Herr Meyer, seit über 30 Jahren sind Sie mit dem ÖKODORF-Institut ein Knotenpunkt für Menschen, die an einem Leben in Gemeinschaften interessiert sind. Was waren Ihre Beweggründe für die Gründung?
Seit 1980 lebe ich in verschiedensten Gemeinschaften, da war alles dabei: von klein bis groß, sehr eng und verbindlich oder weit und locker, stark gesellschaftspolitisch und/oder spirituell orientiert. Von 1987 bis 1996 habe ich eine ökologisch und spirituell ausgerichtete Dorfgemeinschaft bei Hannover mit aufgebaut, die schon nach wenigen Jahren voll belegt und erfolgreich war. Unter anderem waren wir damals Modellprojekt der Weltausstellung EXPO 2000 und ich habe die Gästeführungen durch das Dorf angeboten. Mit ca. 100 Erwachsenen und 50 Kindern waren wir besonders für Familien und Alleinerziehende attraktiv. Den Gästen erzählte ich, welche der Tausenden anderen Gemeinschaften für sie passen könnte und wo wohl in neueren Gemeinschaften noch Platz sein könnte – und da diese Auskünfte immer umfangreicher wurden, hat sich daraus meinen Beruf entwickelt.
Welche Ziele haben Sie sich mit Ihrem ÖKODORF-Institut gesteckt?
Früher ging es vor allem um Vernetzung und Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinschaften, damit das Rad nicht immer neu erfunden werden muss; auch die Vermittlung zwischen Suchenden und bestehenden Gemeinschaften war wichtig. Seit 2013 coache ich Suchende und Gemeinschaftsgründer am liebsten in der Natur, während wir gemeinsam gemütlich wandern. Mir geht es darum, dass die Gäste ihre tieferliegenden Motive herausfinden: Manche, vor allem jüngere Suchende, sehen Gemeinschaft beispielsweise unbewusst als Mutterersatz. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Gemeinschaft sie schon versorgen wird, sie keine anstrengende Ausbildung im verhassten Kapitalismus machen müssen und in der Gemeinschaft nur ein bisschen im Garten mithelfen müssen …
Bei meinem Naturcoaching geht es auch darum, Hinderungsgründe wie alte Traumata aufzudecken, aber auch verborgene Talente. In der Stille der Natur und in Verbindung mit dem „Göttlichen“ – oder wie es jeder für sich nennen mag – soll jeder für sich eine realisierbare Vision finden.
Was macht Ihr Institut so einzigartig?
In den 1980er- und 1990er-Jahren war ich der einzige Berater zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum. Inzwischen gibt es mehrere. Sie sind jedoch spezialisiert auf eine bestimmte Richtung – pragmatische Wohnprojekte für ältere Menschen ohne ökologischen oder spirituellen Anspruch, linkspolitisch orientierte Kommunen oder christliche Gemeinschaften. Einige davon wollen nichts miteinander zu tun haben, da ihre Philosophien so verschieden sind. Durch meine große Toleranz gegenüber den verschiedensten Modellen und meine langjährige Erfahrung habe ich wohl den besten Überblick. Natürlich kenne auch ich nicht alle Hunderttausend Gemeinschaften weltweit, aber ich kenne Hunderte von Gemeinschaftsnetzwerken.
Können Sie Ihre Erfahrungen aus 40 Jahren auf zwei oder drei Kern-Erkenntnisse herunterbrechen?
Zunächst fängt Gemeinschaft für mich in jedem Einzelnen an: im Kontakt mit der leisen inneren Stimme oder dem Göttlichen, um gute eigene Entscheidungen zu treffen. Dann in Partnerschaft, Familie oder Freundeskreis und aktiver Nachbarschaft, mit guter Kommunikation, Bereitschaft zur gemeinsamen Entscheidungsfindung und Konfliktlösung. Wer das alles gut leben kann, ist auch eine Bereicherung für eine Gemeinschaft.
Viele stellen sich Gemeinschaft noch so vor, dass alle Mitglieder in einem Haus oder auf einem Gelände leben. Mitglieder einer verbindlichen Gemeinschaft können jedoch auch verteilt im Umkreis von ein paar Kilometern leben. Manchen reicht auch ein aktives regionales Netzwerk. Diese Varianten haben den Vorteil der leichteren Kooperation mit den „normalen“ Menschen drumherum. Bei älteren größeren Gemeinschaften entsteht immer öfter eine so gute Durchmischung mit der Umgebung, das man gar nicht mehr sagen kann, wer zur Gemeinschaft gehört und wer nicht.
Unsere eigenen Erfahrungen mit Gemeinschaften sind eher divergent: Oft landet man in einer Art Gruppentherapie, Entscheidungen verzögern sich durch das Konsensprinzip. Wie sehen Sie das?
Ja, in den 1980er- und 1990er-Jahren hat sich das Konsensprinzip in den meisten Gemeinschaften etabliert, das jedoch Schwachstellen hatte. Beispielsweise wurde das darin enthaltene Vetorecht missbraucht, um Entscheidungen zu blockieren. Die meisten Gemeinschaften haben daraus gelernt und das Konsensprinzip weiterentwickelt. Eines der Übergangsmodelle nennt sich „Konsens minus 1“: Wer ein Veto einlegt, hat zum Beispiel zwei Wochen Zeit, noch mindestens ein weiteres Mitglied von seinem Einwand zu überzeugen. Gelingt das, dann ist das ein Zeichen, dass es kein Ego-Einwand ist, sondern die Gemeinschaft eventuell etwas übersehen hat. Gelingt es nicht, dann kann über den Einwand hinweggegangen werden.
