Geheimnisse der irischen Rundtürme (Teil 1)

Alanna Moore - Kraftturm 100px - 72dpiÜberall in Irland ragen massive Rundtürme aus den Ruinen alter Klöster empor. Obwohl sie mutmaßlich im christlichen Mittelalter errichtet wurden, sind sie mit keltischen Symbolen verziert und stehen im Zentrum alter Rituale. Welchem Zweck sie ursprünglich dienten, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Während viele Historiker sie als Glockentürme bezeichnen, gibt es Anzeichen dafür, dass sie besondere Kraftorte markieren und wie steinerne Antennen kosmische Energien in den Boden übertragen.

Böden und Fenster

Die Eingänge der überwiegenden Mehrheit aller Rundtürme befinden sich weit über dem Boden. Lalor glaubt, dass nur die frühesten Versionen über Türen auf Bodenniveau verfügten. Für respektlose Angreifer hätten sie ein verführerisch einfaches Ziel abgegeben. Die höchste Tür prangt neun Meter über dem Boden am Kilmacduagh-Turm – was es sehr unwahrscheinlich macht, dass zum Besteigen eine Leiter aus seinem Innern herausgereicht wurde. Vielleicht nutzte man einst Strickleitern oder hölzerne Treppen, doch für beide Annahmen gibt es keine Belege.

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Foto von Junitta Vallak

Die Türen weisen in den meisten Fällen nach Osten oder zumindest in eine östliche Richtung. Im Allgemeinen lagen sie gegenüber der Westpforte der Hauptkirche des Komplexes. Vielleicht gab es energetische Gründe für diese Ausrichtung – immerhin konnte Callahan an Megalithstrukturen, Rundtürmen, gotischen Kathedralen und anderen altertümlichen Monumenten extrem niederfrequente (ELF-)Energien messen, die sich in den Bauwerken zu sammeln schienen. Er schrieb dazu:

„Es sieht danach aus, dass die meisten heilenden / religiösen Strukturen […] nach Osten weisen, sodass sich die schwache Energie im Eingangsbereich und die starke Energie im hinteren Teil konzentriert, wo sich der Altar oder die Heilkammer befindet.“9

Im Innern der Türme gab es einst hölzerne Stockwerke und darunter einen Keller aus rohem, unbehauenem Stein. Einer der Turmkeller hat ein Fenster. In den Kellern der Türme in Glendalough und Kilmacduagh gibt es ungewöhnliche schmale, horizontale, rechteckige Passagen, die direkt durch die Kellerwand laufen. Möglicherweise dienten sie der Trocknung oder Belüftung.

Die zweite Etage der Türme könnte die wichtigste gewesen sein, da hier oft Konsolen (Kragsteine) zu finden sind, die als Aufhängungen für Lederranzen gedient haben könnten, in denen wichtige Schriften und andere Klosterschätze aufbewahrt wurden. Lalor nennt dieses Stockwerk die Schatzetage.

Sechs Türme verfügen über sehr große Fenster in der zweiten Etage, von denen alle beinahe die Größe einer Tür haben und vier nach Osten weisen. Die Fenster der Schatzetage wurden in der Regel links oder rechts über der Tür angelegt. Da dies das einzig ausreichend beleuchtete Stockwerk war (und einige Etagen über gar kein Fenster verfügten), ist es durchaus plausibel, dass hier Reliquien und Wertgegenstände aufbewahrt wurden.

Allgemein gesprochen wurde zunächst das Fenster im zweiten Stock über der Tür angelegt, während sich die restlichen Fenster für gewöhnlich, vom ersten ausgehend, mit oder gegen den Uhrzeigersinn den Turm emporschraubten. Das vergrößerte einerseits das Sichtfeld von Beobachtern und Wachen und ahmte außerdem den architektonischen Stil europäischer Glockentürme nach, deren Fensterarrangement durch den Verlauf der Wendeltreppen vorgegeben wurde. Die Fenster in solchen Glockentürmen waren meist relativ klein und auf Bodenhöhe angesiedelt.

Das Obergeschoss ist das einzige Stockwerk, das sich von den anderen unterscheidet, wobei die meisten Türme ihr Obergeschoss verloren haben. Für gewöhnlich befanden sich hier vier Fenster, die mehr oder weniger nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet waren, und weitere Fenster, die so angelegt waren, dass sich von ihnen aus wichtige Straßen oder Täler überwachen ließen.

