Mykoplasmen: Das fehlende Puzzleteil in der Pathogenese neurosystemischer Erkrankungen

mykoplasmaDass das US-Militär Biowaffen an Unschuldigen testete und über ganzen Städten ausbrachte, ist heute kein Geheimnis mehr. Doch an was wurde da eigentlich he­rum­gedoktert? Unser NEXUS-Klassiker wirft ein Licht auf das Brucella-Bakterium und dessen zellwandlose Form: ein Mykoplasma, das waffenfähig gemacht worden sein soll.

Ist es möglich, dass dieses Mykoplasma bis heute Unheil anrichtet und einigen „chronischen“ Krankheiten oder ganzen Krankheitswellen zugrunde liegt? Donald Scott war sich vor 20 Jahren recht sicher und liefert düstere Details, die noch immer kaum bekannt sind. Wir veröffentlichen sein originelles Stück zusammen mit einer redaktionellen Einschätzung.

Mykoplaasmen: Missverstandene Mini-Mikroben

Addendum der deutschen Redaktion

Herbst 2024. In den deutschen Medien haben Mykoplasmen Hochkonjunktur. „Ärzte in Sorge: Gefährliche Lungenentzündung durch Mykoplasmen“ titelt der Bayerische Rundfunk; „Zahl der atypischen Lungenentzündungen steigt: Häufig Mykoplasmen als Auslöser“ warnt der Gesundheitskonzern Helios; „Mini-Bakterium kommt zurück: Lungenentzündungen durch Mykoplasmen“ berichtet dieDeutsche Apotheker Zeitung. Das ließ uns in derNEXUS-Redaktion aufhorchen: Wenn Donald Scott mit seinen Ausführungen recht hatte – ist dann das, was wir gerade erleben, eine direkte Folge der Mykoplasma-Biowaffen-Experimente, die er in seinem Artikel beschreibt?

Eine kurze Recherche konnte uns den Glauben, dass in den Hinterzimmern der Regierungen oder des Militärs mit gefährlichen biologischen Waffen experimentiert und hantiert wurde oder wird, nicht nehmen. Dass es aber ausgerechnet Mykoplasmen sind, die, wie Scott annahm, waffenfähig gemacht wurden, scheint wenig wahrscheinlich. Die Gründe dafür erläutern wir Ihnen in diesem aktuellen Addendum zu Scotts Artikel von 2001.

Die Entdeckung der Mykoplasmen

Auf der Suche nach dem Auslöser der Lungenseuche (Pleuropneumonie) bei Rindern postulierte Louis Pasteur in den 1890er-Jahren einen Erreger, der ihm selbst allerdings nicht ins Netz gehen wollte. Im Jahr 1898 gelang es schließlich Edmond Nocard und Émile Roux, den Übeltäter zu isolieren und auf einem komplexen Nährmedium zu kultivieren. Sämtliche Keime, die dem von Nocard und Roux entdeckten ähnelten, bezeichnete man in der Folge zunächst als PPLOs, kurz fürpleuropneumonia-like-organisms(pleuropneumonie-ähnliche Organismen). Wegen ihrer geringen Größe, ihrer Fähigkeit, durch sämtliche damals verwendeten Bakterienfilter zu schlüpfen, und mangels präziserer Bestimmungsmethoden gingen viele Mikrobiologen davon aus, bei den Erregern würde es sich um Viren handeln. Da sich die ersten Kulturen in den Petrischalen sternförmig ausbreiteten und in ihrem Wachstum und ihrer Beschaffenheit an Pilze erinnerten, tauften Amédée Borrel und Kollegen die neuen Erreger im Jahr 1910Asterococcus mycoides(aster= Stern,mykes= Pilz) – ihre wahre Natur, ihre Beziehung zu anderen Organismen und ihr taxonomischer Status blieben allerdings über Jahrzehnte unklar.

Erst 1929 setzte Julian Nowak den GattungsnamenMycoplasmaauf die Karte, der für viele der zellwandlosen Mini-Mikroben bis heute Gültigkeit besitzt. Die Taxonomie wurde in den Folgejahrzehnten weiter präzisiert: „Bergey’s Manual of Determinative Bacteriology“ führt die Vertreter der GattungMycoplasmaseit 1957 als zur Ordnung derMycoplasmataleszugehörig auf – und Jonas Edward etablierte 1967 schließlich die Klasse derMollicutes, der die Vertreter derMycoplasmatalesbis heute angehören. Der BegriffMollicutesist eine Referenz auf die Zellwandlosigkeit der klassenangehörigen Mikro­organismen:Mollisbedeutet weich oder nachgiebig,cutisbedeutet Haut.

Mykoplasmen als Biowaffe?

