Interview mit einem Ökokrieger

oekDer Engländer Jim Self hat sich vor mehreren Jahren in ein Naturschutzgebiet in Estland zurückgezogen, um dort mit geringsten finanziellen Mitteln ein Ökoprojekt zu verwirklichen. Im Interview spricht er über das, was er bisher erreicht hat, die Fallstricke eines solchen Projekts und seine ansteckende Motivation.

DW: Du hast schon von heißen Bädern und warmen Duschen gesprochen. Wie erhitzt ihr dabei das Wasser?

JS: Wir haben einige Methoden ausprobiert und sind dabei, ein hybrides System aufzubauen. Mit dem Saunaofen, den wir allabendlich für unsere Gäste anheizen – der Saunabereich ist praktisch unser zentraler Treffpunkt, an dem wir gerne mal ein Bierchen zusammen trinken –, wird das Wasser ziemlich hoch erhitzt und in einem Edelstahlboiler gespeichert. Einer unserer Nachbarn hat den Boiler während der Sowjetzeit gebaut, ausgezeichnete Qualität! Als ich hierher gezogen bin, habe ich mir aus einem alten Heizkörper und einem alten Wasserboiler eine kleine Solardusche gebastelt und sie in einem Baum aufgehängt. Trifft die Sonne auf den Heizkörper, den ich aus einem verlassenen Haus aus- und in ein Glasgehäuse eingebaut hatte, um die Sonnenstrahlen zu verstärken, dann wird das Wasser erwärmt und mittels Konduktion über die Rohre in den Boiler transferiert. Gleichzeitig sinkt das kalte Wasser nach unten, und der Vorgang beginnt von vorn.

Das ist generell eine prima Methode, Wasser vorzuheizen: Leite Wasser aus einem Bach in einen 100 Meter langen, schwarzen Schlauch und roll ihn auf. Selbst an milden Sommertagen wird das Wasser darin recht warm werden. Wenn du das dann dem Saunaofen zuführst, muss dieser weniger Arbeit verrichten. Eine Lösung, die kaum etwas kostet, praktisch kein Vorwissen erfordert und die Umwelt kaum beansprucht. Ist es die effizienteste aller Methoden? Wohl kaum – aber für unsere Bedürfnisse völlig ausreichend.

DW: Inwiefern setzt ihr eine „nachhaltige Lebensweise“ bei der Ernährung um? Baut ihr eure Lebensmittel selbst an? Seid ihr autark oder wollt ihr es werden? Bei meiner letzten Urlaubsreise fiel mir eine von John Seymours Bibeln über Selbstversorgung in die Hände. Mir schien allerdings, selbst wenn man nur eine kleine Familie zu versorgen hat, erfordert es harte Arbeit, sämtliche Nahrungsmittel selbst anzubauen und zu lagern.

JS: Da muss ich gleich sagen, dass ich nicht gerade einen grünen Daumen habe. Bei dem Thema will ich mich lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Einen Garten haben wir aber, um den sich Maarja kümmert. Oft kommen auch Leute vorbei, um uns im Garten zu helfen. Ich denke, Selbstversorger wollen wir nicht werden. Nicht nur, weil es harte Arbeit bedeuten würde – besonders in Estland, wo die Anbausaison nur sehr kurz ist –, sondern auch, weil wir in unserem Umfeld auf ein reichhaltiges Angebot an landwirtschaftlichen Produkten zurückgreifen können. Im Augenblick kaufen wir praktisch alles, was wir unseren Gästen allabendlich servieren, bei örtlichen Biokleinbauern ein. Aus unserem eigenen Garten steuern wir lediglich Salate und Ähnliches bei. Aber wir wollen in der Tat mehr selbst anbauen und mit unseren Besuchern teilen – das wird ein spannender Schritt für uns werden! Natürlich haben wir Hühner und genießen es, jeden Morgen frische Frühstückseier zu haben.

DW: Wer selbst ein Projekt wie das eure realisieren will, der wird sich früher oder später mit der Frage der Finanzierung auseinanderzusetzen haben. Kannst du mir sagen, wie hoch eure Aufwendungen sind? Was konntet ihr ohne Kosten erledigen, und was musstet ihr schlicht kaufen?

