Anmerkung des Herausgebers
Dieser Artikel ist ein Auszug aus Arthur Firstenbergs gut dokumentiertem Buch „Die Welt unter Strom“, im englischen Original „The Invisible Rainbow“. Das Werk zeichnet die Entwicklung der Elektrizität in unserer Zivilisation und ihre Wechselwirkung mit lebenden Organismen von den 1740er-Jahren bis in die Zeit von WLAN, Handy und Internetsatelliten nach. Auffällig ist, dass immer wieder Krankheitswellen mit der Einführung neuer Technologien korrelieren. Da die Gesundheitsgefährdung durch Elektrizität nach wie vor im öffentlichen Diskurs belächelt oder überhaupt nicht zur Sprache gebracht wird, halten wir es für angebracht, dieses brisante Thema noch einmal in aller Ausführlichkeit zu präsentieren.
Teil 1: Von den Anfängen …
1. Der Geist in der Flasche
Im Jahr 1746 wurden in Europa die ersten Entdeckungen im Bereich der Elektrizität gemacht. Das Leidener Experiment bestand darin, das „elektrische Fluidum“ durch Reiben der Hand an einer sich schnell um die eigene Achse drehenden Glaskugel sichtbar zu machen. Die auf diese Weise erzeugte statische Elektrizität machte in Schulen, auf Jahrmärkten und bei Privatpersonen, die über die finanziellen Mittel zum Erwerb dieses Geräts verfügten, großen Eindruck: Einige erzeugten Lichtbögen, andere kurze Stromschläge.
Das Phänomen war so populär, dass der Hinweis auf mögliche Gefahren der Elektrizität gesellschaftlich nicht für voll genommen wurde, obwohl die Schocks bei einigen Experimentatoren und Versuchstieren Kopfschmerzen, Nasenbluten und Müdigkeit verursachten. Die Gesellschaft wurde von der Elektromanie ergriffen. Auch die medizinischen Einrichtungen rüsteten sich mit der Leidener Flasche (einem Vorläufer des Kondensators) aus, um mit ihr medizinische Experimente durchzuführen, darunter Schwangerschaftsabbrüche.
Auf diese Weise entstand ein völlig neues Wissensgebiet zu den biologischen Auswirkungen der Elektrizität auf Menschen, Pflanzen und Tiere – ein Wissen, das damals viel ausgeprägter war als das unserer heutigen Ärzte, die täglich unter den Auswirkungen von Elektrizität leidende Patienten sehen, ohne sie als solche zu erkennen. Heutzutage wissen viele praktizierende Mediziner nicht einmal, dass dieses Wissen überhaupt existiert.
2. Taube werden hören und Lahme werden gehen
Als Forscher und Ärzte feststellten, dass elektrische Spannung sich – selten positiv, viel häufiger aber negativ – auf lebende Organismen auswirkte, schlossen sie daraus, dass Elektrizität eine wichtige Funktion in lebenden Organismen innehaben muss. Bestimmte Heilungsmethoden wurden mithilfe der Elektrizität entwickelt, so zum Beispiel im Jahr 1851, als der Neurologe Duchenne die Taubheit von Dutzenden von Patienten mit lokalen elektrischen Impulsen behandelte. Insbesondere Alessandro Volta in Italien und andere Forscher in der westlichen Welt konnten in Experimenten nachweisen, dass sich die Nerven-, Herz-, Kreislauf- und Geschmackssysteme sowie die Schweißproduktion und andere Körperfunktionen durch die von galvanischen Kopplungen erzeugte Elektrizität stimulieren ließen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Anzahl der heilenden Wirkungen deutlich geringer war als die aufgeführten schädlichen Wirkungen, zu denen unter anderem die heute bekannten Symptome der Elektrosensibilität (ES) wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, geistige Verwirrung, Müdigkeit, Depressionen und Schlaflosigkeit gehören.
3. Elektrosensibilität
Der französische Botaniker Thomas-François Dalibard, der elektrische Experimente an lebenden Organismen durchführte, gestand 1726 in einem Brief an Benjamin Franklin, dass er seine Arbeit nicht fortsetzen könne, da sein eigener Organismus eine Unverträglichkeit gegenüber Elektrizität entwickelt habe. Er war einer der ersten Menschen, bei dem offiziell eine Elektrohypersensibilität (EHS) diagnostiziert wurde. Liest man seinen Bericht, wird klar, dass dieser Botaniker schwer betroffen gewesen sein muss.
