Geheimnisse der irischen Rundtürme (Teil 1)

Alanna Moore - Kraftturm 100px - 72dpiÜberall in Irland ragen massive Rundtürme aus den Ruinen alter Klöster empor. Obwohl sie mutmaßlich im christlichen Mittelalter errichtet wurden, sind sie mit keltischen Symbolen verziert und stehen im Zentrum alter Rituale. Welchem Zweck sie ursprünglich dienten, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Während viele Historiker sie als Glockentürme bezeichnen, gibt es Anzeichen dafür, dass sie besondere Kraftorte markieren und wie steinerne Antennen kosmische Energien in den Boden übertragen.

Trotz der scheinbaren Kontinuität regte sich im Volk heftiger Widerstand gegen die neue Religion, da die Menschen energisch an den irischen Überlieferungen festhielten. Einige Forscher meinen, dass die sogenannte Keltische Kirche ein Verschnitt aus Heiden- und Christentum gewesen sei. Sicherlich fanden in Irland viele heidnische Vorstellungen und Praktiken ihren Weg in das christliche Glaubenssystem, doch längst nicht so viele wie in Italien, Sizilien und Griechenland. Laut dem modernen Druiden Phillip Carr-Gomm handelt es sich bei der Keltischen Kirche eigentlich um einen Mythos, der von protestantischen Reformatoren promulgiert wurde, um ihre „ursprünglichere“ Religion als Alternative zum römischen Katholizismus durchzusetzen. Forschungsergebnisse aus den 1970er Jahren haben die Keltische Kirche laut Carr-Gomm endgültig ins Reich der Fiktion verbannt.10

Schon im Jahr 431 n. Chr. wurde Irlands erster Bischof Palladius aus dem spätrömischen Großbritannien nach Irland geschickt, also muss es zu dieser Zeit bereits einen nennenswerten christlichen Anteil in der Bevölkerung gegeben haben, der diese Entscheidung rechtfertigte. Der heilige Patrick dagegen kam auf eigene Faust aus Wales nach Irland gewandert. Von einer Vision geleitet, bereiste er überwiegend die nördliche Hälfte der Insel. Die Kraft des irischen Heidentums und der Sonnenverehrung (auf die ich in einem anderen Kapitel meines Buches ausführlich eingehe) wird darin deutlich, dass St. Patrick den Iren im 5. Jahrhundert erklärte, Christus sei „die wahre Sonne“. Allerdings hatte die Mär von Patricks Einfluss viel mehr mit Politik zu tun als mit sonst irgendetwas. Die meisten Geschichten über seine Abenteuer waren schlichtweg erfunden.

Sicher haben Rom und Europa in jenen Tagen Einfluss auf Irland genommen, was allein schon aus den technischen Errungenschaften ersichtlich ist. Als etwa 500 Jahre nach St. Patrick aber der Turmbau zu florieren begann, hielten die Baumeister an ihren archaischen Stilen fest – ein Hinweis darauf, dass es keine allzu starke Beeinflussung aus der Fremde gegeben hat.

Zwischen dem 5. und 13. Jahrhundert gab es in Irland zahlreiche verstreute, landwirtschaftlich geprägte Niederlassungen mitten im offenen Grasland. Wir wissen von bis zu 50.000 Ringfort- oder Rath-Siedlungen. Sie bargen die Wohnstätten des Stammes mitsamt seinem Vieh; Zäune auf den Wällen boten zusätzlichen Schutz gegen Wölfe. (Selbst Leichen, die auf dem Friedhof vergraben lagen, waren vor den Wölfen nicht sicher.) Einige Ringforts waren politische Machtzentren, andere waren monastische Siedlungen, und viele waren wahrscheinlich beides. Jede konnte sich selbst versorgen und war vertraut mit allen möglichen Arten des Handwerks. Das technische Niveau konnte mit dem jeder vergleichbaren Zivilisation mithalten – nur ein Element fehlte: Es wurden so gut wie gar keine Keramiken angefertigt. Der wichtigste Rohstoff war Holz.

Klöster

Im 6. Jahrhundert begann die irische Kirche ägyptische und syrische Vorstellungen des klösterlichen Zusammenlebens zu adaptieren. Das Konzept ließ sich bestens auf die bereits bestehende Siedlungsstruktur übertragen.

Schon bald wurde die Klostergemeinschaft zum wesentlichen Organ der frühen irischen Kirche, während sie gleichzeitig die gesellschaftliche Kontinuität und Ordnung aufrechterhielt. Die Abtwürde war eine Frage des Familienerbes und der Verwandtschaft, weshalb die Klosterstifter und Heiligen immer von adeliger Herkunft oder mit den Herrscherfamilien verbandelt waren.

