Das erste Interview mit einer Einheimischen
Wir haben es geschafft. Nach rund drei Wochen Reisezeit und einem Kurzaufenthalt in Australien, bei dem wir unseren australisch-deutschen Freund und Reisegefährten Alexander Wadeisha in Perth abgeholt haben, sind wir auf der salomonischen Hauptinsel Guadalcanal angekommen. Das circa 5.000 Quadratmeter große Grundstück „Dolphin View Beach“ unserer Gastgeber Alistair und Kuvien Pae liegt in der Region Aruligo direkt am Meer. Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung und des Kennenlernens entwickelt sich erstmals ein konkretes Gespräch mit der Gastgeberin Kuvien in der Hängematte am Strand. Ihre klaren Worte zu den Riesen auf der Insel überraschen und faszinieren mich zugleich. Da es eines meiner Hauptziele dieser Reise ist, mit einem Dokumentarfilm über die Existenz der Salomonenriesen Licht ins Dunkel zu bringen, frage ich sie spontan nach einem Interview. Sie willigt ein.
So entsteht die erste fast 20-minütige Aufzeichnung, in der mir die Einheimische aus den Bergen von ihrer Kindheit im Zentrum der Insel erzählt. Dort gibt es eine besonders hohe Informationsdichte über Begegnungen mit Riesen, die zwischen drei und fünf Meter groß sein sollen. Kuvien erzählt mir von ihrem verstorbenen Großvater, der die für seinen Stamm auserwählte Kontaktperson zu den Riesen gewesen ist. Wann immer es etwas zwischen Riesen und Menschen zu besprechen gab, war er der Mittelsmann. So kam es regelmäßig vor, dass sie und ihre Geschwister im Haus bleiben mussten, weil der große Mann aus den Bergen zu Besuch kam. Anhand des Verhaltens der Insekten konnten sie seine starke Präsenz wahrnehmen, auch das Rascheln der Baumkronen war ein typisches Merkmal. Der Großvater ging dann immer allein hinaus. Als Kind hatte es ihr und den Geschwistern zunächst Angst gemacht, erzählt Kuvien, doch sie gewöhnten sich an die regelmäßigen Besuche. Obwohl sie beim Nüssesuchen im Dschungel häufig an Plätzen der Riesen vorbeikommen, haben sie nie selbst einen gesehen. Nur frische Spuren, etwa in Blätter gewickelte, frisch geknackte Nüsse und Riesenschnecken, eine typische Spezialität der Riesen.
Einem Riesen zu begegnen ist nach alter Tradition nur bestimmten Menschen vorbehalten. Riesen und Menschen respektieren diese Tradition seit vielen Jahrhunderten und fast jeder Stamm hat bis heute seinen eigenen Mittelsmann für die Kommunikation zwischen beiden Spezies.
Weiter erzählt Kuvien von ihrem Vater, der für die Regierung arbeitete – einer der wenigen Menschen, die in den unterirdischen Tunneln waren. Diese Behauptung hatte ich bereits zuvor recherchiert: Angeblich existiert ein großes Tunnelnetz unterhalb der Erdoberfläche der Inseln, dessen Wege zu mindestens einer großen Stadt der Riesen führen, die sich im Zentrum der Insel unterhalb des Berges Tatuve befinden soll. Dieser Berg ist für die Einheimischen ein heiliger Ort. Zwar hat Kuvien auch von dieser Stadt gehört und hält es für grundsätzlich möglich, kann ihre Existenz jedoch, anders als die Tunnelsysteme, nicht aus erster Hand bestätigen. Was sie mir allerdings bestätigt, ist der Zwischenfall mit der tonnenschweren Bulldozer-Schaufel, die angeblich von verärgerten Riesen vor Inbetriebnahme der Goldmine Gold Ridge abgerissen wurde. Die schwere Schaufel wurde auf einem Hügel wiedergefunden. Kuviens Vater war mit einer Gruppe Regierungsbeamter als einer der ersten vor Ort. Sie sahen viele Fußabdrücke von Riesen an dem Bulldozer, fanden jedoch keinerlei Schleifspuren von der Schaufel, was darauf schließen lässt, dass die Riesen die Schaufel getragen oder sogar geworfen haben müssen. Diesen Erfahrungsbericht hatte ich zuvor in einem NEXUS-Artikel von Marius Boirayon gefunden (Ausgabe 25).1
Es folgen weitere Geschichten und Erfahrungsberichte über die Riesen und Kuvien betont mehr als einmal ihre tatsächliche Existenz auf den Salomonen. Ich erfahre weiter, dass im Zuge der Christianisierung die Verbindung zu den Riesen stetig abnahm, da die Christen die alten Traditionen ablehnen und als abergläubisches Heidentum abtun. In einigen abgelegenen Regionen wie in Kuma an der Südküste, wo die Missionare der Kirche ihren Glauben noch nicht vollends errichten konnten, bildeten sich Bewegungen zum Erhalt der alten Traditionen.
Damit endet das erste Interview. Das reiche Wissen von Kuvien beeindruckt mich stark, besonders mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihre Erfahrungsberichte mit mir teilt, in denen unsere westliche Vorstellungskraft schnell an die Grenzen des Akzeptierbaren stößt. Ich bin beflügelt für unsere geplante Weiterreise nach Kuma, wo wir dank Gastgeber Alistair mit einem Stamm verabredet sind, der noch nach der alten Tradition lebt.
Expedition nach Kuma
Die Region Kuma an der Südseite der Hauptinsel ist für uns nur auf dem Wasserweg zu erreichen. Nachdem wir sechs Stunden lang mit einem kleinen Motorboot um die halbe Insel gefahren sind, kommen wir völlig erschöpft dort an. Am Strand warten tatkräftige Helfer, die unser Gepäck und die Kinder entgegennehmen. Wir verlassen den Strand und biegen in den Dschungel ab. Ein kleiner Fußweg führt uns an Häusern mit Palmblattbedachung vorbei; durch den dichten Dschungel wirkt alles ein bisschen versteckt und ich kann nur erahnen, welches Haus als Nächstes folgt und wie groß das Dorf insgesamt ist. Die Region soll rund 2.000 Einwohner haben, hier gibt es weder Straßen oder Autos noch Supermärkte, Strom oder fließendes Wasser in den Häusern. Es ist ein Leben mit der Natur. Nach einigen Abbiegungen mehr erreichen wir unser Gasthaus. Was für ein intensiver Tag! Trotz der anstrengenden Bootsfahrt bin ich erfüllt von Vorfreude auf die kommenden Ereignisse, denn wir sind an unserem Ziel angelangt.
Die Zeremonie in Kuma Village
Am dritten Tag unseres Aufenthalts werden wir frühmorgens an unserem Gasthaus abgeholt, dann folgt ein etwa 20-minütiger Fußmarsch durch den Busch nach Kuma Village. Wir passieren den Kuma River und treffen unterwegs auf Edward, einen Englischlehrer, der für heute unser Übersetzer sein wird.
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