Nizza: Anatomie eines Anschlags (Teil 1)

NizzaNizza, 14. Juli 2016. In den Abendstunden des französischen Nationalfeiertags macht der radikalisierte Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit einem gemieteten Lkw Jagd auf Passanten und rast in eine ausgelassene Menschenmenge. Nur wenige Minuten dauert die zwei Kilometer lange Amokfahrt auf der Promenade des Anglais, dann wird der Täter durch das beherzte Eingreifen der Staatspolizei gestoppt.

Es stellt sich auch die Frage, welche Angabe er gegenüber den französischen Behörden machte. Die Untersuchungsbeamten hätten das iPhone mit seiner eidesstattlichen Aussage als Beweismaterial in die Akten aufnehmen müssen – alles andere ist vor Gericht nicht haltbar. Es sei denn, es gab gar keine Untersuchung und niemand, weder Polizei noch Staatsanwaltschaft, kümmerte sich um die Zeugenaussage eines boche, eines Deutschen, der in Nizza urlaubte.

So oder so wirft es weder ein gutes Licht auf die französische Behörde noch auf die leichtgläubigen Medien, die die Zeitangaben Richard Gutjahrs in keiner Weise hinterfragten bzw. später richtigstellten. So hege ich den Verdacht, dass beispielsweise Spiegel Online und die ARD die Startzeit der Amokfahrt auf 23:00 Uhr geändert haben, um im Einklang mit den (falschen) Zeitangaben ihres Kollegen Richard Gutjahr zu stehen.

Ein weiterer Widerspruch besteht auch in der Zeitangabe bezüglich dem Ende des Feuerwerks. Wenn wir davon ausgehen, dass das Feuerwerk um 22:20 Uhr beendet war, dann irrte sich Richard Gutjahr um mehr als eine halbe Stunde. Da er das Feuerwerk filmte, sollte er eigentlich wissen, wann es losging und wann es endete – hierzu müsste er ebenfalls nur die Uhrzeit der Videoclip-Speicherung samt Dauer von seinem Smartphone ablesen.

In einem Artikel der SZ vom 6. September 2016 mit dem Titel „Richard Gutjahr kämpft seit dem Münchner Amoklauf gegen Verschwörungstheorien“35 heißt es gleich zu Beginn:

„Noch ein letztes kurzes Video will Richard Gutjahr am 14. Juli aufnehmen, als er einen weißen Lkw bemerkt. Es ist kurz nach22:30 Uhr, der Tag in Nizza ist fast vorbei.“

Am Ende des Artikels finden wir folgenden redaktionellen Eintrag:

„Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, dass Richard Gutjahrs Video in Nizza um kurz nach 23 Uhr gefilmt wurde. Richtig ist: Das Video wurde kurz nach 22:30 gedreht. Der Artikel wurde entsprechend aktualisiert.“

Wie ist diese redaktionelle Aktualisierung zu verstehen? Fakt ist, dass Richard Gutjahr mehrmals live im TV die Zeitangaben „gegen 23 Uhr“ und einmal „genau 23 Uhr und 7 Minuten“ machte. Somit würde die Angabe im Originalartikel „kurz nach 23 Uhr“ mit seinen Aussagen übereinstimmen. Merkwürdigerweise aktualisierte die Redaktion im Nachhinein die Zeitangabe im Artikel auf kurz nach 22:30 Uhr, ohne dafür eine Erklärung abzugeben. Somit gibt es auch hier wieder einen Widerspruch mit Richard Gutjahrs getätigten Zeitangaben.

Lokalzeitung Nice-Matin: Widersprüche in den Zeitangaben

Wenn wir annehmen dürfen, dass dieses große Ereignis die nötige mediale Aufmerksamkeit sehr zeitnah erfährt, dann von einer lokalen Tageszeitung wie Nice-Matin. Damien Allemand, ein Reporter der Zeitung, war sogar vor Ort auf der Promenade des Anglais und ist somit ein vortrefflicher Augen- und Ohrenzeuge.

Allemand gibt in einem Interview36 an, dass das Feuerwerk beendet war und die Menge gerade gehen wollte, als er Lärm und danach Schreie hörte:

„Sekundenbruchteile später kam ein riesiger weißer Lkw mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit daher, [der Fahrer] lenkte dabei das Fahrzeug so, dass er möglichst viele Menschen niedermähen würde. Ich sah entlang der Strecke Körper wie Bowlingkegel herumfliegen. Ich hörte Geräusche, Schreie, die ich niemals vergessen werde.“

Allemand sagte weiter, dass er und andere in einem nahe gelegenen Restaurant Schutz gesucht hätten und er weiterhin Menschen nach vermissten Familienmitgliedern schreien hörte. Als er nach draußen ging, sah er entlang der Straße Leichen, Blut und Leichenteile.

