Phil Ochs war zum Zeitpunkt seines Todes 35 Jahre alt.
Damit können wir unsere Laurel-Canyon-Todesliste auch schon beschließen. Wohlgemerkt, sie ist keineswegs vollständig, da sie nur die Jahre 1966 bis 1976 umfasst. Sie können also sicher sein, dass im Verlauf unserer Geschichte und ihrer diversen Handlungsfäden noch weitere Namen dazukommen werden. Einige davon werden ihnen sehr bekannt vorkommen, andere weniger. Einer der Namen aus dieser Zeit, der fast völlig in Vergessenheit geraten ist, ist der von Judee Lynn Sill, die einst in einem Atemzug mit bekannten Sängerinnen und Songwriterinnen aus dem Laurel Canyon wie Joni Mitchell, Judi Collins und Carole King genannt wurde. Als sie am 23. November 1979 starb, kannte sie aber beinahe niemand mehr – und nach ihrem Tod wurde nicht ein einziger Nachruf über sie veröffentlicht.
Judee kam am 7. Oktober 1944 im kalifornischen Studio City, unweit des Laurel-Canyon-Nordendes, zur Welt. Ihr Vater Milford „Bud“ Sill soll Kameramann für die Paramount Studios gewesen sein und zahlreiche gute Beziehungen nach Hollywood gehabt haben. Als Judee noch sehr jung war, zog Bud dennoch samt Familie nach Oakland, wo er ein Lokal namens „Bud’s Bar“ eröffnete. Als Nebengeschäft betrieb er einen Importhandel für seltene Tiere, der es notwendig machte, dass er über längere Zeiträume in Mittel- und Südamerika unterwegs war. Hier sollte man allerdings anmerken, dass ein derartiger Beruf auch als perfekte Tarnung für verdeckte Geheimdienstarbeit dienen könnte. Bud Sill starb jedenfalls 1952, als Judee erst sieben oder acht war. Die Todesursache soll – je nachdem, wem man glaubt – Lungenentzündung oder Herzinfarkt gewesen sein.
Nach Buds Tod zog die Familie nach Südkalifornien zurück, wo Judees älterer Bruder Dennis, der damals noch keine zwanzig war, das Importgeschäft übernahm. Aber auch das ging nicht lange gut, da Dennis recht bald in Mittelamerika zugrundeging, entweder an einer Leberentzündung oder durch einen Autounfall. Tierimporte scheinen ein ziemlich gefährliches Geschäft zu sein.
Judees Mutter Oneta lernte Ken Muse kennen, der als Trickfilmzeichner bei Hanna-Barbera einen Oscar gewonnen hatte, und heiratete ihn. Judee sagte später, dass Muse ein gewalttätiger Alkoholiker mit Missbrauchstendenzen gewesen sei. Im Alter von 15 Jahren riss sie daher von zu Hause aus und zog zu einem älteren Mann, mit dem sie im San Fernando Valley eine Reihe bewaffneter Raubüberfälle beging. Dafür landete sie in einer Erziehungsanstalt, wo man ihr das Verlangen nach Drogen, Kriminalität und Alkohol aber keineswegs austreiben konnte. Die nächsten paar Jahre war sie dann schwer heroinabhängig und finanzierte ihre Sucht mit Rauschgifthandel und Prostitution in den eher übel beleumundeten Vierteln von Los Angeles.
1963 war sie wieder clean genug, um sich im Junior College einzuschreiben. Doch als der Winter des Jahres 1965 begann, starb auch Judees Mama, das letzte überlebende Familienmitglied – entweder an Krebs oder an den Folgen ihres chronischen Alkoholismus (suchen Sie sich eine Ursache aus, genauere Einzelheiten über diese Story werden wir wahrscheinlich nie mehr erfahren). Judee war kaum erwachsen geworden und ganz allein auf dieser bösen Welt. Kein Wunder, dass es wieder einmal bergab ging und sie sich dem Rauschgift und dem Verbrechen hingab. Den Höhepunkt erreichte diese Phase, als sie wegen Urkundenfälschung und Drogendelikten verhaftet wurde und möglicherweise sogar einige Zeit im Gefängnis verbrachte.
Ende der 1960er Jahre, als Sill ihre Süchte scheinbar wieder zeitweise unter Kontrolle hatte, schloss sie sich der Szene im Laurel Canyon an und versuchte dort als Sängerin und Songwriterin Fuß zu fassen. Ihr Durchbruch kam, als sie den Song „Lady O“ an die Turtles verkaufte. (The Turtles waren eine weitere Laurel-Canyon-Band, die Mitte der Sechziger erfolgreich wurde, vor allem mit ihrer Hit-Single „Happy Together“. Bandleader war der Leadsänger und Songwriter Howard Kaylan, der zufällig – wir wissen ja mittlerweile alle, wie klein die Welt ist – auch ein Cousin von Frank Zappas Manager und Geschäftspartner Herb Cohen war.) Die Band brachte den Song mit Judees Gitarrenbegleitung 1969 auf den Markt. Ein Jahr darauf war Sill der erste Act, der bei David Geffens neuem Plattenlabel Asylum unterschrieb. Und wieder ein Jahr darauf war ihr gleichnamiges Debütalbum die erste offizielle Asylum-Veröffentlichung. Die erste Single-Auskopplung daraus, „Jesus Was A Crossmaker“, wurde von Graham Nash produziert, mit dem sie nach dem LP-Release auch – als Support – auf Tournee ging.
