikroben. Tatsächlich bestand der Hauptgrund, warum über drei Millionen Liter chemischer Dispergiermittel auf den Ölschlick über und unter Wasser geschüttet wurden, darin, das Öl in kleinere Tropfen aufzuspalten, die von den Bakterien leichter vertilgt werden können“.5

Wenn es doch nur einen supereffizienten Mikroorganismus gäbe, der diese Aufgabe noch schneller und besser erledigt (Wink mit dem Zaunpfahl …).

Nur noch ein paar Kleinigkeiten und Sie werden das vollständige Bild erkennen.

Der Dispergierungsfaktor

Es ist schwer zu verstehen, warum BP seit Anfang Mai 2010 ununterbrochen Dispergiermittel wie beispielsweise Corexit aus Flugzeugen und Schiffen versprüht, und zwar nicht nur über dem Golf, sondern auch an den Küsten. Angeblich soll Corexit das Öl dispergieren, indem es dieses in kleinere Bestandteile zerlegt: Kann das aber der einzige Grund für die Sprühaktionen sein?

Bei kürzlich durchgeführten Untersuchungen von Regenwasser aus dem Golf von Mexiko konnten natürliche Mineralien wie Kupfer und Eisen, aber auch Nickel, Aluminium und Mangan nachgewiesen werden.9 Ein höchst ungewöhnlicher Befund für Regenwolken, die sich aus dem Salzwasser des Ozeans gebildet haben. Die einzig logische Erklärung wäre, dass diese Elemente zunächst dem Golfwasser zugesetzt und dann von den aufsteigenden Regenwolken mitgeführt wurden. Das kann einzig und allein durch die Sprühaktionen auf und / oder unter Wasser, aus der Luft oder direkt vor Ort an der Oberfläche erfolgt sein.

Handelt es sich vielleicht um Inhaltsstoffe von Corexit? Nach Angaben des Herstellers Nalco ist das nicht der Fall. Also müssen diese natürlichen Elemente dem Corexit vor dem Versprühen zugesetzt worden sein. Aber warum? Was nützt es, dem Meerwasser Kupfer oder Eisen zuzusetzen? Warum sollte man solche üblicherweise zur Pflanzendüngung verwendeten Naturstoffe ins Meerwasser schütten?

Bakterien gedeihen in nährstoffreichen Umgebungen. Natürliche Mineralien wiederum sind notwendige Bausteine der von den Bakterien bevorzugten Nährstoffe. Sie können sich das wie eine Feuchtdüngung des Golfes vorstellen, wodurch eine bessere Nährstofflösung für hungrige, ölfressende Bakterien geschaffen wird. Die sogenannten „Dispergiermittel“ brechen nicht nur das Rohöl in kleinere Bestandteile auf, sie liefern auch die nötigen Nährstoffe, damit sich die Bakterien rascher vermehren und das Öl schneller vertilgen können. Solche Bakterien bezeichnet man als Bioremediatoren.

Das Gesamtbild wird schon sichtbar. Wir haben es fast geschafft.

Synthia hat Verwandte

Was jetzt noch fehlt ist eine neue, bisher unbekannte Art von kohlenwasserstofffressenden Bakterien, die auch im kalten Wasser der Ozeantiefen gedeihen – dort, wo sich derzeit die Ölseen und der Teer befinden – und die diese Rückstände schneller zersetzen können als bekannte, natürliche Bakterien.

In ihrem im Magazin Science veröffentlichten Artikel berichten Terry Hazen und seine Kollegen vom Lawrence Berkeley National Laboratory über ihre von Ende Mai bis Anfang Juni vor Ort durchgeführten Untersuchungen und ihre Entdeckung einer bisher unbekannten Spezies von kohlenwasserstoffvertilgenden Kaltwasserbakterien, die die Ölfahnen in beschleunigtem Tempo zersetzen.11

Jetzt verstehen wir, warum BP bzw. der Leiter von Synthetic Genomics, Craig Venter, am 15. Mai Andeutungen über ein neues kohlenwasserstoffvertilgendes Genom machte. Bereits vor diesem Zeitpunkt hatte JCVI zahlreiche neue Patente (wir konnten sieben finden) für synthetische Bioremediation beantragt, wie zum Beispiel für synthetische Bakteriengenome, die sich dank ihrer besonderen DNS-Informationen als „freilebende Organismen“ vermehren können. Laienhaft ausgedrückt bedeutet das, dass die Wissenschaftler von BP und Synthetic Genomics schon 2007 ein vermehrungsfähiges Bakterium erschaffen haben, „dessen (synthetisches) Genom aus einem manipulierten DNS-Molekül besteht“.13

Nur noch ein paar Pinselstriche und das Bild ist fertig.

Kommentare

24. Februar 2011, 13:46 Uhr, permalink

Leviathan

Erstmal: SUPER Artikel!!!

Die haben ein Bakterium gezüchtet, dass Kohlenwasserstoffe frisst? Genau das Zeug, aus dem alle ORGANISCHEN Wesen bestehen.
Die haben also Hunger auf Leben und sind noch von ihrem Schöpfer gegen unser Allheilmittel (Antibiotika) immunisiert worden?
Die spielen nicht Gott, sondern den Anti-Gott. Und dann wollen die Bastarde mit ihrem Heilmittel auch noch Geld verdienen?
Oder soll das ein Versuch zur Bevölkerungsdezimierung werden?
Das sollten wir auf jeden Fall weiter beobachten!