Damien Allemand war somit mitten im blutigen und traumatischen Geschehen. Wir dürfen demnach annehmen, dass wir von ihm als Berufsjournalist eine wahre und ungefärbte Bestandsaufnahme erhalten. Doch die erste Überraschung: Sein Arbeitgeber, die Tageszeitung Nice-Matin, setzte erst um 23:00 Uhr die erste twitter-Meldung ab,37 die über Panik und Durcheinander auf der Promenade des Anglais sprach, weil ein Lkw nach dem Feuerwerk in die Menge gerast sei. Es dauerte somit rund 25 Minuten, bis Journalist Allemand und seine Zeitung die Meldung auf twitter in Umlauf brachten.

Da die Zeitung einen verlässlichen Augenzeugen vorweisen konnte, ist es unverständlich, warum andere Medienhäuser nicht auf die lokale Redaktion zugekommen sind. Stattdessen suchten die Journalisten in den sozialen Medien wie besessen nach Augenzeugen, Fotos und Videoclips.

Die französische Nachrichtenagentur AFP, die ebenfalls einen Journalisten vor Ort hatte, meldete um 23:16 Uhr in einer Presseaussendung38, dass ein weißer Lieferwagen / Kleinlaster auf der Promenade des Anglais während des Feuerwerks in die Menge gerast sei. Ist es nicht erstaunlich, dass zwei erfahrene Journalisten zwei unterschiedliche Angaben zum selben Ereignis gemacht haben? Ich meine, es muss doch für einen Augenzeugen auf der Promenade des Anglais offensichtlich gewesen sein, ob das Feuerwerk noch zugange war oder nicht, als das Fahrzeug herangerast kam und in die Menge bzw. am Zeugen vorbei fuhr.

Aber es wird noch merkwürdiger. Auf einer Infografik (1)39 von Nice-Matin ist zu lesen:

„Das Feuerwerk zum 14. Juli ist auf der Promenade des Anglais gerade zu Ende gegangen.

22h45

Ein weißer Lkw fährt auf dem Gehweg in die Menge.

23h00

Der Fahrer wurde erschossen. Er setzte seine Waffe gegen die Polizisten ein. Der Lkw wurde auf Höhe des Palais de la Méditerranée gestoppt.“

Sieht man sich den Live-Blog von Nice-Matin an, stößt man auf eine weitere Infografik (2)40, die am 15. Juli um 01:30 Uhr (rund drei Stunden nach Ende des Feuerwerks) angefertigt und auf die Webseite gestellt wurde. Im Text heißt es:

„Promenade des Anglais: Zwischen 22:30 und 23:00 Uhr ist ein Lkw kurz nach Ende des Feuerwerks in die Menge gerast. Der Lkw wurde auf Höhe des Westminster-Hotels [!] gestoppt, nachdem er zwei Kilometer auf der Promenade des Anglais zurückgelegt hatte.“

Es ist geradezu erschütternd, dass die Redaktion der Lokalzeitung nicht in der Lage war, innerhalb von drei Stunden die korrekten Daten zu ermitteln. Noch dazu, wo zumindest einer ihrer Journalisten vor Ort war und Augenzeugen befragen hätte können. Äußerst merkwürdig ist in der zweiten Infografik die Angabe des Haltepunkts des Lkws mit Hotel Westminster. Es ist jenes Hotel, von dessen Balkon Richard Gutjahr die langsame Fahrt des Fahrzeugs filmte. Da der Videoclip in den sozialen Medien bereits kurz nach der TV-Ausstrahlung um Mitternacht verfügbar gemacht wurde, ist es verwunderlich, dass kein Mitarbeiter von Nice-Matin bemerkt haben soll, dass das Hotel Westminster nicht als Haltepunkt in Frage kommen kann. Auch ist die Zeitangabe (22:30 bis 23:00 Uhr) sehr vage gehalten und ergibt mit dem Zusatz „kurz nach Ende des Feuerwerks“ wenig Sinn, es sei denn, der Lkw benötigte für die zwei Kilometer lange Strecke tatsächlich eine halbe Stunde, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von vier Stundenkilometern entspräche.

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