Kampf der Narrative: Atomkraft und neue Reaktorkonzepte

kampfnarrativeErneut steigen die NEXUS-Autoren in den Ring, das nächste narrative Duell steht an. Diesmal haben sie sich mit der Atomkraft ein extra heißes Eisen gesucht. Eine gute Idee verdiene eine zweite Chance, meint unsere Pro-Stimme, denn Kernkraft sei die Basis der künftigen Energieversorgung. Entschiedener Einspruch der Contra-Stimme: Sichere Kernspaltung sei ein falscher, todgeweihter Weg, woran auch auf neu getrimmte Reaktorkonzepte nichts änderten.

Contra: Kernspaltung ist ein falscher, todgeweihter Weg – daran ändern auch auf neu getrimmte Reaktorkonzepte nichts

Wo würden Sie lieber wohnen: Neben einem Solarfeld, einem Windpark oder in der Nähe eines Atommeilers? Vielleicht sogar neben dem neuen Atommüll-Endlager, nach dem Deutschland gerade händeringend sucht? Naaa? Falls Sie nicht Launen der Natur sind wie Galen Winsor und gerne mal ein Uranwässerchen trinken, können Sie sich ruhig auf Ihren Instinkt verlassen. Denn das Image der Atomkraft ist zu Recht im Eimer: Reaktorsicherheit, Waffenfähigkeit, Endlagerproblem und Erbgutveränderungen bis hin zum Strahlentod – all das ist so gut dokumentiert, dass man sich die Augen schon zukleben muss, um es nicht zu sehen.1 Aber da es den Atomkraftgegnern an Nachwuchs mangelt, weil der lieber gegen CO2 demonstriert, kauen wir es besser nochmal durch.

Atomkraft soll also klimaneutral sein? Vorsicht! Mit dem Argument geht die Atomindustrie seit 30 Jahren auf Rattenfang. Klar, im Betrieb vielleicht. Aber was ist mit der vorgelagerten Prozesskette – dem Abbau und der Verarbeitung von Uranerz, der Anreicherung, der Herstellung der Brennelemente? Was mit dem Bau von Atomkraftwerken? Das Öko-Institut in Darmstadt hat es nachgerechnet: Kernkraft schlägt zwar die fossilen Energieträger wie Kohle und Erdgas um Längen; Wind, Wasser und Biogas stehen aber klar besser da.2 Und wenn wir wirklich rasch den CO2-Ausstoß reduzieren wollen, dann wohl nicht mit AKW, die frühestens (!) in 10 Jahren ans Netz gehen können … was übrigens purer Industrieoptimismus ist.

Teuer, tollkühn, tödlich – daran hat sich auch bei der projektierten AKW-Generation nichts geändert. Wenn die Kraftwerke so sicher und günstig werden wie die der Generation III, dann gute Nacht. Nehmen wir nur den Europäischen Druckwasserreaktor EPR, der in zwei Projekten im finnischen Olkiluoto 2005 und französischen Flamanville 2007 mit den üblichen Heilsversprechen aus der Taufe gehoben wurde. Beide Projekte sollten längst laufen, aber … BER, ick hör dir trappsen: über Jahre verschobene Fertigstellungstermine, grobe Sicherheitsmängel und verdreifachte Kosten im Milliardenbereich.3 Mehr als Steuermilliarden verschlungen haben auch die AKW der Generation IV noch nicht – keines der ambitionierten Projekte hat schon seine Lauffähigkeit bewiesen. Es gibt nur Laborversuche, Designkonzepte und großspurige Bekundungen.4 Alles Papiergespinste, und viele nur aus der Schublade geholt und aufpoliert.