Scotts Hypothese, nach der Militärforscher Mykoplasmen aus dem Zellkern pathogener Erreger gewonnen und als Biowaffen eingesetzt hätten, erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich bis unmöglich. Es stimmt zwar, dass Mykoplasmen infolge einer degenerativen Evolution aus gram-positiven, wandbildenden Bakterien mutiert sind – allerdings ist das ein evolutionärer Prozess, der sich über Hunderte Millionen Jahre hingezogen hat und nicht im Labor nachgeahmt werden kann. Es gibt allerdings eine andere, den Mykoplasmen sehr ähnliche Bakterienform, die in nahezu allen Punkten mit Scotts Beschreibungen in Einklang steht: die L-Form.

Die L-Form: ein blinder Passagier

Als L-Form bezeichnet man eine Wachstumsform von Bakterien, die ihre Zellwand teilweise oder ganz verloren haben. Die ersten L-Formen isolierte Emmy Klieneberger-Nobel im Jahr 1935; der Buchstabe L steht für das Lister-Institut in London, an dem sie arbeitete. Klieneberger-Nobel interpretierte die L-Formen zunächst als Symbionten und nahm an, sie wären mit den pleuropneumonie-ähnlichen Organismen verwandt, da sie Merkmale wie das Fehlen einer Zellwand und eine ähnliche Morphologie teilen. Aus diesem Grund wurden Mykoplasmen früher manchmal als stabile L-Formen betrachtet. (Stabile L-Formen können sich nicht wieder in ihre Wildform rückverwandeln, bei instabilen L-Formen ist dies grundsätzlich möglich.)

Die Mykoplasmenliteratur in den 1950er- und 1960er-Jahren war voll von Abhandlungen, die ihre Gleichsetzung mit bakteriellen L-Formen unterstützten oder ablehnten. Diese Kontroverse endete erst in den späten 1960er-Jahren. Damals ergaben die ersten genomischen Analysedaten, die mithilfe der DNA-Hybridisierung gewonnen wurden: Eine Verwandschaft von Mykoplasmen mit stabilen L-Formen noch heute existenter wandbildender Bakterien ist ausgeschlossen.

Der Hauptunterschied zwischen Mykoplasmen und L-Formen besteht darin, dass der Verlust der Zellwand offenbar nur ein Schritt in einem langwierigen Prozess der Mykoplasmen-Evolution war, der viele weitere Schritte umfasste, die zu einer deutlichen Verkleinerung des Genoms führten. Die heutigen L-Formen hingegen sind eigentlich Laborartefakte, die durch die teilweise oder vollständige Entfernung der Zellwand mit minimalen Veränderungen des Genoms des Ausgangsbakteriums entstanden. Wegen ihrer Zellwandlosigkeit sind die L-Formen ebenso wie Mykoplasmen resistent gegen Penizillin und weitere gängige Antibiotika.

Akademische Verwirrung

Vor diesem Hintergrund ergeben die Ausführungen in Scotts Artikel wieder Sinn – die Verwirrung lichtet sich, wenn man sich vor Augen hält, dass Scott, vermutlich aus Unwissen, nicht zwischen Mykoplasmen und bakteriellen L-Formen unterschieden hat.

Tatsächlich lässt sich die fehlende Differenzierung selbst in medizinischen und militärischen Publikationen bis in die 1980er-Jahre hinein belegen. Trotz der Forschungsfortschritte ab den 1970er-Jahren fand die Unterscheidung in der Praxis oft erst verzögert Anwendung, was zum Teil auf ein mangelndes Problembewusstsein oder auf die konservative Weiterverwendung älterer Informationen zurückzuführen ist. Ein prominentes Beispiel gibt das medizinische Nachschlagewerk „Medical Microbiology and Infectious Diseases“ von Ernest Jawetz et al.: Bis in die 1980er-Jahre hinein behandelten die Autoren die beiden Bakteriengruppen nicht eindeutig getrennt, das heißt, es wurde oft nicht klar differenziert zwischen den genuin zellwandfreien Mykoplasmen und den durch Umwelteinflüsse zellwandlos gewordenen L-Formen.

Zu Scotts Zeiten ebenfalls ungeklärt waren die genauen Ursachen für Aids. Was die Rolle der Mykoplasmen bei der Autoimmunerkrankung betrifft, so existieren heute zwar Hinweise darauf, dass eine Co-Morbidität bestehen kann, allerdings ist die Forschung in diesem Bereich nicht vollständig abgeschlossen, und es gibt keine eindeutigen Indizien dafür, dass die Erreger direkt mit der Erkrankung in Verbindung stehen oder Aids verursachen würden. Dass ein Retrovirus eine Rolle spielt, erkannte Scott richtig; heute geht man jedoch allgemein davon aus, dass nicht das Visna-, sondern das SI-Virus der tierische Vorläufer des immunschwächenden HI-Virus war, wenngleich es nach wie vor offene Fragen zur Epidemiologie und Virusvariabilität der Erkrankung gibt.

Eines sollte man nicht vergessen: Heute lassen sich medizinische Spezialinformationen mit ein wenig Zeit und Mühe im Internet recherchieren. Als Scott seine Forschungen begann, steckte das Netz noch in den Kinderschuhen. Als es auch für Privatmenschen üblich wurde, sich auf Websites über wissenschaftliche oder militärhistorische Themen zu informieren, war Scott um die 70 Jahre alt; wissenschaftliche Open-Access-Datenbanken kamen erst weitere zehn Jahre später auf.

