Gaslighting im Weltall
Corey Goode war zu einer loose cannon geworden – einer aus der Verankerung gerissenen Kanone, die auf Deck alles zu zertrümmern drohte, was ihr in die Quere kam. Gaia TV sah sich veranlasst, sämtliche Folgen der „Cosmic Disclosure“-Show, in denen ihr einstiger Superstar aufgetreten war – über 100 an der Zahl, verteilt über vier Jahre –, stillschweigend vom Netz zu nehmen. Statt eines offenen Umgangs mit der Thematik entschied man sich offenbar, die so entstandenen klaffenden Lücken dadurch zu kaschieren, dass man die ursprüngliche Staffelzuordnung im orwellschen Gedächtnisloch verschwinden ließ und die Seasons komplett neu zusammenstellte. Goodes Quasi-Nachfolger Emery Smith, der uns noch beschäftigen wird, trat eigentlich erst 2017 in Erscheinung, lacht uns nun jedoch schon in Staffel 1, Folge 1 an. Bei der Filmdatenbank IMDb hatte man anscheinend die Faxen bei so viel Hin und Her bald dicke – und behielt die ursprüngliche Episodenliste bei, die im Februar 2020 abrupt endet.
Gaia TV hingegen, eine über eine halbe Million Abonnenten zählende Plattform, die 2018 mit einem Umsatzzuwachs von 28 auf 44 Millionen Dollar die Liste der weltweit am schnellsten wachsenden Einzelhändler anführte,7 denkt mitnichten ans Aufhören: Neben Smith erzählen uns dort alte und neue „Insider“ wie Randy Cramer, Tony Rodrigues, Jason Rice, David Adair und (mein heimlicher Favorit) ein Deutscher namens „Tim Tactical Advisor“ [sic] unverwandt etwas von Portalen, Temporaldynamik, Avatartechnologie und was die Herzen der meist jungen Zuschauer sonst noch höher schlagen lässt. Ach ja, und ein alter Bekannter mischt neuerdings kräftig bei der Show mit: der Desinformationsagent im Ruhestand Richard Doty, der im 2013 erschienenen Dokumentarfilm „Mirage Men“ freimütig und stolz erläuterte, wie er einst Ufo-Rechercheure wie Linda Moulton Howe und Paul Bennewitz gezielt in die Irre führte.
Auch unter den SSP-„Zeugen“ – derer gibt es nämlich, wie ich feststellen musste, eine ganze Menge – sah man sich gezwungen, sich klar vom einstigen Mitstreiter Goode zu distanzieren; in diesem Fall jedoch nicht aus finanziellen oder juristischen Gründen, sondern weil man den Prozess der „Offenlegung“ gefährdet sah. (Und mithin die erfolgreiche Aufnahme der Menschheit in die Galaktische Föderation.) Duke Brickhouse, ein enger Vertrauter von Dr. Michael Salla und Betreiber der Website ExoNews.org, beklagte in einem längeren Aufsatz, Goodes Gebaren würde neue Zeugen davon abhalten, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Außerdem würden die Leute angesichts der ständigen Zankereien innerhalb der Community auf Abstand gehen. „Ich fürchte, dass die Gelegenheit für eine echte Offenlegung nur kurze Zeit bestehen wird. Das bisher gewonnene Moment dürfen wir nicht riskieren. […] Coreys juristische und Medienkampagnen, die ihm die exklusiven Rechte über Marken und Narrative sichern sollen, sind nicht sehr hilfreich.“ 8
Doch die Situation sei weitaus komplexer. Brickhouse erläutert in dem Artikel auch die Unterschiede zwischen Goodes und dem von der übrigen Community vertretenen SSP-Narrativ. Einig sei man sich lediglich insofern, dass ein geheimes Weltraumprogramm existiere, das mit negativen Außerirdischen kooperiert – der „Orion-Gruppe“ – und Stützpunkte auf Mars und Mond betreibt. Galaktische Föderation und White Hats seien jedoch Goode zufolge lediglich Illusionen, die von der Orion-Gruppe inszeniert wurden. Zudem ist sich Goode sicher, dass die Orion-Gruppe im Hintergrund unverändert die Geschicke der Menschheit bestimmt, während die