Die Idee für Flüssigsalzreaktoren (engl.: molten salt reactor, MSR) etwa stammt aus den 1950er-Jahren; ein damals in den USA laufender Prototyp wurde nach zwei Jahren stillgelegt und das Konzept ad acta gelegt. Nein, nicht wegen der Kernschmelzproblematik – wegen Korrosionsproblemen durch das verwendete Salz. Und – wer hätte es gedacht – durch die vielen Spaltprodukte entstanden große Mengen radioaktiven Tritiums, das schwer abzuschirmen war und in die Umgebung entwich. Die erhöhte Tritiumabstrahlung ist auch in modernen MSR-Varianten wie dem LFTR (liquid fluoride thorium reactor, sprich: Lifter) ein Problem. Und lange nicht das einzige: Spaltprodukte, die in der Salzschmelze weniger löslich sind, lagern sich an Oberflächen ab, was zu stärker verstrahlten Bauteilen führt und die Wartung erschwert; es gibt aufgrund des völlig eigenen Störfallspektrums keine moderne Sicherheitsbewertung – und beim Thorium, das übrigens nicht nur im Betrieb von Flüssigsalzreaktoren verwendet werden soll, hat man offenbar eine Kleinigkeit vergessen:5

Der neue Stern am Reaktorhimmel soll das knapp werdende Uran ersetzen und mag tatsächlich Vorteile gegenüber dem Strahlus quo haben6… aber, nun ja: „Wer auf Thorium setzt, kann gleich Atombomben verteilen“, sagt Thomas Partmann vom Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren.7 Stichwort: Proliferationsgefahr. Mit 1,6 Tonnen Thorium können innerhalb eines Jahres 8 Kilogramm waffenfähiges Uran-233 hergestellt werden, und zwar ohne dass die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO etwas davon mitbekommt, warnen die Autoren eines Artikels in Nature.8 Grund zur berechtigten Sorge sind die in vielen MSR-Konzepten vorgesehenen integrierten Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA), aus denen man über einen längeren Zeitraum insgeheim Protactinium-233 abzweigen könnte – das zu hochreinem und optimal waffenfähigen Uran-233 zerfällt.9 All das geht in kleinen Anlagen und mit leicht erwerbbarer Infrastruktur. Wer nicht jedem Möchtegerndiktator oder Terroristen die Möglichkeit zur Kernwaffenproduktion frei Haus liefern will, sollte nicht nur, ermussdie Verbreitung des Thoriumkreislaufs verhindern.

Noch mehr gefällig? Gerne doch. Obwohl man über Dual-Fluid-Reaktor (DFR) und die modularen Kleinreaktoren (SMR) nicht viele Worte verlieren muss: Den Verheißungen fehlt es schlicht an Substanz. Der DFR und seine WAA sind nichts mehr als eine technische Skizze, die Sicherheitsnachweise des Konzepts fehlen genauso wie ein Prototyp. Auch die Transmutation von Atommüll ist bisher imaginär – und selbst hier kann schon gesagt werden, dass immer noch besonders langlebige Spaltprodukte oder eingeschmolzene, hochradioaktive Bestandteile übrigbleiben – kein Ende also für Endlager.10 Die SMR wiederum wollen bekannte Atomtechniken transportabel anbieten und durch geringe Größe trumpfen. Kleiner bedeutet zwangsläufig, dass Abstriche im Sicherheitssystem und beim Strahlenschutz in Kauf genommen werden müssen – die bekannten Probleme ihrer großen Brüder, die sie kopieren, kommen obendrauf. Außerdem können sich Terroristen die Hände reiben: Weiter verbreitete und schwerer schützbare Kernanlagen sind genau das, was wir in der aufgeheizten Weltsituation brauchen.

Um es mit einer groß angelegten Studie zu neuen Reaktorkonzepten zusammenzufassen: Einzelne Reaktorkonzepte mögen in Teilbereichen tatsächlich die in die Jahre gekommenen Atommeiler ausstechen. Aber:

„Kein Konzept ist […] in der Lage, gleichzeitig in allen Bereichen Fortschritte zu erzielen […], so dass Fortschritte in einem Bereich zu Nachteilen bei anderen Bereichen führen.“11

