DW: Jim, mir scheint, dass du wirklich deinen Platz im Leben gefunden hast. Die Philosophie des Ökokriegers ist dir echt in Fleisch und Blut übergegangen und strahlt förmlich von dir aus. Lass uns am Ende noch über persönliches Wachstum sprechen. Hattest du all das, was dich heute umgibt, schon von Anfang an im Sinn? Und ist es das, was du immer wolltest?
Maarja, Jim und drei Helfer beim Bau der Sauna. (© Shawn Peters)
JS: Weißt du, es ist wirklich lustig – ich hatte nie eine Ahnung, wo die Reise letztlich hingehen würde. Zum einen gab es den Gedanken, sich in den Wald zu verkrümeln und sich auf sich selbst gestellt zu behaupten. Aber das hätte auch etwas von „Rente mit Ende zwanzig“ gehabt. Andererseits war es eine Möglichkeit, sich auszutoben! Kreativ zu sein, nach Belieben Dinge auszuprobieren, ohne dass dir irgendjemand sagt, was angeblich geht und was nicht. Ich wusste nur, dass ich auf diese Weise so frei wie nur irgend möglich sein würde. Und das wollte ich manifestieren. Das zog einen umfangreichen Lernprozess nach sich – nicht nur, was die Baukunst anbelangt, theoretisch wie praktisch, sondern auch „das System“ betreffend. Ich möchte meinen, dass ich meine Balance zwischen Arbeit und Vergnügen gefunden habe. Seit wir als Retreat- und Ökoherberge firmieren, kann ich meinen turbulenten Werdegang mit unseren Gästen teilen. Manchmal kann ich beobachten, wie der Funke überspringt und sie motiviert, ihre eigenen Träume und persönlichen Sehnsüchte Wirklichkeit werden zu lassen. Das muss gar nicht bedeuten, dass sämtliche Besucher mit dem heißen Wunsch heimkehren, sich gleich ihr eigenes Haus zu bauen. Was aber passiert, ist, dass ihnen der Aufenthalt im magischen Lahemaa-Nationalpark die Gelegenheit gibt, sich zu entspannen und ihre eigenen verborgenen Träume zu entdecken – während ihnen durch die Umgebung permanent vor Augen geführt wird, dass alles möglich ist. Dafür, dass das zutrifft, bin ich der lebende Beweis: Wenn jemand wie ich, der zuvor kein einziges Jahr praktische Bauerfahrung und nur wenig Geld hatte, dafür aber eine ordentliche Portion Zielstrebigkeit, ein Projekt wie Kodu verwirklichen kann, dann ist wirklich nichts unmöglich. Kodu bedeutet übrigens so viel wie „Zuhause“. Heimisch fühlt man sich wohl dort, wo man mit dem Herzen dabei ist. Deshalb frage ich gerne: Was ist dein Projekt Zuhause? Ich denke, das ist die Frage, die jeden Besucher herzlich einlade, für sich selbst zu beantworten.
DW: Wenn jemand mit dem Gedanken spielt, selbst so ein Projekt zu realisieren – was würdest du ihm raten? Ist es den Aufwand wert? Wie fängt man an?
JS: „Es“ ist in jedem Fall den Aufwand wert. „Es“ ist der Grund, warum wir hier sind, der Sinn unserer Existenz. Du musst nur herausfinden, was dieses „es“ ist, was du wirklich tun willst. Wenn es dein Ding ist, dein eigenes Heim zu bauen, „off grid“ zu leben, Gemüse anzubauen, das Geldsystem herauszufordern und Fertigkeiten weiterzugeben – dann, um Himmels Willen, tu es! Leg los! Auch wenn du nur die Hälfte oder ein Achtel davon willst, tu es mit ganzem Herzen. Kann sein, dass du dich auf diese Weise neu erschaffen und vervollkommnen wirst.
Im Internet findet man zu den Themen naturgerechtes Bauen und Permakultur jede Menge Literatur, Foren und Videos. Leg dir viele Bücher zu. Gebrauchte Bücher sind meist erschwinglich, sonst leih sie dir in der Bibliothek. Bilde dich – das ist alles keine Quantenphysik! Auf ThePoosh.org findest du Projekte, bei denen du dich unentgeltlich einbringen kannst. Besuch uns im Lahemaa-Nationalpark. Wir bieten Übernachtungsmöglichkeiten und geben den Besuchern die Möglichkeit, ein Gespür für diese Art des Bauens und Lebens zu bekommen. Es mag urwüchsig bei uns zugehen, aber sehr gemütlich!
DW: Jim, ich finde das, was du tust, großartig, und du strahlst es mit jeder Faser deines Wesens aus. Für unsere Leser möchte ich ergänzen, dass selbst die Reise zu deinem Gelände „low cost“ ist: Von Berlin etwa fährt ein Bus für wenig Geld nach Tallinn, aber auch Flüge sind erschwinglich. Die Kosten für Bustickets innerhalb Estlands sind nicht der Rede wert – für die einstündige Fahrt zu dir haben wir zwei oder drei Euro bezahlt. Herzlichen Dank, dass du alle meine Fragen so ausführlich beantwortet hast!
Anmerkung der Redaktion
Falls Sie Interesse haben und Jims Projekt Kodu besichtigen wollen, finden Sie alle weiteren Informationen auf dessen Website Projekt-Kodu.ee. Dort werden Unterkünfte im Zeitraum vom 1. Mai bis 1. Oktober angeboten; zudem gibt es wöchentliche Wild- und Heilkräuterführungen sowie monatliche Workshops rund ums „Ökokrieger“-Bauen – auch auf Anfrage.
Bilder
Alle Fotos im Artikel, wenn nicht anders angegeben, stammen von Sten Roosvald.
Über den Interviewten
Abgekoppelt vom Versorgungsnetz der „Zivilisation“ lebt Jim Self in den Wäldern des estnischen Lahemaa-Nationalparks. Nachdem er 2008 in seiner englischen Heimat einen akademischen Grad im Bereich Wirtschaft erworben hatte, begann er, die Welt zu bereisen und sich für naturnahes Bauen und autarkes Leben zu interessieren. Im Jahr 2011 war Jim an der Gründung des Netzwerks ThePoosh.org beteiligt und bereiste Großbritannien und Europa, um die Plattform zu bewerben und seine Fähigkeiten im naturgerechten Bauen zu erweitern. 2012 erwarben Jim und seine heutige Geschäfts- und damalige Partnerin Maarja im Lahemaa-Nationalpark ein zwölf Hektar großes Grundstück und begannen, ihre Träume in die Realität umzusetzen. Heute steht das als Projekt Kodu bekannte Gelände Gästen offen, um sich fernab der Zivilisation eine Auszeit zu nehmen und sich inspirieren zu lassen.
Nähere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Website Projekt-Kodu.ee oder im englischen TEDx-Vortrag, den Jim im November 2016 im estnischen Tartu gehalten hat: https://tinyurl.com/yd94v2xs. Sie erreichen ihn auch direkt unter jim@projekt-kodu.ee.
Endnoten
- Saana Kuosa: „Kodu / Home“ auf Youtube.com, 13.01.15; https://tinyurl.com/y7khevyt
- siehe Earthship-Tempelhof.de
- WWOOF steht für World Wide Opportunities on Organic Farms und ist ein weltweites Netzwerk für freiwillige Helfer auf ökologisch bewirtschafteten Höfen; siehe WWOOF.de.
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