„Wie ich meine Midlife-Krise überwand und einer der fittesten Männer der Welt wurde“ – hm, gibt es nicht schon genug Titel à la „Ich bin die Supergranate und du kannst das auch“? Schließlich meint heute jeder C-Promi, der sich einen Sixpack antrainiert oder zehn Kilo abgenommen hat, seinen „Weg“ mit ein paar Motivationsphrasen anreichern und zwischen Buchdeckel quetschen zu müssen.
„Finding Ultra“ ist von dieser Massenware für das ungeübte Auge schwer zu unterscheiden, gehört aber ohne jeden Zweifel in eine völlig andere Liga. Allein das Ausmaß der persönlichen Transformation des Autors Rich Roll ist außerordentlich: Während er sich kurz vor seinem Vierzigsten noch hauptsächlich von Cheeseburgern ernährt und Bestzeiten höchstens beim Dauerfernsehen erreicht, sucht er sich wenige Jahre später Herausforderungen wie den Epic 5, bei dem er zusammen mit einem Freund innerhalb einer Woche fünf Triathlons absolviert. Ein Kraftakt, den vor den beiden noch niemand geschafft hat, geschweige denn versucht. Und dabei räumt Roll dem Sport nie eine höhere Priorität ein als seiner fünfköpfigen Familie und geht seinem Beruf als Medienanwalt nach.
Wirklich ungewöhnlich ist nun, dass der Autor es schafft, einen solchen Weg auch für Durchschnittsmenschen gangbar erscheinen zu lassen und dass ihm dabei eine Verschmelzung von vier spannenden Büchern gelingt: ein Buch über die Abgründe von Sucht und Selbstzerstörung, ein Buch über (Hoch-)Leistungssport und Trainingsprinzipien, ein Buch über vegane, ganzheitlich-gesunde Ernährung und die Autobiografie eines prall gelebten Lebens. Das alles in virtuosen, fast schon mathematisch präzisen Formulierungen (hier muss man sicher auch den Verlag für die deutsche Übersetzung loben), die kaum Missverständnisse aufkommen lassen und trotzdem nie mit akademischer Trockenheit langweilen. Auch deren Gegenpole wie esoterische Blümchensprache oder platte Moralpredigt – die ja viele beim Stichwort „vegan“ erwarten – sind in diesem Buch nirgends zu finden. Stattdessen sorgen die Vielfalt und Detailliertheit des vermittelten Wissens, die Reflektiertheit des Autors beim Umgang damit und der inhaltliche Tiefgang, der gelegentlich bis ins Eingemachte reicht, für spannende, anregende und inspirierende Lektüre. Hinzu kommen eine Art von Humor und ungezwungener Selbstironie, die wohl nur erlangt, wer den eigenen Abgründen und Unzulänglichkeiten schon tief ins Gesicht geblickt hat. Und was Roll davon so alles auspackt, ist wirklich bemerkenswert – allerdings ohne dass es je zur peinlichen Effekthascherei verkommt. Im Gegenteil, das schonungslose Ausmalen der Fehltritte und Tiefpunkte scheint unverzichtbar, um den späteren Weg des Autors wirklich zu verstehen und um glaubwürdig zu machen, dass hier kein Superheld mit irgendwelchen Supergenen am Werk ist.
Alles in allem ragt „Finding Ultra“ allein schon durch die Tiefe der Tiefs und die Höhe der Hochs über den Standard an Ratgeber-, Trainings- oder Gesundheitsliteratur hinaus, gibt sich aber mit diesem Vorteil noch lange nicht zufrieden. Klar, wer Kritikpunkte sucht, wird auch hier fündig: So könnte man zum Beispiel bemängeln, dass Roll ziemlich viele ziemlich teure Superfoods empfiehlt. Doch da in diesem Buch weniger abzuarbeitende Nachmachlisten vermittelt werden als vielmehr selbständiges Informieren, Verstehen und Handeln, ist das kein ernsthafter Makel. Wer dauerhaft gesünder und sportlicher werden möchte, hat hier jedenfalls einen ziemlichen Fang an der Angel. Auch wenn man es nicht gleich bis zum Epic 5 treiben will.
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