Nun kann man natürlich sagen: Wir können alles schaffen, wenn wir nur wollen. Klaro. Aber zu welchem Preis? Dass der höllisch ist und wir hier Zauberlehrling spielen, sollte sich nach Hiroshima, mehr als 2.100 Kernwaffentests und Kernschmelzen ins kollektive Unterbewusste gebrannt haben. Es wird Zeit, aus den Kinderschuhen zu schlüpfen, das Zündeln bleiben zu lassen und der Wahrheit ins Auge zu blicken: Stoffe, die Leben zerstrahlen, gehören dahin, wo die Natur sie einsetzt – in die Tiefen der Erde. Der Künstler, Philosoph und als Universalgenie bekannte Walter Russell, der eine komplette Kosmogenie ablieferte und in einem eigenen Periodensystem die Entdeckung diverser radioaktiver Elemente voraussagte, sah es noch krasser: Er warnte schon Ende der 1950er-Jahre in einem ganze Buch, dass Radio­aktivität das „Todesprinzip in der Natur“ sei und wir das Leben über Jahrtausende hin vergiften, wenn wir diesen Tod aus der Erde holen. „Unser Planet hat bereits ein Grad Fieber, verursacht durch Radioaktivität“, schreibt er.12 Der Zusammenhang zwischen anthropogenen Radionukleiden und Klima ist schlecht erforscht – ein Hinweis könnte sein, dass die Plutoniumaktivität in stratosphärischen Aerosolen satte 100.000 Mal höher ist als in Bodennähe.13,14 Aber wir brauchen gar nicht den Erdboden verlassen – denn was meinen Sie, wo all die anderen anthropogenen Radionuklide aus Fallout, Reaktorunglücken und Atommüll schlussendlich landen? In Ihrem Körper!15

Natürlich ist es zu begrüßen, dass Forscher wie Ruggero Santilli, Radha Roy und Yull Brown Methoden zur Neutralisierung radioaktiver Elemente entwickelt haben16 – und natürlich sollten die tiefer untersucht werden, genau wie diverse Patente zur Transmutation radioaktiven Abfalls.17 Aber wir müssen das Wissen vor allem dazu nutzen, den Müllberg, den wir angehäuft haben, abzubauen, anstatt ihn weiter vor den Haustüren der nächsten Generationen verrotten zu lassen. Damit werden wir lange genug beschäftigt sein: Jeder europäische Meiler, so der 2019 herausgegebene Welt­atommüllbericht, produziert über seine Lebensdauer 6,6 Millionen Kubikmeter radioaktive Abfälle – ein Fußballfeld mit einer Höhe von 919 Metern.18 Jeder. Einzelne. Reaktor. Herrje, ist das so schwer zu verstehen? Wir müssen die Probleme an der Wurzel angehen, nicht nur Symptomwischerei betreiben – sprich: Atommüll gar nicht erst erzeugen. Nicht ein Gramm davon.

Solar, Wind und Biogas sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber die Richtung stimmt. Und die heißt: Raus aus der Radioaktivität. Rein in die Regenerativen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat klar gezeigt, was geht, wenn wir nur wollen: Atomstrom ist weltweit auf dem absteigenden Ast;19 es ist inzwischen nicht einmal mehr ökonomisch, in Atomkraft zu investieren20,21 – ja, Atommeiler werden sogar zu regelrechten Netzverstopfern, weshalb Windkraftanlagen bei zu viel Wind gedrosselt werden müssen.22

Stecken wir die Milliarden, die scheinheilige Reaktorkonzepte verschlingen, lieber in eine strahlungsfreie Zukunft. Und ruhig auch etwas mutiger als bisher: Entwickeln wir die Konzepte zur Neutralisierung des Atommülls bis zur Marktreife, investieren wir in neue Ideen zu Dezentralität und Netzstabilität, professionalisieren wir die vielversprechendsten Raumenergie- und Overunity-Konzepte.23 Setzen wir auf eine Zukunft, die auf das Leben baut – nicht auf den Tod.