HERZ LICHsT

L

28. Februar 2011, 00:38 Uhr, permalink

Mikrobiologin

Die Antibiotikumsresistenz ... jaja.

Mal abgesehen davon, dass ich das ganze auch nicht unbedingt gut heiße und ein gegen Antibiotika resistentes Bakterium immer Angst verbreitet:

Eine Antibiotikumsresistenz wird im gentechnischen Vorgehen (was hier eindeutig vorliegt) schon aus ganz pragmatischen Gründen in einen Organismus eingeführt: Nur so kann man sehen, dass das Experiment geglückt ist. Die Zellen, die die Geninformation erfolgreich aufgenommen haben, wachsen in Anwesenheit des Antibiotikums - der Rest nicht.

Andererseits leben diese Bakterien offenbar im Meer, das aus vielen Litern Wasser besteht - diese Verhältnisse sind in unserem Körper nicht gegeben, sodass die Nährstoffzufuhr in unserem Körper eher begrenzt ist. Mal abgesehen davon, dass unsere Bausteine noch mehr Elemente in ganz anderer Kombination enthalten als die reinen Kohlenwasserstoffe des Erdöls.

Dass BP hier miese Machenschaften am Laufen hat, möchte ich nicht bezweiflen. Und den Einsatz dieser Bakterien in freier Wildbahn ohne ausgiebige vorherige Tests halte ich auch für untragbar. Wir können nur hoffen, dass die genetische Ausstattung, die die Labormitarbeiter den Bakterien mitgegeben haben, sie in einem Lebensraum ohne Erdöl absterben lassen ...

28. Februar 2011, 10:41 Uhr, permalink

Leviathan

Danke für die Infos!

Könnte man auch einen anderen Indikator nehmen und nicht diese Resistenz? Könnte man ihnen (den Bakterien) nicht einfach grüne Haare wachsen lassen (ich weiß, dass das bei Bakterien keine Haare sind, komm bloß grad nicht drauf, wie die heißen ...)

HERZ LICHsT

L

01. März 2011, 10:57 Uhr, permalink

Mikrobiologin

Also, eigentlich geht das schon. Man kann die dann einfach mit einer Farbe in einem bestimmten Medium selektieren.
Ich weiß leider nicht, wie genau im Detail sie den Organismus künstlich hergestellt haben ...

Das Ding an der ganzen Sache ist auch: es gibt einen Unterschied, ob man ein oder wenige Gene in einen bestehenden Organismus einführt oder ein komplettes Genom künstlich herstellt.

Die Argumentation, die ich bringe, gilt für wenige Gene - bei Genomen bin ich mir nicht ganz sicher, da das erst eine relativ neue Technik ist, die noch nicht weit verbreitet ist. Und sicherlich auch (noch?) recht teuer.

Ich denke, als sie damals die Forschungen anfingen, hofften sie auf diese Weise ein Mittel gegen jedes Unglück zu haben. Aber ohne ausgiebige Tests kann man sich nunmal nie sicher sein, dass es nicht doch einen negativen Einfluss auf höhere Lebewesen bzw. einfach das Ökosystem gibt.

Immer diese vorschnellen, nicht zu Ende gedachten Maßnahmen ...! Gerade was Biotechnologie angeht, gerät da schnell eine ganze Branche in Verruf. Siehe die Angst vor "Gen-Gemüse" und generell GVO. Sowas will ich auch nicht essen, aber nicht, weil es gefährlich ist, sondern einfach, weil Firmen damit Bauern von sich abhängig machen, traditionelle Landwirtschaft verdrängen und Patente auf Lebewesen anmelden.

GVOs sind z.T. gängige Mittel in der Forschung, um medizinische und andere naturwissenschaftliche Fragestellungen bearbeiten zu können. Es gibt harte Maßnahmen und Strafen für falsche Arbeit damit - und nur durch falsche Informationspolitik großer Saatgutfirmen wird die Öffentlichkeit scheu gemacht.

Oh. Gehört nicht mehr hierher. Nunja. Vlt. mal woanders ... ;)

02. März 2011, 01:04 Uhr, permalink

Leviathan

Aber trotzdem interessant!
Über GVO habe ich bis jetzt nur Horror-Nachrichten gelesen ...
Auch mal schön, eine andere Perspektive wahrnehmen zu können.

17. März 2011, 15:34 Uhr, permalink

Melanie

@MIkrobiologin

Ob gentechnisch Verändertes gefährlich ist kann man jetzt noch gar nicht oder zumindest nicht sicher wissen. Es gibt keine Langzeitversuche... oder doch die gibts schon die werden nur verheimlicht:

Kühe die seit 3 Jahren Gentechgemüse vespern sind vollkommen am A... zerstörte und zerfressene Organe. Die Berichte darüber findet man leicht im Netz.

Wirtschaft und Natur zerstörende Monokulturen und Agrarmultis gab es schon immer im konventionellen Landbau auch wenn das durch Monsanto und Co sicher noch verschärft wird.

27. Mai 2011, 23:29 Uhr, permalink

panik

Im Golf von Mexiko werden jedes Jahr durch natürliche Vorgänge ca. 20 Mill. Tonnen Öl ins Meer abgegeben ... die Bakterien haben sich darauf eingestellt und so eine Nahrungsquelle gefunden. Die Ölkatastrophe ist somit anders zu sehen, als das Tankerunglück vor Alaska ... denn dort gab es diese Bakterien nicht.
Der Großteil des Öls aus der Bohrinselkatastrophe wurde einfach "gefressen".

Bildung siegt ...

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