L-Formen als Biowaffen?

Scotts These bedarf also eines begrifflichen Updates und einer sauberen Trennung. Während einige Mykoplasmen tatsächlich gefährliche Erreger sind und theoretisch als Biowaffen eingesetzt werden könnten, ist die praktische Umsetzung vergleichsweise kompliziert: Mykoplasmen erfordern spezielle Kultivierungsbedingungen und sind deutlich schwieriger in großen Mengen zu produzieren und zu verbreiten als andere Bakterien oder Viren. Theoretisch ist denkbar, dass die bestehenden Hürden mithilfe gentechnischer Eingriffe abgesenkt werden könnten. Umgesetzt wurde dies bisher allerdings nicht – und falls doch, dann wäre die Geheimhaltung außerordentlich geglückt.

Anders sieht es mit den L-Formen pathogener Bakterien aus. Eine ganze Reihe von ihnen wird mit Krankheiten in Verbindung gebracht, von denen viele auch in Scotts Artikel eine Rolle spielen: verschiedene chronisch-entzündliche Erkrankungen, chronische und rezidivierende Infektionen, das Chronische Fatigue-Syndrom, Morbus Crohn und diverse Lungenleiden etwa. Uns sind zwar keine direkten Belege bekannt, die den Einsatz in der Biowaffenforschung einwandfrei verifizieren würden – technisch möglich und denkbar wäre es aber.

Von der kristallinen Form zur L-Form

Gut belegt ist der Einsatz von Bakterien-Wildformen wieBrucellain der biologischen Kriegsführung, insbesondere in den frühen Biowaffenprogrammen der USA. Scott sprach davon, dass das US-Militär kristalline Erregerformen verwenden wollte, um die Pathogene lager- und distributionsfähiger zu machen. L-Formen – und auch Mykoplasmen – lassen sich aufgrund der fehlenden Zellwand nicht kristallisieren. Um aus einem kristallinen Bakterium eine L-Form zu gewinnen, müsste es zunächst wieder reaktiviert werden. Im Kontext der biologischen Kriegsführung können Sie sich etwa das folgende Szenario vorstellen:

Die kristalline Form eines Bakteriums, zum BeispielBrucella, wird über einem bewohnten Gebiet ausgebracht und von den dort lebenden Menschen eingeatmet. In den Atemwegen oder der Lunge würde sie auf Körperflüssigkeiten treffen und unter dem Einfluss der Feuchtigkeit und Wärme wieder in ihre aktive, vermehrungsfähige Wildform übergehen. Das Bakterium würde nun versuchen, in Wirtszellen einzudringen, um sich vor der Immunreaktion des Körpers zu schützen. Ist das Immunsystem bereits alarmiert und reagiert entsprechend stark oder erhält der Mensch Antibiotika, könnte das Bakterium unter Druck geraten und infolge des Stresses seine Zellwand verlieren, sprich, in die L-Form übergehen. Dieser Prozess würde abhängig von den genauen Umständen wenige Stunden bis Tage dauern. Es gibt Hinweise darauf, dass einige L-Formen in der Lage sind, Sterole aus ihrer Umgebung zu assimilieren – auch das stünde in keinem Widerspruch zu Scotts Ausführungen. Die genauen pathologischen Mechanismen krankmachender L-Formen sind jedoch noch Gegenstand der Forschung.

rc

Quellen

  • Razin, S., Hayflick, L.: „Highlights of mycoplasma re­­search – An historical perspective“ in Biologicals, März 2010, 38(2):183–90, tinyurl.com/yukskt7f
  • Khandelwal, S.: „Mycoplasma: History, Habitat, Characters and Cell Structure“ auf BiologyDiscussion.com, tinyurl.com/mrywjehz
  • Spektrum Lexikon der Biologie: „L-Form“ auf Spektrum.de, 1999–2024, tinyurl.com/287mfd4r
  • The Marshall Protocol Knowledge Base: „L-form bacteria“ auf MPKB.org, 14.01.2022, tinyurl.com/mskzmaxt
    • Cordova, C. M. M., Galgowski, C., Lange, L.: „Mollicutes/HIV Coinfection and the Development of AIDS: Still Far from a Definitive Response“ in Cana­dian Journal of Infectious Diseases and Medical Microbiology, 16.06.2016, online auf Wiley.com, tinyurl.com/2mm768xc
    • Gomez, G. et al.: „Host-Brucellainteractions and theBrucellagenome as tools for subunit antigen discovery and immunization against brucellosis“ in Frontiers in Cellular and Infection Microbiology, 16.05.2013, online auf FrontiersIn.org, tinyurl.com/yjza49b4
    • Guo, Y. et al.: „The mechanism of chronic intracellular infection with Brucella spp.“ in Frontiers in Cellular and Infection Microbiology, 18.04.2023, online auf FrontiersIn.org, tinyurl.com/5n96ddf7

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