Gegenthese: Pro Atomkraft: Eine gute Idee verdient eine zweite Chance – sichere
Kernkraft ist die Basis der künftigen Energieversorgung

Endnoten

  1. Vgl. bspw. „Gefahren der Atomkraft“ auf BUND.net, https://bit.ly/3fcuRFG oder GREENPEACE.de, https://bit.ly/2IQT1JQ; „Zwei-Minuten-Info zur Atomkraft“ auf Ausgestrahlt.de, https://bit.ly/3fcCkVg
  2. Fritsche, U. R.: „Treibhausgasemissionen und Vermeidungskosten der nuklearen, fossilen und erneuerbaren Strombereitstellung“, Arbeitspapier, März 2007; https://bit.ly/3ffcXCh
  3. „EPR (Kernkraftwerk)“, Unterpunkt „Kosten- und Terminüberschreitungen beim Bau“ auf Wikipedia.org, abgerufen: November 2020; https://bit.ly/3lP1xHV
  4. Simon, A.: „Zurück auf Los?“ in.ausgestrahlt,Aug/Sep/Okt 2018, Ausgabe 40, S. 6–7; https://bit.ly/2HjrwIA
  5. „Flüssigsalzreaktor“, Unterpunkt „Nachteile“ auf Wikipedia.org, abgerufen: November 2020; https://bit.ly/2UDto1X
  6. YouTube-Filme: „Thorium – Atomkraft ohne Risiko?“ auf YouTube.com, 26.04.17; https://youtu.be/t-OeZQJHgWE
  7. Simon: „Zurück auf Los?“, a. a. O.
  8. Ashley, S. F. et al.: „Thorium fuel has risks“ in Nature, 05.12.12, 492:31–3; https://go.nature.com/3pKx5kw
  9. Simon, A.: „Nur auf dem Papier“, Interview mit C. Pistner in ausgestrahlt, Nov/Dez 2019 / Jan 2020, Ausgabe 45, S. 18; https://bit.ly/3pIazZw
  10. Ebd., S. 16–7
  11. Pistner, C. und Englert, M.: „Neue Reaktorkonzepte“, Analyse im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung, Darmstadt, 2017; https://bit.ly/3lNuPGK
  12. Russell, W. und L.: „Radioaktivität – das Todesprinzip in der Natur“ (Genius Verlag, 2006), S. 58
  13. „Stratosphäre: Mehr Plutonium als gedacht“ auf Scinexx.de, 08.01.14; https://bit.ly/3pISdYx
  14. Corcho Alvarado, J. A. et al.: „Anthropogene Radionuklide in der Luft über der Schweiz in den letzten Jahrzehnten“ in Nat. Kommun., 5:3030, doi:10.1038/ncomms4030; https://bit.ly/35IA9Wm
  15. Shannon, S.: „Leben und Überleben in einer radioaktiven Welt“ in NEXUS-Magazin, Oktober – November 2018, 61:35–45
  16. Scholz, D.: „Neutralisierung radioaktiver Abfälle: Transmutation macht Endlagerung unnötig“ in raum&zeit, 2018, (213):51ff.
  17. „Transmutation Patents“ auf RexResearch.com, via Archive.org, archiviert am 22.10.18; https://bit.ly/3lH0NVf
  18. „Der Welt-Atommüll-Bericht. Fokus Europa“ auf WorldNuclearWasteReport.org, 2019; https://bit.ly/3nF74RM
  19. Siehe Grafik auf WorldNuclearReport.org, 2019; https://bit.ly/3fgDVt7
  20. Becker, J.: „Atomkraft ist am teuersten“ auf Ausgestrahlt.de, 20.10.17; https://bit.ly/2UE0hLX
  21. Eichhorn, C. von: „Kernkraft fürs Klima?“ auf Sueddeutsche.de, 04.02.19; https://bit.ly/2IS8f1m
  22. „Atomstrom verstopft das Netz – Schluss damit!“ auf Ausgestrahlt.de; https://bit.ly/38VJV9B
  23. Siehe z.B. BrilliantLightPower.com, IE.energy, NET-Journal (https://bit.ly/2UJAG42) oder Wagner, D.: „Der Bibliothekar der Synergie: Interview mit Achmed A. W. Khammas“ in NEXUS-Magazin, Juni – Juli 2020, 89: 60–72

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