Nur keinen Aufstand! PsyOps, das Internet und die Jagd auf Ihr Gehirn (Teil 1)

Broadbery 101 Aufstand TeaserWer in der Historie von Datenkraken wie Google oder Facebook buddelt, muss sich zwicken: Nicht nur die Anstoßfinanzierungen kommen von Geheimdiensten und Militär, auch die Ideen sind geklaut. So gab es etwa das DARPA-Projekt LifeLog, ein permanentes durchsuchbares elektronisches Tagebuch für jedermann, das just in dem Jahr eingestellt wurde, als Facebook auf den Markt kam. Auch andere Big-Data-Projekte wie das IAO oder MDDS verschwanden seltsamerweise parallel zum Wachstum des Silicon Valley.

Hinter all dem steckt ein Puzzle aus PsyOps und Sozialingenieurskunst – Dustin Broadbery versucht, die Teile in diesem Zweiteiler zusammenzusetzen.

Hinweis d. Red.: Die zweiteilige Version des Artikels von Dustin Broadbery können Sie hier herunterladen und gern weiterverbreiten.

Ein Blick ins Maul des geschenkten Gauls

Als die digitale Revolution Mitte der 1990er-Jahre angelaufen war, entwickelten die Forschungsabteilungen von CIA und NSA Programme, um die Nützlichkeit des World Wide Web als Instrument zur Erfassung von sogenannten „Birds of a Feather“-Gruppierungen zu prognostizieren. Die englische Wendung, die sich in der deutschen Redensart „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ wiederfindet, wurde von Vogelschwärmen inspiriert, die sich plötzlich in rhythmischen Mustern gemeinsam bewegen.

Die Geheimdienstler interessierten sich vor allem für die Frage, wie diese Prinzipien die gemeinsame Bewegung von Menschen im aufkommenden Internet beeinflussen würden: Sollten sich Gruppen und Gemeinschaften tatsächlich wie Vogelschwärme verhalten, sodass man sie organisiert beobachten und verfolgen konnte? Und wenn sich ihre Bewegungen indizieren und aufzeichnen ließen – könnte man die betreffenden Personen später anhand ihrer digitalen Fingerabdrücke identifizieren?

Um diese Fragen zu beantworten, riefen CIA und NSA eine Reihe von Initiativen unter der Sammelbezeichnung Massive Digital Data Systems (MDDS)1 ins Leben, die aufstrebende Unternehmer im Technologiesektor über ein universitätsübergreifendes Ausschüttungsprogramm finanzieren sollte. Die erste nicht geheime Einweisung für Computerwissenschaftler erhielt den Namen „Birds of a Feather“ und fand im Frühjahr 1995 im kalifornischen San José statt.

Die „Gleich und gleich gesellt sich gern“-Theorie sollte durch die Einrichtung einer umfangreichen digitalen Bibliothek samt Indexierungssystem auf Basis des Internets weiterentwickelt werden. Zu den ersten Zuschussempfängern des Programms gehörten zwei Doktoratsstudenten der Stanford University namens Sergey Brin und Larry Page. Die beiden hatten bedeutende Fortschritte bei der Entwicklung einer Technologie zur Bestimmung der Relevanz und des Rankings von Websites gemacht, mit der sich die Onlineaktivitäten der Nutzer verfolgen ließen.

Diese Ausschüttungen – plus 4,5 Millionen Dollar2 in Form von Zuschüssen eines Konsortiums aus mehreren Behörden wie NASA und DARPA – bildeten die Start­finanzierung für Google.3

Später wurde MDDS in die weltweiten Abhör- und Data-Mining-Aktivitäten der DARPA integriert, mit denen man eine totale Informationsüberwachung der US-Bürger anstrebte. Nur wenige Menschen verstehen das Ausmaß, in dem Silicon Valley das Alter Ego des Pentagons ist; und noch weniger erkennen die Auswirkungen, die das auf den sozialen Bereich hatte. Doch diese Geschichte beginnt nicht mit Google oder dem militärischen Ursprung des Internets, sondern reicht viel weiter zurück, bis zu den Anfängen der Aufstandsbekämpfung und der psychologischen Operationen – PsyOps – im Zweiten Weltkrieg.

PsyOps – die Anfänge

Der Historikerin Joy Rohde zufolge sagte ein renommierter Physiker im Jahr 1961 zu US-Verteidigungsminister Robert McNamara:

„Den Ersten Weltkrieg könnte man als Krieg der Chemiker und den Zweiten Weltkrieg als Krieg der Physiker betrachten, doch der Dritte Weltkrieg […] muss wohl als Krieg der Soziologen gelten.“4

Die Schnittstelle zwischen der Soziologie und den Militärgeheimdiensten wurde von der US Army bereits während des Ersten Weltkriegs erkannt, als der vor dem Krieg als Journalist aktive Captain Heber Blankenhorn die Psychologische Unterabteilung im Kriegsministerium der Vereinigten Staaten zur Koordination der Kampfpropaganda gründete.

