In turbulenten Zeiten wird die Gesellschaft anfällig für falsche Bedeutungsgeber, die uns aus unserer Verwirrung zu erlösen versprechen. Sie bieten uns an, komplexe und chaotische Sachverhalte herunterzubrechen und uns einfache Erklärungen für das zu liefern, was gerade vor sich geht. Sie sagen uns, was real ist und was nicht und wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Sie postulieren eine einheitliche Erklärungslogik, um mit der Unordnung in einer chaotischen Welt aufzuräumen.
In Bereichen, in denen Uneinigkeit besteht, versuchen sich bezeichnenderweise alle Seiten an diesem Unterfangen. So steht Narrativ gegen Narrativ, und schon befinden wir uns mitten in dem uns inzwischen vertrauten Krieg der Narrative.
Meistens kommt eine Strategie zum Einsatz, die den Sachverhalt vereinfacht: Man identifiziert einen Bösewicht und schiebt ihm alles in die Schuhe. In der Geopolitik verlangt dies, die gesamte vorausgegangene Geschichte zu löschen, um Saddam Hussein, Baschar Al-Assad, Nicolás Maduro oder Wladimir Putin für die jeweils jüngste Krise verantwortlich machen zu können. Basierend auf derselben Geisteshaltung sollen auch bestimmte Gruppen oder Ethnien als Verantwortliche für die sozialen Probleme herhalten, in denen sie eine Rolle spielen, seien es Immigranten, Russen, Weiße, Schwarze, Moslems oder Israelis. Wirtschaftliche Probleme kann man Klaus Schwab, Bill Gates und anderen Milliardären, der Federal Reserve oder dem Weltwirtschaftsforum (WEF) anlasten. Um die ökologische Krise zu erklären, greift man unisono auf eine durch Treibhausgase induzierte Erderwärmung zurück. Geht es um die öffentliche Gesundheit, so wird die Rolle des Bösewichts den Impfgegnern, Anthony Fauci, Pfizer oder finsteren Verschwörungsmächten zugeschoben, die nach der Weltherrschaft trachten.
Deutlich kann man diese Mentalität in Aktion erleben, wenn man geschichtliche Hintergründe oder bestimmte Nuancen in die Unterhaltung einbringt, denn dann folgt sogleich der Vorwurf, das Narrativ der bösen Seite „entschuldigen“ zu wollen. Wenn jemand obsessiv versucht, einen üblen Charakter als den Verursacher einer Situation hinzustellen, wird er feindselig reagieren, wenn man auf einen entgegenstehenden Zusammenhang hinweist, der diese Identifizierung verwässert.
Sobald sich die Bevölkerung einmal an dieses Muster von Gut gegen Böse gewöhnt hat, kann man sie leicht manipulieren. Es wird sich jedoch nichts an irgendwelchen Systemen ändern, solange mitfühlende Menschen von einem Schurken zum nächsten jagen, ohne jemals den Kontext zu erfassen, der es solchen Schurken überhaupt erst ermöglicht, an die Macht zu kommen. Außerdem gehört der Bösewicht meist einfach einer Untergruppe der Gesamtbevölkerung an, die damit letztlich ihre gesamte politische Energie darauf verwendet, einen Kreuzzug gegen sich selbst zu führen. Das ist eine recht probate Methode, um die Macht des Volkes zu neutralisieren.
Wer zettelt solche Pläne zur Neutralisierung der Volksmacht an? Nach einem bestechend einfachen und in diesen turbulenten Zeiten weitverbreiteten Narrativ kontrolliert eine diabolische Verschwörung einfach alles. Sie zieht die Fäden bei allen Politikern, manipuliert die Finanzmärkte, erschafft künstlich Pandemien und Kriege – und das alles als Teil eines unerbittlichen Gesamtplans zur Unterjochung der Welt. Das Chaos und die Schrecknisse der Welt lassen sich auf eine einfache Erklärung reduzieren: die verborgene Hand. Dieser reduktionistischen Interpretation kann ich mich nicht anschließen, weil sie zu vieles ausklammert. Die Ränkespiele entstammen nämlich einer Ebene, die weit jenseits einer bewusst handelnden, für uns erkennbaren Instanz liegt: dem Reich der Mythen. Und in diesem Reich sind auch wir selbst angesiedelt.
Ich möchte daher eine alternative Geschichte anbieten, in der die Handlungen von Klaus Schwab, Bill Gates und der finanztechnokratischen Elite einen Sinn ergeben. Wenn jemand bis hierher gelesen hat und mir trotzdem noch vorwirft, ich will nur das Verhalten dieser Leute entschuldigen, werde ich ihm das krummnehmen. Ich kann Ihnen versichern, dass mein mit einer Million Dollar jährlich entlohnter Beratervertrag mit dem Weltwirtschaftsforum rein gar nichts mit alledem zu tun hat.
Die Geschichte, die ich erzählen werde, hat jedoch ihre psychologische Kehrseite, denn sie nimmt dem Hass den Wind aus den Segeln. (Die Stimulierung der Amygdala durch Hass kann süchtig machen, bietet sie uns doch eine vorübergehende Auszeit von der latenten Wut, die wir angesichts der Unmenschlichkeit des derzeitigen Systems fast alle empfinden.) Die positiven Effekte dieser Betrachtungsweise sind aber das Opfer wert. Wir werden aufhören, gegen Windmühlen anzukämpfen. Wir werden unsere Augen von den schrillen Plattitüden abwenden, die das Narrativ vom Bösewicht mit sich bringt, und wir werden die Mythen und Ideologien klar durchschauen, die es antreiben. Davon ausgehend können wir eine neue Geschichte aufbauen.
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