Zwei Minuten später stiefele ich unseren Flur auf und ab, halte mir den Bauch, hocke mich hin, atme, hechele, laufe weiter. Uff! Wie war das noch mal? Warte. Ach so, stimmt: Du bist der, der ruhig bleiben muss. Du bist der Halt. Der Fahrer. Der Wasserreicher. „Boah, bin ich aufgeregt“, brubbele ich und nehme die nächste Flurgerade in Angriff. Meine Frau lacht nur. „Sieh zu, dass du fertig wirst!“
Als ich wieder am Rechner sitze, ist an Konzentration nicht mehr zu denken. Ein neues Leben will zur Welt. Ich klicke das Editorial auf, das ich schon zur Hälfte getippt habe, und es wirkt wie vom falschen Stern. Es geht um die Masken als Zerrspiegel dafür, wie krank unsere Spezies und wer das eigentliche Pathogen ist; um die Vergiftung der Natur, von der unsere Leitartikel handeln; um die Tatsache, dass immer mehr Menschen zu sehen scheinen, dass der Weg, den wir als Gesellschaft gehen, in die Selbstvernichtung führt.
Als ich am 1. August auf der Demo in Berlin war, sah ich viele dieser Menschen auf der Straße. Ich weiß bis heute nicht, wie viele da genau die Hauptstadt fluteten, und ich kann beim besten Willen nicht sagen, was jeder Einzelne dort wollte. Aber ich hatte ein klares Gefühl: Das alles spielt überhaupt keine Rolle. Wir sind da, gemeinsam. Wir akzeptieren unsere Verschiedenheit. Wir hören einander auf Augenhöhe zu. Wir sind mit der Bevormundung durch die Regierung nicht einverstanden. Wir wollen eine neue Welt, keine neue Normalität.
Über diese neue Welt wurde an diesem Tag wenig gesprochen. Sie war implizit da, blinzelte in dem auf, was geschah: Als wir alle auf der Straße des 17. Juni standen und mit unseren Fingern Herzen in die Luft hielten. Als ich einen wildfremden, in Tränen aufgelösten Mann umarmte. In der beklemmenden Stille, als von der Bühne gegen die Lügenpresse gewettert wurde. In den einzigen Parolen, die Momentum bekamen: „Ich sag Friede – ihr sagt Freiheit!“ und „Wir bleiben hier!“ Da war der unbedingte Wille, körperlich präsent zu bleiben, als Vater Staat seine Schlagstockträger schickte, um uns aus seinen Augen zu schaffen.
Ich führe ja regelmäßig mit Lesern und Autoren Gespräche über den Wahnsinn, der sich gerade in der Welt manifestiert. Wenn wir ordentlich den Kopf ausgeschüttelt haben, steht da immer diese unbequeme Frage im Raum: Und wie nun weiter? Häufig höre ich dann, dass wir jetzt in einem Zeitfenster sind, in dem sich die Zukunft der Menschheit entscheidet: Schaffen wir einen sozialistisch-technokratischen Weltstaat – die Dystopie – oder freiheitlich selbst organisierte Regionen – die Utopie? Ich bin kein Hellseher – und wie unser Artikel von Klaus Scharff zeigt, würde mir das nicht viel nutzen.
Aber unterhalb der Gesprächsebene habe ich auch bei diesen Diskussionen etwas gespürt, was mich an mein Gefühl auf der Demo denken ließ. Es ist da, aber noch nicht ganz zur Welt gekommen. Wenn man es in Worte zu fassen versucht, dann hat es mit Intuition zu tun, mit Bauchgefühl. Mit einem eigenwilligen Licht der Verbundenheit, das weniger auf Kopf und Logik, sondern mehr darauf setzt, dass wir alle Kinder desselben Geistes sind, der in Abermillionen Ausdrucksformen dieses ominöse All begutachtet. Es ist auch kein Gefühl von Masse und gemeinsamem Willen, sondern etwas Fließendes, Leichtes – von Interessenbindungen, die wie Wasserstoffbrücken im Fluss halten und vergehen. Es weiß, dass wir noch lange nicht am Ende unserer Entwicklung angekommen sind – im Gegenteil. Sie geht gerade erst los. Und sie hat viel mit Eigenverantwortung zu tun.
Mich fasziniert ja nach wie vor das Bild des Imago. In der Raupe des Schmetterlings ist alles angelegt, was ihn zu diesem schillernden, frei flatternden Ding macht. Doch wenn die Transformation losgeht, dann beginnt das Immunsystem der Raupe, gegen die neuen Zellen des künftigen Schmetterlings anzukämpfen. Die aber wachsen weiter und weiter, bis das Immunsystem nicht mehr mitkommt. Die Raupe muss gehen.
Wenn Sie mich fragen, dann erleben wir gerade die Geburt eines neuen Bewusstseins, und wir sitzen in unseren Raumkörpern in der ersten Reihe. Und was tut man am besten, wenn eine Welt in den Wehen liegt? Man lässt den Körper und die Natur ihre Dinge verrichten, lässt sie schwitzen. Man reicht reines Wasser, spricht gut zu. Man wendet seine innere Kraft auf das Vertrauen in das, was in uns angelegt ist, und bleibt zuversichtlich. Vielleicht trällert man ein Liedchen zur Unterhaltung und gibt dem Neugeborenen ein „Oooom“ mit auf den Weg. Loslassen ist das Gebot der Stunde. Zulassen.
Was da am Ende herauskommt, kann Ihnen keine Technik der Welt vorhersagen. Aber so viel ist sicher: Wenn es da ist, wird es allgegenwärtig sein. Jeder von uns wird es spüren und sich fragen, ob es eine Zeit ohne es gegeben hat. Und ich wage zu behaupten, dass das System, in dem wir leben, keine große Rolle mehr spielt, weil wir einfach wissen, was zu tun ist. Die Schmerzen werden in Vergessenheit geraten, weil das Neue so spannend ist und gehegt werden muss.
Und bis dahin heißt es: Geduld haben, die schwankenden Gefühle auffangen und jederzeit bereit sein.
Ich muss los – meine neue Welt wartet auf mich.
Herzlich,
Ihr Daniel Wagner
Kommentare
16. Oktober 2020, 23:11 Uhr, permalink
Silvio
Die zweite Welle
Bedrohlich
hinter dem Horizont der Ignoranz und Dummheit aufsteigend
Verdunkelt sie die Klarheit des gesunden Menschenverstandes.
Sich ihr entgegenzustellen
ist töricht
und zeugt von Unkenntnis der Gesetze der Natur
die seit Jahrtausenden auf die Menschheit einwirken.
Wertvolle Zeit vergeudet,
die Suche nach dem Heilmittel zurückgestellt
im Wahn,
den unerbittlichen Lauf der Natur
wegimpfen zu können.
Nun ist Sie da
- erwartungsgemäß -
und pünktlich mit dem ersten Herbststurm eintreffend.
Schlägt sie über uns zusammen und
vereint die Dummen, Ignoranten, Wissenden und
Gläubigen im Strudel der zusammenbrechenden
Pseudowahrheiten.
30. November 2020, 22:36 Uhr, permalink
ms
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