Die Forschungsstelle für Spezialeinsätze
1956 ging aus diesen Programmen das Special Operations Research Office (SORO) hervor, die Forschungsstelle für Spezialeinsätze. SORO hatte den Auftrag, die Taktiken der psychologischen und unkonventionellen Kriegsführung der US Army im Kalten Krieg zu verwalten und die Arbeit der HRAF auf die nächste Stufe zu bringen. SORO machte sich an die monumentale Aufgabe, die politischen und sozialen Ursachen einer kommunistischen Revolution, die Gesetze des sozialen Wandels sowie die Theorien der Kommunikations- und Überzeugungsarbeit zur Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung zu definieren.
SORO war ein zentraler Bestandteil der Militarisierung der Sozialforschung durch das Pentagon und vor allem jener Ideen und Doktrinen, die den allmählichen Wandel zu einer von Amerika geführten Weltordnung einleiteten. Das SORO-Forschungsteam war am Campus der American University in Washington, D.C., stationiert und bestand aus den bedeutendsten Intellektuellen und Akademikern dieser Zeit. Diese Mannschaft aus Psychologen, Soziologen und Anthropologen vertiefte sich in die Theorie sozialer Systeme, in die Analyse der Gesellschaft und Kultur zahlreicher Zielländer, vor allem in Lateinamerika,8 und setzte sich gleichzeitig mit den universellen Gesetzen sozialen Verhaltens sowie den Mechanismen von Kommunikation und Überzeugungsarbeit in jedem Land auseinander. Wäre die US Army dazu imstande, die psychologischen Faktoren hinter einer Revolution zu verstehen, dann könnte sie theoretisch Revolutionen vorhersagen und aufhalten, bevor sie wirklich in Gang kämen.
SORO war Teil eines sich rasant ausdehnenden Netzwerks staatlich finanzierter Forschungszentren, durch die die akademische Welt zunehmend auf nationale Sicherheitsinteressen ausgerichtet wurde. Diese als „SORONs“ bekannten Einrichtungen arbeiteten an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Staat und setzten sich für eine von Experten gelenkte Demokratie ein. Dass der Totalitarismus nicht fern ist, wenn Sozialingenieure und Technokraten die Kontrolle über Gedanken, Handlungen und Werte des einfachen Volkes erlangten, war ihnen dabei egal.
In der Frühzeit des Kalten Krieges waren solche Akademiker und Wissenschaftler an der Schnittstelle zwischen Militär und akademischer Welt vielmehr fest davon überzeugt, dass Intellektuelle die Geopolitik leiten sollten. Man akzeptierte dies allgemein als die stabilste Regierungsform, um die freie Welt ins nächste Jahrhundert zu führen. Das erklärt, wie es zum heutigen Begriff des „wissenschaftlichen Konsens“ kommen konnte – oder zumindest zu politischen Maßnahmen, die sich als Wissenschaft ausgeben. Vieles, was in diesem goldenen Zeitalter der militarisierten Sozialforschung erreicht wurde, prägt das 21. Jahrhundert, vom Biosicherheitsstaat bis hin zur zutiefst fundamentalistischen Klimaforschung,
Im Jahr 1962 waren bereits 66 staatlich finanzierte militärische Forschungseinrichtungen in Betrieb. Von 1951 bis 1967 verdreifachte sich ihre Zahl, und ihre Finanzierung stieg von 122 Millionen auf 1,6 Milliarden Dollar an.
Nationale Sicherheit über alles
Als sich in den 1960er-Jahren jedoch der Widerstand gegen den Vietnamkrieg verstärkte, waren immer mehr Intellektuelle, politische Entscheidungsträger und Akademiker zunehmend darüber besorgt, dass der Nationale Sicherheitsstaat sich genau in die staatsfixierte, nach der Weltmacht strebende Kraft verwandelte, gegen die er im Kalten Krieg gekämpft hatte. Vom Pentagon finanzierte Sozialwissenschaftler wurden nun öffentlich als technokratische Sozialingenieure kritisiert. Dies löste eine Welle des Unmuts über die Militarisierung der Sozialforschung aus, die ganz Amerika erfasste und 1969 darin gipfelte, dass die Verwaltung der American University SORO von ihrem Campus verbannte sowie die Beziehung zu ihren militärischen Partnern abbrach. Dieser Schritt war ein Zeichen für die sich ändernde Haltung gegenüber Grauzoneneinsätzen und führte dazu, dass in den 1960er- und 1970er-Jahren immer mehr US-Universitäten die Kooperation mit militärischen Forschungszentren auf ihrem Gelände beendeten. Das Militär musste sich also anderswo umsehen – und wandte sich in Sachen alternative Kriegsführung der Privatwirtschaft zu. Im Gefolge einer lange währenden Tradition der öffentlich-privaten Zusammenarbeit auf dem militärischen Sektor, von der Rand Corporation bis zur Smithsonian Group, waren diese halbprivaten Institutionen seit den 1940er-Jahren aus dem Militär ausgegliedert worden.