Das Album bekam zwar gute Kritiken, verkaufte sich aber schlecht. Das lag zum Teil auch daran, dass es im Schatten der Debütalben von Jackson Browne und den Eagles stand, die Asylum Records kurz nach Judees Platte veröffentlichte. Sills zweites Album „Heart Food“ (1973) war kommerziell gesehen noch enttäuschender. Trotzdem begann sie 1974 im Aufnahmestudio von Mike Nesmith (The Monkees) mit den Arbeiten an ihrer dritten Platte. Kurz vor deren Fertigstellung ließ sie das Projekt jedoch fallen und verschwand spurlos. Was danach und bis zu ihrem Tod fünf Jahre später mit ihr passierte, ist bis heute ein Geheimnis. Man nimmt an, dass sie wieder dem Rauschgift verfiel und sich als Prostituierte betätigte, aber niemand scheint Genaueres zu wissen.
Angeblich soll sie bei einem Auffahrunfall, an dem der Schauspieler Danny Kaye beteiligt war, schwer verletzt worden sein und danach an chronischen Rückenschmerzen gelitten haben, die zu ihrer Drogensucht beitrugen. Einer ihrer Freunde hat berichtet, dass in ihrer Wohnung ein riesiges Bela-Lugosi-Photo über dem Kamin hing, dass über ihrem Bett ein schwarzes Ebenholzkreuz angebracht war und überall Unmengen Kerzen standen. Außerdem soll sie sich intensiv mit Rosenkreuzer-Manuskripten und den Schriften Aleister Crowleys befasst, das Gesamtwerk von Helena Blavatsky besessen und eine Begabung für das Tarotkartenlegen gehabt haben.
Sicher ist jedenfalls, dass Judee Sill – die letzte Überlebende ihrer Familie – am Tag nach dem Thanksgiving-Fest des Jahres 1979 in ihrem Apartment in North Hollywood tot aufgefunden wurde. Als Todesursache wurde eine „akute Kokain- und Kodeinvergiftung“ festgestellt. Angeblich wurde ein Abschiedsbrief bei ihr entdeckt, doch ihre Freunde waren der Ansicht, dass es sich dabei um Tagebuchaufzeichnungen oder einen unvollendeten Song gehandelt habe. Einer ihrer Freunde berichtete später, dass Judee irgendwann erkannt habe, dass „es einen Teil von ihr gab, über den sie keine bewusste Kontrolle besaß“.
Ich nehme an, dass Phil Ochs und einige andere Protagonisten dieser Geschichte das sehr gut nachvollziehen könnten.
Bis etwa zum Jahr 1913 war der Laurel Canyon ein unerschlossener (und nicht inkorporierter) Teil von L. A. – eine unberührte Wildnis, die reich an einheimischer Flora und Fauna war. Das änderte sich erst, als Charles Spencer Mann und seine Geschäftspartner Grundstücke am späteren Laurel Canyon Boulevard und am Lookout Mountain zu kaufen begannen. Bald wurde eine schmale Straße gebaut, die auf den Gipfel des Lookout Mountain führte. Dort errichtete man ein großzügig gestaltetes Hotel mit 70 Zimmern, von dem man einen beeindruckenden Ausblick auf die Stadt und den dahinterliegenden Pazifik hatte. Das Lookout Inn nannte einen großen Ballsaal, Reitställe, Tennisplätze, einen Golfplatz und andere Annehmlichkeiten sein eigen. Das Hotel hielt sich jedoch nur ein Jahrzehnt und brannte 1923 ab – ein Schicksal, das offensichtlich vielen Gebäuden im Laurel Canyon beschieden ist.
1913 begann Mann den ersten Oberleitungsbus des Landes zu betreiben, der Touristen und Kaufinteressenten vom Sunset Boulevard an die Stelle brachte, die später zur Ecke Laurel Canyon Boulevard und Lookout Mountain Avenue werden sollte. Etwa zur selben Zeit ließ er an besagter Ecke eine riesige Gaststätte mit Rasthaus erbauen. Er nannte das Haus mit seinem 200 Quadratmeter großen Speisesaal, den Gästezimmern und der Bowling-Bahn im Keller Laurel Tavern. Später erwarb Tom Mix das Gebäude; danach erst erhielt es den Spitznamen Log Cabin.
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