Diese sogenannten Grauzonen­einsätze erreichten ihren Höhepunkt im Zweiten Weltkrieg, als Militärstrategen, aufbauend auf den während des Krieges durchgeführten Forschungen zur Massenpsychologie,5 über das Amt für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (OSRD) Sozialwissenschaftler in die Kriegsanstrengungen einbanden. Das OSRD sammelte Informationen über das deutsche Volk und entwickelte Propaganda und Operationen der psychologischen Kriegsführung (PsyOps), um dessen Moral zu senken. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt im Jahr 1942, als die amerikanische Bundesregierung zum führenden Arbeitgeber von Psychologen in den USA wurde.

Das OSRD verwaltete anfangs das Manhattan-Projekt und war für wichtige technische Entwicklungen während des Kriegs – zum Beispiel das Radar – verantwortlich. Geleitet wurde die Behörde vom Ingenieur und Erfinder Vannevar Bush. Bush war ein Hauptakteur in der Geschichte der Computertechnik und ist für sein Konzept des Memex bekannt. Dieses frühe hypothetische Computersystem sollte die Bücher, Aufzeichnungen und anderen Informationen eines Nutzers speichern und indizieren; in den folgenden 70 Jahren inspirierte es die meisten wichtigen Fortschritte in der Entwicklung des Personal Computers.

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs tauchte eine neue Bedrohung aus dem vom Krieg verwüsteten Europa auf. Sozialwissenschaftler und Soldaten taten sich also neuerlich zusammen, um gegen einen unsichtbaren und aggressiv expansionistisch agierenden Gegner zu kämpfen – der Feind war nun die Sowjetunion.

In den sowjetischen Satellitenstaaten in Europa und den in Asien, Afrika und Lateinamerika vom Kommunismus bedrohten Ländern waren Spezialeinsätze – wie man sie später bezeichnete – eine eher undurchsichtige Kategorie militärischer Aktivitäten, die psychologische und politische Kriegsführung, Guerillaeinsätze und Aufstandsbekämpfung umfassten. Zur Mobilisierung dieser „Sonderkriegstaktiken“ richtete das US-Militär 1951 die Dienststelle des Leiters der psychologischen Kriegsführung (OCPW) ein, dessen Aufgabe darin bestand, Psywarriors – Psychokrieger – als Personal zu rekrutieren, organisieren, auszurüsten und auszubilden sowie ideologisch zu unterstützen.6

Leiter der Dienststelle war General Robert McClure, ein Gründervater der psychologischen Kriegsführung und Freund des Schahs von Persien, der maßgeblich am Sturz von Mohammad Mossadegh beim iranischen Militärputsch im Jahre 1953 beteiligt war. Wesentlich für die Projekte von McClures OCPW war eine halb­akademische Institution, die seit Langem mit dem Militär zusammenarbeitete: die Human Relations Area Files (dt. etwa: Gebietsakten zu zwischenmenschlichen Beziehungen; HRAF).7

HRAF

Die HRAF wurden vom Anthropologen und späteren FBI-Informanten George Murdock zu dem Zweck gegründet, Daten über primitive Kulturen in aller Welt zu sammeln und standardisieren. Die Forscher der Institution arbeiteten im Zweiten Weltkrieg eng mit dem Marinegeheimdienst bei der Erstellung von Propagandamaterial zusammen, das den USA bei der Befreiung der Pazifikstaaten von japanischer Kontrolle helfen sollte. Bis 1954 war die Abteilung zu einem interuniversitären Konsortium aus 16 akademischen Institutionen angewachsen, das Geldmittel von der US Army, der CIA und privaten Philanthropen erhielt.

1954 schloss das OCPW einen Vertrag mit den HRAF über die Abfassung einer Serie von Handbüchern zur speziellen Kriegsführung ab, die als wissenschaftliche Arbeiten getarnt waren. Diese Werke zielten darauf ab, den intellektuellen und emotionalen Charakter strategisch bedeutender Menschen zu verstehen, insbesondere deren Gedanken, Motivationen und Handlungen. Ganze Kapitel waren den Einstellungen und dem subversiven Potenzial ausländischer Staatsangehöriger gewidmet; andere Kapitel befassten sich mit Methoden zur Verbreitung von Propaganda in den jeweiligen Zielländern, etwa über die Presse, das Radio oder als Mundpropaganda. Das war natürlich alles Jahrzehnte vor dem Internet.

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