Project Camelot
Eines der von SORO konzipierten Programme hieß „Methoden zur Vorhersage und Beeinflussung von sozialem Wandel und Bürgerkriegspotenzial“. Dieses bahnbrechende Programm trug den Codenamen Project Camelot, sollte die Ursachen sozialer Revolutionen untersuchen und im Rahmen der Verhaltenswissenschaft Maßnahmen ermitteln, die man zur Unterdrückung von Aufständen ergreifen könnte. Das Ziel war laut Verteidigungsexpertin Joy Rohde, ein „Radarsystem zur Erfassung linker Revolutionäre zu entwickeln“, eine Art „computerisiertes Frühwarnsystem, das politische Bewegungen prognostizieren und verhindern könnte, bevor sie überhaupt richtig in Gang kommen“.
„Dieses Computersystem“, schreibt Rohde, „könnte aktuelle Informationen mit einer Liste von Voraussetzungen abgleichen, sodass man Revolutionen beenden könnte, bevor deren Anstifter überhaupt wissen, dass sie sich auf den Weg der Revolution begeben haben.“9
Die im Rahmen von Project Camelot gesammelten Forschungsergebnisse sollten Vorhersagemodelle für den revolutionären Prozess erstellen und ein Profil dessen anfertigen, was Sozialwissenschaftler für „revolutionäre Tendenzen und Eigenschaften“ hielten. Man erwartete, dass dieses Wissen die militärische Führung nicht nur dabei unterstützen würde, den Verlauf des sozialen Wandels vorherzusehen, sondern sie auch in die Lage versetzen könne, wirksame Interventionen zu entwerfen, die diesen Wandel theoretisch in eine bestimmte Richtung lenken oder unterdrücken würden. All diese Bemühungen sollten natürlich auf die jeweiligen außenpolitischen Interessen der USA ausgerichtet sein.
Die Informationen, die von Project Camelot zusammengetragen wurden, sollten in eine große computerisierte Datenbank für Prognosen, Social Engineering und Aufstandsbekämpfung einfließen, auf die Militär und Geheimdienste jederzeit Zugriff haben würden.
Das Projekt wurde jedoch von Kontroversen überschattet, als südamerikanische Akademiker erkannten, dass es vom Militär finanziert wurde und imperialistische Motive dahintersteckten. Die folgende Gegenreaktion führte dazu, dass Project Camelot – wenigstens nach außen hin – eingestellt wurde. Doch der Kern des Projekts überlebte. Mehrere militärische Forschungsprojekte griffen das „Frühwarnradar zur Erfassung linker Revolutionäre“ von Project Camelot auf, und die computerisierte Datenbank für „Prognosen, Social Engineering und Aufstandsbekämpfung“ regte in den darauffolgenden Jahren die weitere Entwicklung einer neu aufkommenden Technologie an, die schließlich unter dem Namen Internet weltbekannt werden sollte.
Der militärische Ursprung des Internets
Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges10 betrieben die Kommandostellen des US-Militärs den Aufbau eines dezentralen Computer-Kommunikationssystems ohne fixe Operationsbasis oder Hauptquartier, das einem sowjetischen Angriff standhalten konnte, ohne zu versagen und das gesamte Netzwerk mit in den Untergang zu reißen.
Koordiniert wurde das Projekt von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die Präsident Eisenhower im Jahr 1958 geschaffen hatte, um Technologien zu entwickeln, die die Grenzen von Wissenschaft und Technik erweitern und den USA helfen sollten, die „Raketenlücke“ gegenüber der Sowjetunion zu schließen.
Seit dem Kalten Krieg stand die DARPA an der Spitze aller wichtigen Fortschritte in der Entwicklung des PCs, die 1969 mit der Einführung der ersten Computer in den Universitäten der USA ihren Höhepunkt erreichte. Ein paar Jahre danach entwickelte die DARPA die Protokolle, mit denen angeschlossene Computer transparent über mehrere Netzwerke hinweg miteinander kommunizieren konnten. Dieses „Internetting Project“ führte zum prototypischen DARPA-Kommunikationsnetzwerk – dem ARPANET, das 1973 ins Leben gerufen wurde.
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