Im Jahr 1979 veröffentlichte Professor George L. Barrow ein Buch über irische Türme, das allerdings ebenfalls nicht gerade durch historische Exaktheit brilliert. So schrieb er den Türmen zum Beispiel ein viel zu hohes Alter zu und nahm an, sie stammten aus vorchristlicher Zeit.
Welchem Zweck die Türme ursprünglich auch gedient haben mögen: Phil Callahans Forschungen, die er während des Zweiten Weltkriegs aufnahm, brachten ihn zur Überzeugung, dass die Türme als „steinerne Antennen“ fungieren, die in der Lage sind, kosmische Energien anzusammeln und in die Böden zu übertragen, was ein verbessertes Pflanzenwachstum zur Folge hat. Ein Teil der Forschung Callahans beruht unglücklicherweise auf Barrows unzuverlässigen Arbeiten, was die Angelegenheit noch einmal verkompliziert.
Zu den interessantesten Thesen Callahans gehört das Konzept, die Standpunkte der Türme würden auf einer Karte von Irland den Positionen bestimmter Sternenkonstellationen entsprechen. Sie wären damit Teil eines „irdischen Tierkreises“, der den Nordhimmel zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende widerspiegelt. Nachts war es Callahan möglich, knapp 15 Meter lange kosmische Strahlen zu messen, die von den gigantischen Hohlleiter-Strukturen angezogen wurden.
Diese Beobachtung veranlasste ihn zu der Annahme, das astronomische Wissen Ägyptens sei in die Konstruktion der Türme eingeflossen. Sein Buch „Ancient Mysteries, Modern Visions – The Magnetic Life of Agriculture“ begründete ein völlig neues Forschungsfeld. Viele Menschen meinen, seine Erkenntnisse gehörten zu den bedeutendsten Entdeckungen des Jahrhunderts.5
Im Jahr 1999 stellte der Architekt Brian Lalor das am besten recherchierte und reichhaltigste Werk zusammen, das bisher zum Thema erschienen ist. Lalor fotografierte und beschrieb 73 Türme und datierte sie gemäß ihrer architektonischen Stile. Das ist eine logische und willkommene Bereicherung der Debatte und ordnet die Türme stilistisch ins frühe Mittelalter ein.6 Im Jahr 2000 legte Roger Stalley nach und veröffentlichte einen kurzen, aber interessanten Reiseführer mit dem Titel „Irish Round Towers“.7
Es hat bisher keine systematische Untersuchung der Türme gegeben, die ihre Geheimnisse vollends ausleuchten würde. Keine der Theorien zur Erklärung der Türme ist frei von Makeln – es scheint, als würden wir mit unseren Deutungsversuchen nur an der Oberfläche kratzen.
Was ist ein Rundturm?
Irlands Rundtürme stellen eine einzigartige architektonische Form dar. Auch die zwei Türme im irischen Stil, die in Schottland und auf der Isle of Man gefunden wurden, sind wahrscheinlich von irischen Missionaren und Baumeistern errichtet worden. Die Türme sollten nicht mit jenen Rund- und Vierecktürmen verwechselt werden, die im 19. Jahrhundert erneut modern wurden.
Von den 36 Türmen, die noch vollständig erhalten sind, ist der imposante schiefe Turm von Kilmacduagh in der Grafschaft Galway mit 34 Metern der höchste. Vierzig Türme finden sich in den Ruinen klösterlicher Siedlungen; der Rest steht isoliert, wobei man ursprünglich annahm, dass es auch in ihrer unmittelbaren Nähe ein Kloster gegeben haben müsste.
Das Verhältnis der Turmhöhe zu ihrem Durchmesser beträgt etwa 4:1 oder 5:1. Die Wände verjüngen sich von der Basis aufwärts in einem Winkel von drei bis vier Grad. Der Winkel der konisch geformten Dachkappen beträgt oft um die 45 Grad und ist laut Callahan durch den Breitengrad Irlands bedingt, der wiederum in Relation zum Sonneneinfallswinkel steht.
Das alles passt gut in seine Theorie – doch schaut man auf der Karte nach, liegt Irland gar nicht in einer 45-, sondern eher in einer 52-Grad-Zone.
Da sie aus römischem Mörtel gefertigt wurden, konnten die Türme höher gebaut werden als jedes andere Gebäude vor ihnen. Sie waren so robust, dass einer der Türme in Clondalkin, Dublin, sogar intakt blieb, als nur acht Meter von seiner Basis entfernt eine Pulvermühle explodierte – jedes Gebäude in der Nähe wurde zerstört, nur der Turm nicht. Der Rundturm von Maghera kam bei einem Erdbeben zu Fall, doch kam er weder während des Sturzes noch beim Aufprall zu Schaden, sondern liegt seitdem im Ganzen auf dem Boden und mutet wie ein riesiges Kanonenrohr an.
Ornamente und Symbole an den Türmen
Die frühen Türme im archaischen Stil waren mit wenigen Ausnahmen schlicht und simpel gestaltet. Später, als der romanische Baustil Irland erreicht hatte, adaptierten die Turmbauer dessen typische Verzierungen.
Seltsamerweise sind nur selten christliche Symbole an den Türmen zu finden, für gewöhnlich stechen vielmehr keltisch anmutende Motive ins Auge. In mehrere Türme – zum Beispiel in Devenish – sind hier und da ein oder zwei Kopfpaare eingraviert. Sie könnten natürlich Heilige darstellen, setzen aber auch eine seit langer Zeit bestehende keltische Tradition fort, da die Kelten den menschlichen Kopf als Sitz der Kraft und des Geistes ansahen und auf dem Schlachtfeld gar Köpfe als Trophäen sammelten.
Das Dachgesims des Turms in Devenish ist mit einem dekorativen Fries verziert (Rauten und S-Formen zwischen den Rändern), und der Turm in der Anlage von Temple Finghin in Clonmacnoise zeigt ein einzigartiges Fischgrätenmuster auf seiner Haube; ein weiteres Stück keltischer Mode, das man auch an einigen britischen Gebäuden aus dem 11. und 12. Jahrhundert bewundern kann.
An einem der Türme prangt ein keltisches Kreuz, ein bekanntes vorchristliches Symbol; auf einem anderen finden sich spiralförmige Windungen. In den Turm von Drumlane sind zwei Vögel eingraviert, darunter ein Hahn – ein weiteres Lieblingssymbol der Kelten. An einem Turm befindet sich eine primitive Kreuzigungsfigur, die aber durchaus auf das ältere Thema des zyklischen Sterbens und Wiederauferstehens einer Königs- oder Grüner-Mann-Figur zurückgehen kann, zumal diese Überlieferung älter ist als das Christentum.
Einen weiteren Turm schmückt eine Sheela-na-Gig. Der Anblick dieser Wasserspeier-ähnlichen, explizit sexuellen weiblichen Figuren sollte den Menschen des Mittelalters angeblich helfen, ihre fleischlichen Gelüste zu zügeln. Viel wahrscheinlicher gehen die Sheelas auf eine leidenschaftlich-herrische Fruchtbarkeitsgöttin zurück. Später galten sie als Schutz- und Glückssymbole und laut Harbison rieben Pilger ihre Hände an ihren ausladenden Genitalien.8 Hinweise dafür finden sich auch an den Sheela-na-Gigs, die im Dublin Museum ausgestellt werden.
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