Genau 20 Jahre ist es her, dass die ersten aussagekräftigen Ergebnisse des Humangenomprojekts vorgestellt wurden: Mitte Februar 2001 veröffentlichten die konkurrierenden Wissenschaftlerteams um Francis Collins und Craig Venter ihre Beiträge gleichzeitig in verschiedenen Zeitschriften. Die Fachwelt hatte jahrelang mit Spannung auf diesen Moment gewartet. Doch nun, in dieser vermeintlichen Sternstunde der Wissenschaft, machte sich Ernüchterung breit: Eines der aufwendigsten und kostspieligsten Unterfangen in der Forschungsgeschichte hatte in jahrzehntelanger mühsamer Sequenzierarbeit hauptsächlich Schrott zutage gefördert. Nicht weniger als 98 Prozent unserer Erbsubstanz bestanden aus Junk-DNA! Die Zahl der „brauchbaren“ proteinkodierenden Gene lag dagegen weit unter den vorsichtigsten Erwartungen. Mitte der 1990er-Jahre war man von einem Wert zwischen 50.000 und 100.000 ausgegangen, zur Jahrtausendwende von 30.000 bis 40.000, doch nun stand fest: Mit seinen kümmerlichen 20.000 Genen reichte der Mensch gerade einmal an den Fadenwurm Caenorhabditis elegans heran, der im ausgewachsenen Zustand aus knapp 1.000 Körperzellen besteht. Ein Ergebnis, „das uns Menschen Bescheidenheit lehrte“, wie es der Wissenschaftshistoriker Michel Morange ausdrückt.1 Mit 3,1 der 3,2 Milliarden Nukleotide in unserem Genom konnte die Wissenschaft wenig anfangen, sie galten lange Zeit als wertlose Fracht. Wie ließ sich die chronische Genarmut, durch die sich die selbsternannte Krone der Schöpfung auszeichnete, erklären?
Natürlich enthält Junk-DNA auch Abschnitte, die nach wie vor keinen biologischen Zweck erkennen lassen. Doch haben wir der unermüdlichen Erforschung der Terra incognita, die unser Genom dominiert, Einsichten zu verdanken, die man noch vor wenigen Jahrzehnten als Hirngespinst abgetan hätte. So weiß man inzwischen, dass ausgedehnte Bereiche der nichtkodierenden DNA von überragender Bedeutung sind: Sie dienen der Genregulation, bestimmen also darüber, welche Gene zum Einsatz kommen und in welchem Ausmaß sie exprimiert werden.
Bis 1970 hatte man den Ribonukleinsäuren (RNAs) nicht besonders viel zugetraut. Sie leiteten die Botschaft der Gene an die Proteine weiter, schleppten die Aminosäuren für deren Synthese heran und standen ganz und gar im Schatten der DNA, dem Molekül des Lebens. Die weitverbreitete Ansicht, dass die Erbinformation immer nur in eine Richtung fließt, nämlich von DNA über RNA zu den Proteinen, wurde vor einem halben Jahrhundert widerlegt, als man die reverse Transkriptase entdeckte: Retroviren setzen dieses Enzym ein, um RNA in DNA umzuschreiben. 1982 beschrieben Thomas Cech und Sidney Altman eine RNA, die wie ein Enzym wirkte – sie waren auf das erste Ribozym gestoßen.2 Ribonukleinsäuren vereinten also die wichtigsten biologischen Eigenschaften von DNA und Proteinen in sich: Sie konnten Erbinformation speichern und chemische Reaktionen katalysieren.
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