Jeder weiß, dass unsere Sonne für die Jahreszeiten verantwortlich ist. Allerdings herrscht während der größten Sonnenferne bei uns auf der nördlichen Halbkugel nicht etwa Winter, sondern Sommer. Einige von Ihnen haben sicher schon von den Sonnenflecken und deren Einfluss auf die Erde und auch auf den Menschen gehört. Lawrence Joseph ist bei einem Diagramm, das die Sonnenfleckenaktivität der letzten zwölftausend Jahre zeigt, stutzig geworden und nimmt es als Ausgangspunkt für seine weitaus größere Hypothese einer „launischen Sonne“:
„Nichts, nicht einmal der Sonnenschein, [ist] vom Gesetz des Wandels ausgenommen. Willkürliche Schwankungen im Verhalten der Sonne verändern den Lauf der Geschichte, beeinflussen unser tägliches Leben und bestimmen unsere Zukunft sowohl in den kleinsten Kleinigkeiten als auch im großen, katastrophalen Stil.“
Diese Theorie dekliniert er in seinem Buch einmal durch – Geschichte, Gegenwart und Zukunft über Mythologie, Kunst, Astronomie, Meteorologie, Physik, moderne Technik und Medizin bis hin zu außersinnlicher Wahrnehmung. Er hat sich einiges vorgenommen.
Seine Argumentation bezüglich des Endes der letzten Eiszeit durch erhöhte Sonnenaktivität ist im Grunde sehr naheliegend und die Kapitel zur mittelalterlichen Warmzeit und folgenden kleinen Eiszeit sind äußerst lesenswert. Die aktuelle Klimadebatte analysiert er sachlich, kritisch und sehr kenntnisreich, und obwohl er selbst eine klare Position vertritt, will er vor allem die Diskussion weiter offenhalten. Von den Wirkungen der Sonne auf den menschlichen Organismus, besonders auf unsere Gehirntätigkeit, haben einige vielleicht schon gehört (Anleger an der Börse sollten das unbedingt wissen), vieles liest sich aber dennoch wie Sciencefiction.
Josephs Lieblingsthema sind eindeutig die Gefahren, die durch einen solaren elektromagnetischen Puls (EMP) zustande kommen können. Dieses Damoklesschwert hängt bei jeder solaren Aktivitätsphase über der gesamten Menschheit und kann, obwohl lange bekannt, noch immer zumindest die westlichen stromabhängigen Industrienationen innerhalb kurzer Zeit um mindestens zweihundert Jahre zurückwerfen – und nebenbei noch die Bevölkerung in dieser Region dezimieren.
Die beiden letzten Kapitel fand ich am interessantesten. Hier geht Joseph auf Forschungsergebnisse ein, die die Wissenschaft vor echte Rätsel stellen, wie z. B. das „Sonnensturmbarometer“. Einer der beteiligten Forscher kommentierte:
„Was wir hier vermuten ist, dass etwas, was etwas, das nicht wirklich mit irgendetwas interagiert, etwas verändert, was unveränderbar ist.“
Für die Lösung dieses Problems ist wahrscheinlich noch ein Nobelpreis zu holen, vielleicht aber auch erst einmal nur eine Verurteilung als Ketzer.
Was sich insgesamt wie ein loses Konglomerat aus Fachartikeln, Interviews, eigenen Erfahrungen und ein paar wilden Ideen anhören mag, gewinnt seine innere Homogenität aus der Fähigkeit des Autors, neugierig und ohne Scheuklappen querfeldein zu denken, die Themen aus den einzelnen Fachgebieten zu einem Ganzen zu verbinden und über den Tellerrand hinaus faktenbasiert zu spekulieren. Das hat mir zwar stilistisch nicht immer zugesagt, aber so etwas ist ja bekanntlich Geschmackssache.
Im Grunde unternimmt Joseph den Versuch, den Menschen, der sich in Gottes biblischem Auftrag „die Erde untertan macht“ vom Thron zu stoßen. Wir sind Teil eines größeren Systems und darin bei Weitem nicht der Chef. Das nennt er schließlich auch eine „kopernikanische Wende“. Dieses Buch ist ein erster Schritt dorthin.
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