Faszinosum Zeit

zeitGibt es die Zeit, und wenn ja: wie viele? Klaus Scharff präsentiert auf 350 Seiten circa 50 Modelle aus etwa zwei Jahrtausenden und unterschiedlichen Kulturen, die von sich beanspruchen, das Phänomen Zeit zu erfassen. Und das ist alles andere als einfach, denn die Auffassung davon, was Zeit eigentlich ist, befindet sich sogar in der Physik, die es ja „nur“ mit der objektiv messbaren Zeit zu tun hat, im permanenten Wandel: Mal ist sie absolut (Newton), dann relativ (Leibniz), ja sogar relativistisch (Einstein) und zum Schluss völlig illusionär (Barbour).

Sie ist entweder ein Kontinuum oder gequantelt, kann vorwärts oder rückwärts fließen, sich in den Schwanz beißen (man denke an den zyklischen Verlauf der Jahreszeiten), unendlich oft teilen und dabei jedes Mal ein ganzes Universum erzeugen, von Stufe zu Stufe hüpfen, sich spiralförmig wie das Gehäuse einer Meeresschnecke entfalten oder wie eine Welle, die Treibgut an den Strand spült, im festgelegten Rhythmus mit historischen Neuerungen überraschen. Und unversehens hat sich die Messung der Zeitquantität – die in Zahlen ausdrückbare Dauer – in den Versuch verwandelt, die gesetzesmäßige Ordnung zu rekonstruieren, die der biologischen und technischen Evolution zugrunde liegen soll.

Die Vielfalt der entdeckten Rhythmen und die willkürliche Auswahl der in den unterschiedlichen Modellen als relevant bewerteten Ereignisse lassen jedoch durchblicken, dass der objektive Gang der Geschichte mehr Konstruktion einer Fortschrittserzählung als Rekonstruktion ist. Dass die Geschichte ein gutes Ende nimmt, darauf kann man sich nur im Märchen verlassen. Im Epilog jedenfalls fordert der Autor eine radikale Umkehr der Menschheit, nämlich „die Überwindung der rein wachstumsorientierten, materielle und geistige Gifte erzeugenden Technologiespirale“, die mit der Natur unsere Existenzgrundlage vernichtet. Die geistige Voraussetzung dafür sei eine neue Auffassung von Zeit und Kausalität, die sich aus der Ergänzung der exakten Naturwissenschaften um eine spirituelle Wissenschaft ergebe.

„Faszinosum Zeit“ ist daher nicht nur als eine Präsentation fundierter und fantastischer Konzepte aus Literatur, Philosophie, Religion, Ethnologie, Psycho- und Parapsychologie sowie Physik zu lesen; als roter Faden zieht sich die Vorstellung durch, „metaphysischen Überlegungen“ zum Phänomen Zeit mehr Platz in der Forschung einzuräumen – dies spiegelt sich auch in der Auswahl der Modelle wider. Die Beschreibung der einzelnen Konzepte fällt aus Platzgründen knapp aus, doch Quellenangaben und ein ausführliches Literaturverzeichnis im Anhang ermöglichen es Interessierten, sich in ein Thema weiter zu vertiefen. Dass Scharff die vorgestellten Theorien im Anschluss wertet, indem er ihre Stärken und Schwächen aufzeigt, erleichtert die Urteilsbildung. Positiv hervorzuheben sind zudem die Zitate zu Kapitelbeginn, da sie zum Nachdenken anregen und manch schwieriges Thema auflockern. Das Interview mit dem Bewusstseinsforscher Oleg Lohnes ergänzt die ohnehin schon große Vielfalt an Perspektiven um weitere Facetten. Der Anhang lässt mit einer zeitlichen Einordnung der Denkansätze, einem Glossar sowie Literatur- und Filmempfehlungen keine Wünsche offen.

Klaus Scharff
zeitgeist Print & Online

350 Seiten
ISBN: 978-3-943007-08-4
€ 17,90

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