Autorin Elena Danaan und andere „Zeugen“ glauben, die Föderation habe unser Sonnensystem von den Orionern befreit. (Sie können mir folgen?) Brickhouse argumentiert, Goodes Narrativ könne nicht stimmen, da es erstens von keinem der übrigen Whistleblower bestätigt wird und zweitens nicht zur weltpolitischen Entwicklung passe. Während Goode meint, die anderen SSP-Zeugen würden ihre Erlebnisse lediglich erfinden, um die von Corey überbrachte tatsächliche Wahrheit zu unterminieren, würde gerade der Umstand, dass die von anderen Whistleblowern beigesteuerten Bruchstücke so gut zueinander passen, auf die Realität ihrer Erfahrungen hinweisen. Brickhouse verweist auf weitere logische Widersprüche in Goodes Version und kommt zu dem Schluss: „Coreys Narrativ ist nicht glaubhaft. […] Gemessen an den vorhandenen Indizien und unterstützenden Hinweisen ist das positive Elena-/Salla-Narrativ am plausibelsten.“
Die stringente Analyse des gestandenen Anwalts könnte überzeugen, gäbe es im wirklichen Kosmos tatsächlich nur die beiden von ihm in Betracht gezogenen Optionen. Unfreiwillig liefert der Verfasser ein klassisches Beispiel für eine falsche Dichotomie: Die Möglichkeit etwa, dasssämtlicheSSP-Zeugen einer Täuschung aufgesessen sein könnten, blendet Brickhouse von vornherein aus. Bedeutet die vermeintliche wechselseitige Bestätigung zahlreicher „Whistleblower“-Aussagen tatsächlich, dass ein geheimes Weltraumprogramm in der beschriebenen Weise zwingend existieren muss? Oder könnte es ganz andere Erklärungen geben? Nicht einmal die eher rationale Variante der „Disclosure“-Bewegung – verkörpert durch Proponenten wie Greer, TTSA, Elizondo und aktuell Grusch – findet bei Brickhouse Erwähnung. Ein wenig fühle ich mich an den Kampf zwischen Judäischer Volksfront und der Volksfront Judäas erinnert.
Interessanterweise verwendet Brickhouse in seinem Artikel ganze sieben Mal den Begriff „Gaslighting“. Zu Recht ist der Terminus, der die manipulative Aufweichung des eigenen Realitätsgefühls durch andere bezeichnet, derzeit allerorten im Gespräch; doch wird er häufig seinerseits leichtfertig oder gar manipulativ benutzt. „Eine der üblichen Methoden, mit deren Hilfe die [Mainstreammedien] ein offizielles Narrativ aufrechterhalten, besteht darin, andere zu ‚gaslighten‘“, schreibt Brickhouse. „Wir sollen etwas glauben, das schlicht und ergreifend nicht wahr ist. Wer dann mutig genug ist, das Narrativ zu hinterfragen, wird als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt.“ Eine super Zusammenfassung – doch scheinen es stets nur die anderen zu sein, die Gaslighting betreiben. Wer Brickhouse folgt, hält am Ende möglicherweise selbst etwas für real, das „schlicht nicht wahr ist“. Im Wikipedia-Eintrag zum Begriff Gaslighting wird darauf hingewiesen, dass sich ein (seinerseits manipulierter Mit-) Täter seiner Täterschaft gar nicht bewusst sein muss.
David, das Stehaufmännchen
Lassen Sie uns hiermit Mr. Goode endgültig Lebewohl sagen und einmal schauen, wie es den übrigen Protagonisten des Jahres 2017 ergangen ist.
Da wäre zunächst Coreys einstiger Kompagnon David Wilcock, Autor und – ja, was eigentlich? Ach ja, da steht es, in seiner Selbstbeschreibung auf Twitter: „Direktor bei Advanced Technology for Stavatti Aerospace, wiederkehrender Gast und Produzent bei ‚Ancient Aliens‘, zweifacher New-York-Times-Bestsellerautor und Multiinstrumentalist.“ Wilcocks zahllose unerfüllte Prophezeiungen, fantastische Behauptungen und unfreiwillige Schenkelklopfer sind legendär, doch wollen wir uns hier auf die Kernpunkte seines jüngsten Schaffens konzentrieren.
