Wahrheiten, Mythen und Trugschlüsse
Die Psychiatrie ist alles andere als eine einfache medizinische Fachrichtung. Ihre Ausübung erfordert ebenso viel Geduld wie Verständnis und bringt auch etliche Enttäuschungen mit sich. Die meisten Patienten sprechen auf die verschriebenen Medikamente nicht an – und leider führt die Frustration der Psychiater über mangelnde Behandlungsfortschritte in vielen Fällen dazu, dass noch mehr Medikamente oder höhere Dosierungen verschrieben werden, die den Patienten weiteren Schaden zufügen. Psychopharmaka sind so gefährlich, dass sie in den USA und Europa jährlich mehr als eine halbe Million Menschen ab 65 Jahren zu Tode bringen. Damit sind sie nach Herzkrankheiten und Krebs die dritthäufigste Todesursache.
Viele Psychopharmaka erhöhen nicht nur die Gesamtsterblichkeit, sondern auch das Risiko für Mord und Selbstmord; andererseits gibt es keine Arzneimittelbehörde weltweit, die je ein Medikament als wirksam für die Suizidprävention eingestuft hätte. (Lithium ist hier eine Ausnahme, da es die Anzahl der Selbstmorde möglicherweise reduziert.)
Psychische Störungen werden viel zu häufig und zu schnell diagnostiziert. Hat man erst einmal eine solche Diagnose erhalten, dann steht man unter Beobachtung – und alles, was man sagt oder tut, ist plötzlich verdächtig. Daraus folgt, dass die ursprüngliche Diagnose, die vielleicht nur eine Verdachtsdiagnose war, leicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann.
Ich bin der Ansicht, dass wir die derzeitige Einnahme von Psychopharmaka um 98 Prozent senken und gleichzeitig die geistige Gesundheit und die Überlebenschancen der Menschen verbessern könnten. Der Hauptgrund für die aktuelle Medikamentenkatastrophe: Führende Psychiater haben zugelassen, dass die Pharmaindustrie ihre akademische Disziplin und sich selbst korrumpiert.
Dass die Psychiatrie tief in der Krise steckt, merkt man schon daran, dass mehr als die Hälfte aller Patienten daran glaubt, ihre psychische Störung würde durch ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn verursacht. Diese Fehleinschätzung haben sie von ihren Ärzten übernommen; das bedeutet aber wiederum, dass mehr als die Hälfte aller Psychiater ihre Patienten anlügt.
Ich nenne die Leute an der Spitze der Hierarchie gern „Silberrücken“, weil sie fast immer männlichen Geschlechts sind und sich wie Silberrücken-Gorillas im Dschungel benehmen. Sie halten andere davon ab, die Macht in der Gruppe zu übernehmen, wodurch sie in der Natur leichter an Weibchen kommen. In der Psychiatrie wird der Zugang zum anderen Geschlecht durch Ruhm und Geld ersetzt. Diese Silberrücken leiden an einer kollektiven, organisierten Realitätsverleugnung. Sie weigern sich zu erkennen, welchen Schaden sie anrichten, auch wenn die Beweise dafür erdrückend sind. Dazu kommt, dass sie sich hinter einer Reihe von Mythen und Trugschlüssen verstecken, die sie hartnäckig verteidigen, die aber sehr schädlich für ihre Patienten sind. Zu den schlimmsten dieser falschen Annahmen gehören, …
- dass psychiatrische Diagnosen verlässlich seien;
- dass eine biologische oder genetische Erklärung für eine psychische Störung die Stigmatisierung der Patienten vermindert;
- dass der Gebrauch von Psychopharmaka die Anzahl der Menschen mit psychischen Störungen widerspiegelt;
- dass Menschen mit psychischen Störungen ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn haben, das die Psychiater mithilfe von Medikamenten beheben können, ähnlich wie Endokrinologen Insulin gegen Diabetes einsetzen;
- dass Langzeitbehandlungen mit Psychopharmaka gut sind, da sie Rückfälle verhindern;
- dass eine Behandlung mit Antidepressiva nicht zur Abhängigkeit führt;
- dass eine Behandlung von Kindern und Heranwachsenden mit Antidepressiva Selbstmorde verhindern kann;
- dass Depression, Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung und Schizophrenie zu Schädigungen des Gehirns führen;
- dass Medikamente Gehirnschäden verhindern können.
Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass die psychiatrische Forschung überwiegend pseudowissenschaftlich ist. Verlässliche Studien sagen immer wieder etwas ganz anderes aus als die Märchen, an die wir nach dem Willen der führenden Psychiater glauben sollen.
Ich bin Facharzt für Innere Medizin und habe mich 2007 für Psychiatrie zu interessieren begonnen, als Margrethe Nielsen vom dänischen Verbraucherverband Danish Consumer Council mit einer Idee für ihre Doktorarbeit an mich herantrat: „Warum wiederholt sich die Geschichte? Eine Studie über Benzodiazepine und Antidepressiva (SSRIs)“.
Ihre Untersuchungen zeigten tatsächlich auf, dass sich die Geschichte wiederholt. Wir haben mit den SSRIs [Selective Serotinin Reuptake Inhibitors = Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer] dieselben Fehler gemacht wie zuvor mit Benzodiazepinen und noch früher mit Barbituraten. Wir haben eine gewaltige Epidemie des zu häufigen Medikamentengebrauchs losgetreten, wegen der es heute so viele SSRI-Süchtige gibt wie Benzodiazepin-Junkies.
Unsere Arzneimittelbehörden haben sehr stark zu der aktuellen Misere beigetragen, und den größten Schaden richten Allgemeinmediziner an, die 90 Prozent aller Psychopharmaka verschreiben.
Die Ergebnisse von Margrethes Studie kamen bei zwei ihrer Prüfer nicht gut an, weil die beiden ihre eigenen Interessen wahren mussten. Einer von ihnen, Steffen Thirstrup, war für die dänische Arzneimittelbehörde tätig; der andere, John Sahl Andersen, war Allgemeinmediziner. Sie lehnten die Doktorarbeit ohne triftigen Grund ab, worauf Margrethe Einspruch an der Universität erhob und ihre Arbeit erfolgreich verteidigen konnte.
Doch solche unliebsamen Tatsachen werden permanent unterdrückt; ich führe in meinem Buch „Deadly Psychiatry and Organised Denial“ zahlreiche Beispiele für das Wirken der „Zweiflerindustrie“ an, in der gewisse Personen unablässig äußerst mangelhafte Forschungsarbeiten präsentieren, mit denen sie ihre unhaltbaren Thesen stützen wollen.
Nachdem ich mich nun selbst ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen befasst habe, ist mir aufgefallen, dass einige der Individuen und Organisationen, die ich dabei kennengelernt habe, zu der Anschauung gelangt sind, dass unser derzeitiger Umgang mit Psychopharmaka und die psychiatrischen Arbeitsmethoden mehr schaden als nützen. Die breite Öffentlichkeit ist ebenfalls dieser Meinung und hat den Eindruck, Antidepressiva, Neuroleptika, Elektroschocks und Einweisungen in die Psychiatrie seien in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht nützlich, sondern schädlich. Für mich besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass diese Menschen Recht haben. Die placebokontrollierten, randomisierten Doppelblindstudien, die gar nicht so blind sind wie vorgesehen, haben fast durchgehend gezeigt, dass es vor allem die Psychiater sind, die ihre Medikamente für wirksam halten – und nicht die Patienten.
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