Anders als die hochorganisierten religiösen Orden Europas waren die irischen Klosterstädte organisch strukturiert. Ihre Gebäude waren niedrig und flach (bis der Turmbau begann), mit vielen kleinen Kirchen und willkürlich positionierten Nebengebäuden.

Kirchen aus Holz oder gar lehmbeworfenem Flechtwerk waren ursprünglich die Regel; außer im Westen, wo es reichliche Gesteinsvorkommen gab. Bis zum 10. Jahrhundert waren die Holzkirchen schließlich steinernen Gebäuden gewichen, während weniger wichtige Gebäude nach wie vor aus Holz konstruiert wurden.7

Pilgerreisen nach Europa

Im 9. Jahrhundert sprach der deutsche Mönch Strabo von „den Iren, deren Brauch, fremde Länder zu bereisen, ihnen heute fast ins Blut übergegangen ist“. Während der Blütezeit der Wallfahrten nach Rom und Europa, die etwa im 6. Jahrhundert ihren Anfang nahmen, wurden irische Pilger als „Peregrini“ bezeichnet. Man kann sich die Aufregungen und Abenteuer vorstellen, die eine solche Pilgerreise mit sich brachten. Zudem war sie sicher nicht billig und damit der Oberschicht vorbehalten: Die ersten irischen Touristen waren Könige und höhergestellte Geistliche.

Es existierten gut organisierte Pilgerruten, die von besonderen irischen Herbergen gesäumt waren. Oft beriefen irische Bischöfe auf ihren Reisen Pilger in den Priesterstand, und viele irische Gelehrte arbeiteten an den Höfen der Karolinger. Den weltlichen Machthabern Europas war das Verhalten der irischen Pilger zunehmend ein Dorn im Auge, weshalb sie im 8. Jahrhundert im Ausland zu personae non gratae denunziert wurden und man ihnen nahelegte, ihre Pilgerreisen zu Hause durchzuführen.

Auf ihren Wanderungen haben reiche Pilger wahrscheinlich mit Staunen auf die Kirchengebäude des karolingischen Königsreichs geblickt (in Frankreich, Deutschland und Belgien) und nicht ohne Neid die architektonische Finesse der Bauwerke – zum Beispiel der Glockentürme – zur Kenntnis genommen, die es in Irland nie gegeben hatte. Die Dimensionen der Gebäude waren wesentlich imposanter als daheim und müssen den Iren einiges an Ehrfurcht abgewonnen haben. An nahezu allen wichtigen Pilgerstationen auf dem Kontinent konnte man italienische Kampanilen bewundern, etwa in Rom, Ravenna und anderswo. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Pilger beschlossen, diese hochaufragenden Statussymbole auch in irischen Klöstern zu etablieren.8

Im Zuge der spirituellen Reformen der Culdee-Bewegung ebbte der irische Pilgerstrom ins Ausland um 800 n. Chr. ab. Die Culdee stehen nach Vermutungen einiger Forscher mit den Druiden in Verbindung und es wird behauptet, dass die irische Turmbauphase auf ihre Initiative zurückgeht.

Das Zeitalter des Rundturms

Vom 8. Jahrhundert an etablierten sich überall in Irland eigene Wallfahrtsorte, und ungefähr zu dieser Zeit könnte auch der Turmbau seinen Anfang genommen haben (manche verlegen ihn auf das 10. Jahrhundert). Die europäischen Glockentürme wurden von irischen Steinmetzen nachgeahmt, die mit den traditionellen archaischen Bauweisen vertraut waren. Dank des nun verfügbaren römischen Zements konnten sie die steinzeitliche Cashelform derart verbessern, dass es ihnen möglich war, weiter in die Höhe zu bauen. Die so konstruierten Türme dienten als weithin sichtbare Erkennungszeichen für Pilger; als Aussichtstürme, von denen sich nahende Gefahren früh genug erkennen ließen; als Schatzkammern und als Quasi-Glockentürme, in denen regelmäßig Handglocken geläutet wurden.

Armore

Ein Rundturm, Armore, Co. Waterford, Irland. Foto von John Hinde

Die Türme wurden vornehmlich auf Kirchhöfen errichtet, wobei der Abstand zur Kirche variierte. Typischerweise standen sie links oder rechts der Westpforte, das heißt im Nordwesten oder Südwesten des Kirchengebäudes. Nur wenige andere Klosterbauten wurden derart planmäßig errichtet. Kirchen entstanden meist ad hoc und hatten nur gemein, dass sie sich von Westen nach Osten erstrecken, sodass ihre Altarseite nach Jerusalem wies. Nur die Rundtürme scheinen in einer besonderen räumlichen Beziehung zur Hauptkirche zu stehen.

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