JS: Zunächst mal das Grundstück selbst. Glücklicherweise verfügten wir über Ersparnisse, sodass wir das Areal sofort kaufen konnten, ohne monatliche Tilgung. Ich würde sagen, das ist ein Schlüsselaspekt: Vermeide Rechnungen. Wir haben ein paradiesisches Fleckchen ergattert: Nur einen Kilometer vom Strand entfernt, mit zwei Seen ganz in der Nähe, umgeben von einem uralten Wald – es ist ein Traum. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, hier zu leben. Als wir hierher kamen, haben wir alle unsere Ersparnisse investiert. Von da an zogen wir los, wenn irgendwo Häuser abgerissen wurden, und bargen Altmaterialien. Eine Menge Geld haben wir dadurch gespart, dass wir unseren 1994er Toyota Hilux mit altem Pflanzenöl [engl.:waste vegetable oil, WVO] betrieben haben, das wir von Restaurants in Tallinn abzweigten. Da wir auf diese Weise quasi kostenlos überall herumfahren konnten und auch unsere Zeit uns selbst gehörte, trugen wir nach und nach verschiedenste Schätze zusammen, die sich zum Bau verwenden ließen. All die Spülen, Wasserhähne, Boiler, Duschen, der Saunaofen – das gab’s alles gratis. Und jede Menge Holz natürlich! Nie habe ich für das Projekt irgendwelches Holz kaufen müssen. So eine Aussage klingt schon richtig surreal! Ich fälle Bäume und arbeite entsprechend viel mit Rundholz – eine wunderbare und kreative Tätigkeit. Die Strohballen mussten wir kaufen, aber die kosteten nicht die Welt. Des Weiteren musste ich einen ordentlichen Batzen in Elektro- und andere Werkzeuge sowie Kettensägen investieren. Meine Handwerkzeuge stammen größtenteils aus dem Besitz meines verstorbenen Großvaters. Erstklassige, robuste Geräte – nicht der in China zusammengeschusterte Ramsch, den du heute bekommst. Anfangs lebten wir in einem Wohnwagen, den wir in England gekauft und auf WVO umgestellt hatten und mit dem wir kreuz und quer durch Europa fuhren. Letztlich konnten wir ihn sogar noch mit Gewinn verkaufen. Das war schon eine ziemlich gescheite Investition, wenn ich so sagen darf. Rohre und Kabel findet man auf Abbruchgrundstücken, so konnte ich zum Beispiel vom alten Hafen in Tallinn diverse Gegenstände akquirieren. Manches, das sich zur Wiederverwendung nicht eignet – alte Elektrokabel etwa –, kann man auf Schrottplätzen versilbern und auf diese Weise die Kosten für neuwertige Kabel senken. Es ist ein großartiges Gefühl, die Dinge im Griff zu haben!

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DW: Soweit ich das verstehe, geht es wohl darum, die laufenden Kosten möglichst gering zu halten. Wie hoch fallen die bei euch aus, und welche Posten lassen sich bei einem solchen Projekt nicht umgehen? Was ist das größte Hindernis, gänzlich autark zu werden?

JS: Na, ich denke, das Hauptproblem dürfte das Grundstück selbst sein. Wer nicht die Mittel hat, das mit einem Schlag zu kaufen, sollte über gemeinschaftliche Wohnprojekte nachdenken. Das wird in jedem Fall das Modell der Zukunft sein. Dann, wie gesagt, was den Kraftstoff für die Autos betrifft: Stellt nach Möglichkeit auf WVO um. Und – grabt einen Brunnen!

DW: Erläutere doch bitte einmal das WVO-Konzept, das du jetzt mehrfach erwähnt hast. Ist es kompliziert, sein Fahrzeug daran anzupassen? Kannst du ein Buch oder ein Video empfehlen?

JS: Mit waste vegetable oil ist das Öl gemeint, das Restaurants zum Frittieren benutzen. Da sie das Öl regelmäßig wechseln müssen – für gewöhnlich wohl wöchentlich –, landet das alte Öl im Abfall. Zumindest war das lange Zeit so üblich. In den letzten Jahren hat sich vieles geändert. Es gibt jetzt Firmen, die es abholen und in Biodiesel umwandeln. Aber sprich einfach mal freundlich mit der Frittenbude in deiner Nähe, und ich bin sicher, sie würden es auch dir überlassen, damit du dein Auto damit betreiben kannst. Die Restaurantbesitzer waren immer ziemlich platt, wenn ich ihnen erklärt habe, dass ich das Öl einfach über einen bei eBay ersteigerten Filterbeutel mit einer Durchlässigkeit von einem Mikrometer direkt in den Dieseltank meines Toyotas kippe. Das funktioniert mit jedem vor dem Jahr 2000 gebauten Diesel-PKW! Ich muss zugeben: Als ich das zum ersten Mal gemacht habe – 50 Liter Speiseöl aus dem Supermarkt direkt in den Tank zu kippen, ohne irgendwelche Modifikationen am Motor vorgenommen zu haben –, hatte ich Megaschiss. Zwar hatte ich im Internet eine Menge darüber gelesen, meist mit dem Hinweis, dass pflanzliches Öl für den Dieselmotor eine ganz natürliche Sache sei; doch manche meinten auch, das sei total verrückt und würde den Motor ruinieren. Mit „natürlich“ meine ich Folgendes: Als Rudolf Diesel seinen Motor erfand, gab es freilich noch keinen Dieseltreibstoff. Also entwarf er ihn so, dass er mit Erdnussöl lief. Das ist der simple Grund, warum Dieselfahrzeuge mit pflanzlichen Ölen wunderbar laufen sollten – theoretisch zumindest!

Aber es ging alles gut, und das noch für mehrere Jahre, in denen ich das Öl aus der Kantine einer örtlichen Universität verwendete. Man sollte nur ein paar Dinge beachten, wenn man auf WVO umsteigt. Neuere Fahrzeuge haben Bordcomputer und Sensoren, die durchdrehen, wenn irgendetwas anderes als Diesel eingefüllt wird. Zweitens muss man wissen, dass kaltes Pflanzenöl ziemlich dickflüssig ist. Sinnvollerweise sollte man es daher nur im Sommer einsetzen. Es gibt allerdings einen einfachen Trick, mit dem sich die Motoren älterer und einiger neuerer Modelle so modifizieren lassen, dass das Fahrzeug praktisch das ganze Jahr über mit Pflanzenöl fahren kann. Dabei verwendet man zwei Tanks, wobei der Motor zunächst mit Diesel startet, dann aber – sobald er warmgelaufen ist – auf den Hilfstank mit Pflanzenöl umschaltet. Das Öl läuft durch einen Wärmeaustauscher, der für eine sauberere und effizientere Verbrennung sorgt. Und da haben wir ihn: Den Kraftstoff, der wenig kostet, geringe Kenntnisse erfordert und die Umwelt nur minimal belastet.

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