Ein bekannter indischer Wegbereiter der integrativen Medizin und ein führender Neurowissenschaftler und Alzheimer Forscher schreiben zusammen ein Buch über den Einfluss unserer Lebensweise auf Genetik und Epigenetik. Das klingt vielversprechend.
Das Buch beginnt mit einer spannenden Einführung in die Genetik und vor allem die Epigenetik.
Mit dem „Human Genome Project“ war die Hoffnung und Erwartung verknüpft, mit der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes würde man verstehen, wie unser Organismus funktioniert bzw. warum er oft nicht funktioniert, mithin krank wird.
Ernüchtert stellte die Fachwelt fest, dass dem nicht so sei, nachdem auch einige experimentelle Gentherapien fatal endeten, teilweise mit tödlichem Ausgang. Auch die Tatsache, dass ca. 97 Prozent der DNS keine Proteine codiert, was zur überheblichen Bezeichnung Junk-DNS (Abfall-DNS) führte, zeigt deutlich die Grenzen eines rein genetischen Verständnisses des menschlichen Daseins auf.
Hier beginnt mit zarten Anfängen in den 1980er Jahren die Geschichte der Epigenetik.
Chopra und Tanzi geben dazu einen umfassenden und leicht verständlichen Überblick des aktuellen Forschungsstands.
Die Epigenetik beschreibt das Aktivitätsmuster unserer Gene, indem diese (für Fachleute: durch (De-)Methylierung bzw. (De-)Acetylierung) ab und angeschaltet werden bzw. ihre Aktivität herauf- und herunterreguliert wird. Das Spannende daran: Die Genaktivität lässt sich durch Veränderungen der Lebensweise zeitnah beeinflussen, so dass wir uns dem genetischen Erbe und familiären Dispositionen nicht mehr hilflos ausgeliefert sehen. Überdies werden diese epigenetischen Veränderungen auch vererbt, sodass positive Lebensstilentscheidungen, etwa bezüglich Ernährung, Bewegung, Geisteshaltung etc. auf die Nachkommen übergehen. Doch auch das Gegenteil trifft zu, schon die Bibel spricht von der Heimsuchung der Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied. Somit hinterlassen sowohl ungünstige Lebensereignisse wie (frühkindliche) Traumata, Gewalterfahrungen, Missbrauch von Substanzen, toxische Belastungen als auch günstige Faktoren wie gesunde Ernährung, Meditation, Freude, Liebe via epigenetischer Modulationen auf die Hardware, unsere Gene, ihre Spuren.
Die Autoren führen viele Tierversuche an – man mag dazu stehen, wie man will, sie führen jedenfalls zu sehr aufschlussreichen Ergebnissen.
Doch auch Untersuchungen am Menschen zeigen deutlich, wie aktuelle Belastungen die Lebensqualität und -quantität beeinflussen – etwa kostet die Pflege demenzkranker Angehöriger 4–8 Lebensjahre.
Chopra und Tanzi beschreiben dann die hochinteressante und wenig bekannte Interaktion zwischen uns und unseren Gästen, sprich der Darmflora, offiziell inzwischen Mikrobiom genannt. Diese zahlenmäßig weit überlegenen Bakterien produzieren Vitamine, bauen Toxine ab, halten krankmachende Keime in Schach und produzieren gar Botenstoffe, die unser Immunsystem stimulieren und mit dem Gehirn interagieren können.
Die ersten Schäden am Mikrobiom werden oft schon bei der Geburt gesetzt, wenn etwa durch Kaiserschnitt die Aufnahme der natürlichen Darmflora beim Durchschnitt durch den Geburtskanal verhindert wird. Später schädigen Antibiotika und Toxine (wie z. B. Schwermetalle) das Mikrobiom weiter.
Steril aufgezogene Tiere zeigen Störungen der allgemeinen und der Organentwicklung sowie des Immunsystems.
Das Mikrobiom ist in ständigem Wandel begriffen durch äußere und innere Faktoren wie Ernährung, Toxine, Stress, Medikamente etc. So fördert Fast Food Entzündungsreaktionen im Körper, die wahrscheinlich von sogenannten Endotoxinen krankmachender Bakterien herrühren, und das heutzutage so häufig anzutreffende Leaky-Gut-Syndrom (ein durchlässiger Darm). Anderseits ist die Bakterienvielfalt in den Därmen der Dritten Welt deutlich größer als in den westlichen Ländern – der Lebensstil lässt grüßen.
Nach den ausführlichen und gut verständlichen theoretischen Einführungen stellt sich der Leser die Frage: Was fangen wir damit nun an?
Im praktischen Teil werden sechs Bereiche besprochen: Ernährung, Stress, Körpertraining, Meditation, Schlaf und Emotionen.
In jedem Bereich werden leichte und schwere Entscheidungen angeboten, mit der Empfehlung, mit einer leichten Veränderung pro Woche zu beginnen und nacheinander die Bereiche durchzuarbeiten, um sich eine Frustration durch zu viele gleichzeitige, aber nicht durchhaltbare Veränderungen zu ersparen. Den Empfehlungen liegen ausreichend wissenschaftliche Studien zugrunde, sodass der positive Einfluss dieser Lebensstilveränderungen als gesichert gelten kann. Schließlich werden noch Veränderungsmöglichkeiten aufgeführt, die als experimentell einzustufen sind, da sie zwar plausibel erscheinen, aber noch nicht genügend durch Studien abgesichert sind.
Die große Bandbreite der Empfehlungen erlaubt es sowohl Anfängern beim Einstieg in einen bewußten Lebensstil als auch Menschen, die schon länger auf dem Wege sind, passende und herausfordernde Aufgaben zu finden – von „Trinke weniger Alkohol“ und „Vermeide es, vor dem Schlafengehen fernzusehen“ bis hin zu „Ich wähle eine glutenfreie Ernährung“ oder „Werde jemand, der Stress heilt“.
Eine gute Hilfe stellen auch die Ausführungen über Entzündung dar, nebst einer Liste entzündungshemmender Lebensmittel – ein Thema, das in Bezug auf chronische Krankheiten hoch aktuell ist. Dasselbe gilt für die Hinweise auf Glutensensibilität.
Insgesamt geben die Autoren in allen Bereichen viele wissenschaftlich belegte und alltagsrelevante Hinweise auf Lebensstilveränderungen.
Als Motto des Buches kann gelten, was die Autoren im Kapitel Körpertraining als Geheimnis des Erfolges anführen: Nicht aufhören. Beständigkeit ist der Schlüssel des Fortschritts, unbeirrt von unvermeidbaren Rückschlägen.
Den Abschluss des Buches bildet ein lesenswerter Anhang über den aktuellen Forschungsstand der Epigenetik bei chronischen Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Alzheimer etc.
Fazit: Ein äußerst lesenswertes Buch, eine gelungene Synthese zwischen solider Wissenschaft und Alltag, zwischen West und Ost.
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