Mit Goodes Abtritt wurde es auch um Wilcock zunächst still, nachdem er Gaia TV 2018 per E-Mail um vorzeitige Aufhebung seines Vertrages ersucht hatte. In dem sogenannten „Resignation Letter“, der nach seiner unbeabsichtigten Veröffentlichung schnell die Runde machte, beklagte Wilcock ein unzumutbar gewordenes Arbeitsklima, gebrochene monetäre Versprechen, respektlosen Umgang sowie den Versuch, ihn vor dem Publikum in die luziferische Ecke zu stellen. Er bescheinigte Gaia Inc. eine „ernste psycho-spirituelle Krise“ und schrieb: „Ich habe bewusst über eine erhebliche Zahl anstößiger, respektloser und übergriffiger Situationen hinweggesehen, um diesen Job sechs Jahre lang machen zu können – hauptsächlich aus einem Gefühl finanzieller Abhängigkeit heraus.“ Zudem habe sich seine Moderatorentätigkeit mit dem „siebenjährigen Martyrium mit meiner physisch gewalttätigen Ex“ überlappt. Als Gaia versuchte, die „aggressiv für Luziferianismus werbende“ erste Folge von „Ancient Civilizations“ auf Wilcocks YouTube-Kanal zu platzieren, sah dieser seine Felle davonschwimmen. „Mein unfreiwilliges Erscheinen in einer Sendung diesen Inhalts könnte zur Folge haben, dass mich jemand aus religiösen Gründen zu ermorden versucht.“ 9
Doch die geistige Welt hielt zu David, und 2022 warf er seinen neuesten, mehrbändigen Wälzer auf den Markt: „The Michael Prophecies“, eine Sammlung alter und neuer Durchsagen, die Wilcock vom gleichnamigen Erzengel erhalten haben will. Bescheiden nennt er diesen als Verfasser und stellt sich selbst als Co-Autor hintan. „Verankert euch in dem Wissen, dass das Licht GEWONNEN hat und empfangt die Zuversicht und Geborgenheit, dass alles okay sein wird“, lädt Wilcocks Website zum Kauf des 99-Dollar-Paketes ein.10 Mehrmals schon hatte Wilcock sich im Laufe der Jahrzehnte neu erfunden. Der unabhängige Rechercheur Steven Cambian, Betreiber des YouTube-Kanals „Truthseekers“, bezeichnete die Fähigkeit, sich nach einem öffentlichen Debakel einfach zu verdünnisieren und Jahre später – statt jemals wirklich reinen Tisch zu machen – wieder mit einer neuen Nummer auf der Bildfläche zu erscheinen, als den „Cosmic Con Shuffle“ (dt. etwa: die Masche der kosmischen Betrüger).
Die „erste Aufstiegswelle“ – ein „Wandel ohne Katastrophen, der unsere Körper und Gedanken in nahezu unbegreiflicher Weise spiritualisieren wird“ – soll Michael zufolge spätestens 2025 vonstattengehen. (Gähn.) Das „seit Jahrhunderten prophezeite Armageddon ist abgesagt worden – dank unserer guten Noten!“ Doch der „Erzengel“ vertraute Wilcock (wem sonst) weitere brisante Informationen an – wie etwa Methoden zur Erlangung telekinetischer Fähigkeiten. „Ich bekomme tatsächlich Resultate“, jubelte der Autor in einem Livestream auf YouTube. „Mindestens zwei bis drei telekinetische Ereignisse pro Tag“ habe er im April 2022 erlebt. „Seltsam und nervig“ sei zwar, dass sie „stets grenzwertig“ (d. h. uneindeutig) blieben; es sei nicht so, dass „Dinge durch die Luft schweben“, sondern halt „so kleine Sachen“. Aber immerhin. Besonders erschrocken sei er, als er einmal parallel zur Bewegung eines Gegenstandes eine Stimme in seinem Kopf hörte. „Offenbar passiert das zuerst bei mir. Später einmal wird es dann bei euch geschehen – und ich bin hier, um euch zu sagen, wie ihr euch darauf vorbereiten könnt.“
Und dann glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen. Der Erzengel habe Wilcock angewiesen, täglich ein Bad zu nehmen – und in das Badewasser zu urinieren. Das habe „mit der ganzen Innen-Außen-Sache [zu tun], wo man das Innere nach außen kehren und eins mit dem Universum werden muss“. Wilcock zuckt die Achseln. „In die Badewanne zu pinkeln ist anscheinend ein guter Weg, um das zu erreichen. Keine Ahnung – ich befolge einfach meine Instruktionen.“ 11
Kommentare
03. April 2024, 23:31 Uhr, permalink
Drusius
Das universelle Bewußtsein steht nach dem globalen Bewußtsein auf dem Idelogieprogramm, so darf man vermuten. Die Glaubwürdigkeit wird erst nach der intensiven Beschäftigung mit dem Thema geschaffen.
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