Wären die Türme wirklich als Glockentürme genutzt worden, hätte das große Schwierigkeiten mit sich gebracht. Die Zeit wurde in jenen Tagen fast ausschließlich durch Glockenschläge angegeben, was äußerst wichtig war, um sicherzustellen, dass die Klostertätigkeiten flüssig vonstattengingen – Verspätungen und Säumigkeit standen sogar unter Strafe. Mehrmals am Tag das sogenannte „Glockengeschoss“ zu erklimmen, wäre angesichts der vielen Leitern oder Treppen sehr mühselig gewesen.

Es gibt keinen überlieferten Mechanismus, der erklären würde, wie Glocken und Stricke in den Türmen zum Einsatz gekommen wären – und Glocken wurden darüber hinaus ohnehin keine gefunden. Die in den Annalen beschriebene Zerstörung großer Glocken bezieht sich auf feingehämmerte Handglocken, die in Irland in Mode waren, als die Türme gebaut wurden.

Vielleicht wurden die Glocken von den Türen oder Schatzfenstern aus geläutet. Die typischen vier „Glockengeschoss“-Fenster könnten etwas mit dem rituellen Glockenläuten während der Lithurgie zu tun haben, da sich in den Fenstern die Kreuzform widerspiegelt; allerdings gibt es viele Ausnahmen von diesem Arrangement – Kilmacduagh etwa verfügt über sechs Fenster im Obergeschoss.

Interessanterweise wurde die große Mehrheit der Handglocken zwischen dem achten und zehnten Jahrhundert gefertigt, und das Glockengießen scheint nach etwa 900 n. Chr. aus der Mode gekommen zu sein – just als der Turmbau seinen Zenit erreicht hatte. Nur wenige Handglocken stammen aus dem 12. Jahrhundert.7

Architektonische Evolution

War der Rundturm eine rein importierte Form oder ist er Ausdruck einer einheimischen irischen Spiritualität und Kosmologie? Gibt es Hinweise auf eine evolutionäre Entwicklung hin zu dieser Form?

Ab etwa 10.000 v. Chr. begannen die neolithischen Völker Westeuropas damit, Hünengräber aus massiven Steinen, Holz und Erde anzulegen, auch Dolmen und Cromlechs genannt. Diese zeremoniellen Totenbauten gehören zu den frühesten menschengemachten Monumenten, die je gefunden wurden. Noch heute sind ca. 40.000 Hünengräber erhalten.

Um 3.000 v. Chr. vollzog sich eine stilistische Änderung, als kreisförmige Monumente in Mode kamen. In Irland (und auch im Norden Wales und Schottlands) wurden die Grabschreine nun als riesige Rundhügel angelegt. Sie wiesen eine oder mehr Passagen auf, die in die zentrale Steinkammer mündeten; ein Beispiel sind die eindrucksvollen, 5.000 Jahre alten Ganggräber in Newgrange. Derartige Ganggräber waren im Innern mit Gravuren versehen und nach der Sonne ausgerichtet; üblicherweise orientierten sie sich an der Wintersonnenwende.10

Ursprünglich wurden wichtige Siedlungen inmitten großer kreisförmiger Erdwerke angelegt, sogenannten Raths, Lios (wörtlich: Viehpferchen) oder Ringforts (was fälschlicherweise einen rein defensiven Zweck suggeriert). Bei den irischen Trockenmauer-Ganggräbern und -Cashels handelt es sich ebenfalls um kreisförmige Strukturen. Vielleicht wurde der Ringform eine heilige, magische Schutzwirkung nachgesagt. Lalor argumentiert, ein Rundturm sei nichts anderes als ein Stein-Cashel plus römischem Zement, jenes neue Material, das es erlaubte, nach dem Vorbild europäischer Glockentürme in die Höhe zu bauen.

Das Grianán von Aileach (Steinhaus der Sonne) nahe Londonderry in der Grafschaft Donegal ist das berühmteste antike Bauwerk der historischen Provinz Ulster. Laut Lalor war die königliche Anlage etwa vom 5. bis zum 12. Jahrhundert bewohnt, wobei ihr andere Forscher ein weitaus höheres Alter zuschreiben. Donnelly gibt an, dass sie im Jahr 140 n. Chr. bereits von Claudius Ptolemäus erwähnt wurde.

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