In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr das „Systemische Konsensieren“ und die „Soziokratie“ in den Gemeinschaften etabliert, die schnellere und effektivere Entscheidungen ermöglichen.
Was bieten Sie über das ÖKODORF-Institut an? Wer kann sich bei Ihnen melden?
Wie gesagt, am liebsten mehrtägige gemütliche Pranawanderungen zusammen mit meiner Frau Antje Gundel (www.pranawandern.de), in kraftvoller Natur, um die Naturenergie zu nutzen für Visionsklärung, Entscheidungsfindung, Konfliktlösung, Gemeinschaftssuche oder -gründung oder einfach für Naturgenuss und Erholung.
Für Gemeinschaftssuchende geht es darum, unter anderem ihre fünf wichtigsten Suchbedingungen herauszufinden. Wer auf viel mehr Bedingungen besteht, muss selbst gründen, da gibt es keine passenden Gemeinschaften. Wer für alles offen ist, hat die Qual der Wahl. Bei ungefähr fünf Bedingungen kann ich etwa fünf Gemeinschaften finden, die am besten passen könnten.
Würden Sie sagen, dass Sie Ihre Vision verwirklichen konnten? Was haben Sie bisher mit dem Institut erreicht?
Schenken, Tauschen und Geld sehe ich zurzeit noch als gleichwertig, wobei Geld bei mir immer unbedeutender und durch immer umfassendere regionale Selbstversorgung ersetzt wird. Bisher nehme ich von denen, die es sich leisten können, noch Geld für meine Arbeit.
Unsere anfänglichen Visionen aus den 1980er-Jahren waren, dass sich Ökodörfer und Gemeinschaften schnell als allgemeine Lebensform etablieren. Aber die Annehmlichkeiten im Hamsterrad des Kapitalismus waren bisher noch so groß, dass wir alle in den sogenannten entwickelten Ländern mehr oder weniger mitgemacht haben, Natur und Menschen auszubeuten. Immer mehr merken jedoch, dass es so nicht mehr weitergeht. Deshalb bin ich froh, mitgewirkt zu haben, Modelle im Kleinen zu entwickeln, die von der Gesellschaft übernommen und weiterentwickelt werden können.
Wie kann man Sie unterstützen?
Am besten erst einmal mitwandern oder zu einem Seminar oder einer Beratung kommen. Wem es gefallen hat, der kann gerne weitersagen, dass es mich gibt – vor allem in den sozialen Medien, wo ich nicht so aktiv bin. Gerne können Interessierte auch die Service-Variante unseres Gemeinschaften-Rundbriefs abonnieren, der einiges mehr bietet als die Gratisversion.
Und noch eins: Ich bin jetzt 65 Jahre jung und möchte mit meiner Frau mehr am Waldrand in der Nähe unseres Gemeinschaftshauses leben. Unsere Gemeinschaft lebt inzwischen verteilt drumherum, sodass wir das Gemeinschafshaus gern in (jüngere) Hände abgeben wollen. Interessierte Gemeinschaften oder Gründer können sich gern melden. Wir freuen uns auf Kooperation und unterstützen gern beim Ankommen in unserem regionalen Netzwerk.
Was meinen Sie – hat das Gemeinschaftsmodell Zukunft?
Auf alle Fälle, nur eben nicht so eng wie früher. Ein Teil unseres hiesigen Gemeinschaftslebens ist zum Beispiel unsere Lokalgemeinschaft einer bundesweiten Gesundheitsgemeinschaft statt Krankenkasse, die seit 1999 funktioniert. Da die ganze Dienstleistungsgesellschaft mit überfüllten Kindergärten, gestressten Altenpflegern, Dörfern ohne Ärzten etc. nicht mehr lange funktioniert, wird solche Selbstorganisation immer wichtiger. Ebenso wie die Gruppen der Solidarischen Landwirtschaft zur lokalen Selbstversorgung. Nach diesem Modell bilden sich auch für andere Lebensbereiche Alternativen, etwa die Solidarische Bauwirtschaft.
Wo sehen Sie die Gesellschaft in 50 Jahren? Haben Sie Hoffnung?
Ich habe bisher zwar nicht an Prophezeiungen geglaubt. Aber meinem hellsichtigen Heilpraktiker vertraue ich erfolgreich seit 30 Jahren, und der sagt: Um 2030 wird es drei Tage ohne Sonnenlicht geben, die man überlebt, wenn man nicht nach draußen geht. Danach ist ganz plötzlich Frühling und Frieden, gute Kontakte und Kooperation ersetzen das unwichtig gewordene Geld – also ein gemeinschaftliches Paradies.
Vielleicht kommt es tatsächlich so durch den Effekt des Hundertsten Affen: Wenn immer mehr Menschen aus dem Hamsterrad aussteigen und sinnvoller leben, dann machen es ganz plötzlich alle …
Vielen Dank, dass Sie sich schon so lange für eine alternative Gesellschaftsform starkmachen und Ihre Erfahrungen weitergeben – und wer weiß, vielleicht findet sich ja unter den NEXUS-Lesern ein Interessent für Ihr schönes Gebäude!
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Kontakt
ÖKODORF-Institut
Alpenblickstr.12
79737 Herrischried + Zweigstellen bei Hannover + bei Nürnberg
Tel. 07764-933999
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