Andere Professoren und Forscher machten die gleiche unglückliche Erfahrung und waren daher gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Sogar der berühmte Benjamin Franklin wurde während seiner Forschungen zur Elektrizität ab 1753 von einer neurologischen Krankheit ergriffen, deren Symptome weitgehend an Elektrohypersensibilität erinnern.
Dies führte dazu, dass es Ende des 18. Jahrhunderts allgemein anerkannt war, dass Elektrizität abhängig von Geschlecht, Körperbau und körperlicher Verfassung des Betroffenen Krankheiten auslösen kann. Darüber hinaus hatte man beobachtet, dass bestimmte Personen stark auf Wetterveränderungen reagierten, die häufig mit elektrischen Veränderungen in der Atmosphäre einhergingen. Die Namen einiger dieser Personen sind auch heute noch bekannt. Unter ihnen finden wir Christoph Kolumbus, Dante, Charles Darwin, Benjamin Franklin, Goethe, Victor Hugo, Leonardo da Vinci, Martin Luther, Michelangelo, Mozart, Napoleon, Rousseau und Voltaire.
4. Die falsche Abzweigung
In den 1790er-Jahren befand sich die Wissenschaft in einer Identitätskrise hinsichtlich der Interpretation und Vereinigung der vier Fluida: Elektrizität, Licht, Magnetismus und Wärme. Im Bereich der Elektrizität gab es einerseits Luigi Galvani, der sie als integralen Bestandteil des lebenden Organismus betrachtete, und andererseits Voltas Theorie, dass die Elektrizität nur ein „sekundärer“ Effekt der internen chemischen Reaktionen im lebenden Organismus sei. Volta, der Erfinder der äußerst nützlichen elektrischen Batterie, die das Potenzial hatte, sich zu einem wahren Dukatenesel zu entwickeln, konnte sich gegen die weltweit verbreitete Sichtweise durchsetzen, dass Elektrizität einen Einfluss auf lebende Organismen hat.
5. Chronisch krank durch Elektrizität
Ab Ende des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Städte in den Industrieländern durch den Bau von Telegrafenleitungen. Bei dieser Technologie wurden Spannungen in der Größenordnung von 80 Volt in einem einzigen Draht verwendet, wobei der Rückstrom direkt geerdet war, die Erde selbst also den Stromkreis vervollständigte.
In dieser Zeit waren Lebewesen zum ersten Mal Streustrom ausgesetzt, und es traten neue Zivilisationskrankheiten wie die Neurasthenie auf, an der unter anderem Frank Lloyd Wright und Theodore Roosevelt litten. Am Rande sei bemerkt, dass die Neurasthenie der Elektrohypersensibilität sehr ähnlich ist – EHS ist lediglich die modernere Bezeichnung für die gleiche Empfindlichkeit gegenüber Elektrizität. Etwa die Hälfte der Telegrafisten, die mit dem elektrischen Strom in den Leitungen arbeiteten und somit sehr starken elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren, erkrankte am „Telegrafistenkrampf“. Auch hier waren die Symptome die gleichen wie bei der EHS. Später, um 1915, waren es die Telefonisten, die unter den gleichen Symptomen litten, denn sie waren an ihren Arbeitsplätzen stundenlang den elektromagnetischen Feldern der Kommunikationssysteme ausgesetzt. Im Jahr 1989 wurde festgestellt, dass 47 Prozent der Telefonisten in Winnipeg unter den gleichen Symptomen litten.
1894 schrieb der bekannte Wiener Psychiater Sigmund Freud jedoch einen Artikel, der für alle Unglücklichen, die am Telegrafistenkrampf, an Neurasthenie, der Radiowellenkrankheit oder EHS litten, verheerende Folgen hatte. Anstatt die äußere Ursache – die elektromagnetische Verschmutzung – ins Auge zu fassen, führte er diese Symptome auf Gedankenstörungen und außer Kontrolle geratene Emotionen zurück. Infolgedessen werden heute Millionen von Bürgern, die vom Elektrosmog betroffen sind, mit Medikamenten behandelt, anstatt ihre Belastung durch diesen Schadstoff zu verringern. Sigmund Freud benannte die Neurasthenie, die schon damals bekanntermaßen durch Elektrizität verursacht wurde, in „Angstneurose“ oder „Angstattacken“ um. Damit war der Weg frei für den rücksichtslosen Einsatz der Elektrifizierung, der ungehindert fortgesetzt werden konnte.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in Russland die Neurasthenie als Umwelterkrankung aufgeführt wird, da Freuds schädliche Neudefinition dort keine Zustimmung fand.
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