Das goldene Zeitalter
Kornkreise zeigen sich widerstandsfähig und wandelbar wie Chamäleons. Scheinbar nahtlos haben sie sich von ursprünglich nur gelegentlich beobachteten Merkwürdigkeiten auf dem Land über blumige New-Age-Botschaften in der Zeit nach der Harmonischen Konvergenz 1987 und Zeichen, die das neue Jahrtausend ankündigten, bis hin zu Botschaften der für die Zeit ab 2012 prophezeiten „Neuen Ära“ gewandelt. Doch das in jedem dieser Zeitabschnitte vorhergesagte Verschwinden der Kornkreise will einfach nicht erfolgen. Mittlerweile scheinen die Kornkreise ein regelmäßig und zuverlässig auftretendes Landschaftsphänomen zu sein, das sich hauptsächlich in England, aber auch andernorts manifestiert und scheinbar keinerlei Verbindung zum jeweiligen Zeitgeist aufweist. Wo auch immer ihr Ursprung und ihr Zweck liegen mögen, sie tauchen trotz der gleichgültigen oder skeptischen Haltung der Medien munter weiter auf, locken neue Sucher an und werfen Fragen über die wahre Natur der Realität auf. Sollte man beweisen können, dass auch nur eine Handvoll dieser Formationen in den Getreidefeldern die Grenzen menschlichen Könnens überschreitet, was nach Ansicht vieler Beobachter bereits geschehen ist, dann ist die Welt eindeutig nicht so, wie engstirnige Wissenschaftsgläubigkeit uns dies verkaufen möchte.
Angesichts dessen, dass Kornkreise uns immer wieder in Erstaunen versetzen, mutet die oft geäußerte Ansicht, das Phänomen habe seinen künstlerischen Höhepunkt überschritten und das „goldene Zeitalter“ der Kornkreise sei vorbei, durchaus merkwürdig an. Diese Ansicht ist zutiefst subjektiv. Als nach dem Erscheinen der großen Piktogramme im Jahr 1990 eine neue Welle von Forschern eintraf, hörte man bereits in diesem frühen Stadium solche Unkenrufe. Meist kamen sie von Enthusiasten, die das Gebiet bis dahin für sich alleine gehabt hatten. Die sogenannten „glorreichen Tage“ sind reine Illusion: Schon ein kurzer Blick auf die Kornmuster der frühen 1990er Jahre – die traditionell als goldenes Zeitalter gelten – lässt erkennen, dass das, was wir heute an Qualität und künstlerischer Eindrücklichkeit erhalten, eindeutig überlegen ist. Die Anzahl der Kornkreise mag in den letzten Jahren zurückgegangen sein (wenn auch nicht in dem Maße, wie manche behaupten), doch in Wahrheit haben auch die Kornkreise des Jahres 2018 gezeigt, dass wir es noch heute mit etwas zu tun haben, das so außergewöhnlich und kontrovers ist wie eh und je. Man könnte folglich argumentieren, dass wir uns immer noch im goldenen Zeitalter der Kornkreise befinden.
Die frühe Saison
England gilt traditionellerweise als das Zentrum des Mysteriums, aus Gründen, die häufig diskutiert wurden, ohne jemals eine befriedigende Antwort zu finden. Also werden wir uns zunächst mit England befassen und die sonstigen, weltweit auftretenden Erscheinungen später behandeln. Häufig kann man im April die ersten Aktivitäten beobachten, doch in diesem Jahr dauerte es – vielleicht wegen des späten Frühlings und des langsamen Heranwachsens des Getreides – bis zum 8. Mai, ehe der erste Kornkreis in Mere in Wiltshire erschien. Auf den ersten Blick handelte es sich um eine sechsteilige Blüte in einem Ring, doch bei näherem Hinsehen zeigte sich eine auffallende Ähnlichkeit mit einem Wasserläufer (einem Insekt, das im Vereinigten Königreich sehr verbreitet ist) mit deutlich erkennbarem Insektenkörper und Kopf. Vielleicht stellte das eine passende Metapher für den Reigen der Saison dar, der mühelos über die folgenden Monate laufen würde. Ungewöhnlicherweise war das das einzige Muster, das auf einem Feld mit gelbem Raps erschien; alle weiteren fand man auf Getreidefeldern.
Im Mai gab es nur noch eine andere Formation, die sich am 26. als Achtermotiv mit dünnen Linien zeigte, die in kleinen Kreisen beziehungsweise Halbmonden und größeren Kreisen endeten. Das Bild tauchte nicht weit von dem berühmten in einen Hügel geritzten Riesen von Cerne Abbas in Dorset auf, und wie so viele Kornkreise in den vergangenen Jahren lag es zufälligerweise (oder eben auch nicht) ganz in der Nähe eines großen Sendeturms der BBC.
Nach einem ruhigen Start nahm die Saison im Juni deutlich an Fahrt auf. Ein dreifacher Kreis, der an einen Autoreifen erinnerte, erschien am 2. Juni in Baunton in Gloucestershire und bestach vor allem durch den im inneren Kreis kreuz und quer verlaufenden „Korbflechteffekt“. Es war eines dieser eingewobenen Muster, deren faszinierender Effekt in jüngerer Zeit immer wieder in die Kreise eingebracht worden war. In einem Teil des dickeren äußeren Rings war merkwürdigerweise ein schmaler Getreidestreifen stehen geblieben – nicht gerade ein markantes Merkmal, aber scheinbar doch mehr als nur ein „vergessener“ Bereich. Am nächsten Tag erschien in Beckhampton in Wiltshire ein noch deutlicherer Kreis mit drei Ringen der klassischen Art – breit und doch dünn in ihrer Ausführung und elegant in ihrer Einfachheit.
Die Formation, die am 4. Juni in Sixpenny Handley in Dorset auftauchte, markierte einen Schritt in Richtung höherer Komplexität. Ein siebenzackiger Stern, eingebettet in einen Ring aus an Mayakunst erinnernden Mäandern, war umgeben von sieben kleineren äußeren Kreisen. Das Muster wurde noch durch einen Ring von radial angeordneten Getreidebüscheln betont, die um das ansonsten gewirbelte Zentrum angeordnet waren – eine Verzierung, die in letzter Zeit häufiger anzutreffen war. Dieses auffallende Muster war in diesem Jahr das erste, das einem bereits beim ersten Anblick den Atem verschlägt.
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