Courrier7 beklagte sich darüber, dass sich aufgrund einer Verunglimpfungskampagne kein französischer Krebsforscher bereit erklärte, die Experimente zu wiederholen. Allerdings bahnte sich eine kurzfristige Zusammenarbeit mit einem englischen Labor an: Einem Bericht zufolge wurden krebskranke englische Mäuse an Priores Labor geschickt, und einige Zeit später traten gesunde Mäuse die Rückreise an – allerdings soll es sich dabei nicht um die ursprünglichen Individuen gehandelt haben. Der nicht namentlich genannte Direktor des englischen Labors stellte daraufhin die Zusammenarbeit ein, doch nicht, ohne einem französischen Kollegen ausführlich Bericht zu erstatten. Im Jahr 1977 veröffentlichte Courrier seine Sicht der Dinge und nannte darin die Beteiligten beim Namen.7 Bei dem Direktor handelte es sich um den inzwischen verstorbenen Sir Alexander Haddow (Institute of Cancer Research, Royal Cancer Hospital, Universität London), bei seinen Mittelspersonen in Floirac um E. Whiss und das Forscherehepaar Ambrose, wobei sich die Letzteren einer gewissen wissenschaftlichen Reputation erfreuen. Courrier war nachweislich nicht vom Austausch der Mäuse überzeugt, denn er stellte fest, dass man das Gerücht in die Welt gesetzt hätte.
Trypanosoma equiperdum
Die Entdeckung einer spezifischen Immunreaktion gegen Krebszellen in den behandelten Tieren könnte die Vermutung untermauert haben, dass die Priore-Strahlung möglicherweise auf das Immunsystem des Wirtes und nicht direkt auf die Krebszellen wirke. Wie dem auch sei, Prof. Raymond Pautrizel, ein Parasitologe, der bereits wissenschaftliche Kontakte mit Rivière und Guérin pflegte, bestrahlte Mäuse, denen der Krankheitserreger Trypanosoma equiperdum in einer Dosis injiziert worden war, die ausgereicht hätte, um die Tiere ohne Behandlung innerhalb von fünf Tagen zu töten. Sie überlebten allesamt.13 Dieses Mal ergriff man außergewöhnliche Maßnahmen, um jeden Betrugsverdacht auszuräumen: Hinter Schloss und Riegel und unter den wachsamen Augen eines Amtmannes, der von einer Kontrollkommission eingesetzt worden war, die aus Repräsentanten der Universität und lokalen Würdenträgern bestand, wurden die Experimente erfolgreich wiederholt. Alle Mitglieder der Kommission beglaubigten den offiziellen Bericht. Ein positives Ergebnis unter derart strengen Bedingungen hätte eigentlich, wie Courrier meinte, allen Verdächtigungen von redlichen Menschen ein Ende bereiten müssen.7
In einer weiteren Reihe von kurzen Artikeln, die in den Comptes rendus de l’Académie des sciences14–16 veröffentlicht wurden, konnte diese indirekte Wirkung auf das Immunsystem von Tieren, die mit T. equiperdum infiziert worden waren, bestätigt und erweitert werden. In diesen kurzen Beiträgen steckt sehr viel Arbeit: Wie viel es gewesen sein musste, erschloss sich mir aus einem Vortrag, den Pautrizel während meines Aufenthalts in Floirac hielt. Als ich ihn fragte, ob er beabsichtige, eine ausführliche Dokumentation der Belege zu veröffentlichen, erzählte er mir, dass es ihm nicht gelungen sei, eine Zeitschrift zu finden, die bereit wäre, ein solches Manuskript anzunehmen.
Die darin vorgelegten Belege entstammen Experimenten an Mäusen13,14,16, Ratten14 und Kaninchen15 und entsprechen den herkömmlichen Richtlinien. Ich werde darauf verzichten, sie in allen Einzelheiten zu besprechen. In aller Kürze: Die pathogenen Organismen waren in den behandelten Tieren, die auf Dauer überlebten, nicht mehr nachweisbar. In den seltenen Fällen, in denen sie wieder auftauchten, gehörten sie einem anderen Serotyp an als die Parasiten, die die Infektion ursprünglich ausgelöst hatten. Die Strahlenbehandlung verhalf den Tieren zu einer ausgeprägten erworbenen Immunität. Einige der Versuchstiere wurden über einen Zeitraum von sechs Monaten siebenmal reinfiziert – zuletzt mit der 100-fachen Anfangsdosis, die sich unter normalen Umständen ausnahmslos als letal erweist. Die mehrmaligen Reinfektionen hatten einen hohen Titer agglutinierender Antikörper zur Folge.
Das Blut dieser Tiere führte bei gesunden Tieren zu einer rund 45 Tage währenden Immunität, wenn es auf sie übertragen wurde. Die Gabe des Immunsuppressivums Cyclophosphamid verringerte die Zahl der agglutinierenden Antikörper, konnte ihre Bildung aber nicht verhindern, wenn die infizierten Tiere der Priore-Strahlung ausgesetzt wurden; nach ungefähr zwölf Tagen kehrte die Krankheit allerdings zurück. Neugeborene Tiere überlebten die Infektion nicht, ob sie nun bestrahlt wurden oder nicht. Die Organismen, die in ihrem Blut nachgewiesen werden konnten, gehörten dem ursprünglichen Stamm an.
Nicht näher beschriebene Antigene von Trypanosomen, die nach der ersten Bestrahlung in die Bauchhöhle von infizierten Tieren injiziert wurden, führten zu einer Steigerung der Antikörperproduktion. Wenn die Parasiten aber vom Immunsystem des Wirtes abgeschirmt waren, indem man sie innerhalb einer Diffusionskammer implantierte, vermochte die Priore-Strahlung ihre Vermehrung nicht einzudämmen. In seinem Vortrag berichtete Pautrizel, dass der Änderungsverlauf der IgM- und IgG-Werte, des Albumin-Globulin-Quotienten und der Agglutinations- sowie Hämagglutinationstiter bei bestrahlten und reinfizierten Tieren ungefähr ein Jahr lang verfolgt worden war, um mehr über die offensichtliche Fähigkeit der Strahlung, das Immunsystem zu aktivieren, in Erfahrung zu bringen. Die Daten wurden in allen Einzelheiten behandelt. Es mangelte mir an der nötigen Zeit, um diese Fülle an Informationen zu verstehen, geschweige denn, um sie einzuordnen, und so erhielt ich den Eindruck, dass sich ein eindeutiges Bild erst noch abzeichnen müsse – eine Folgerung, der sich offensichtlich auch Prof. Czersky aus Warschau anschloss. Interessant fand ich, dass das Versagen der Strahlung bei dem Versuch, den Verlauf der Malaria-Infektion zu verändern, nur beiläufig erwähnt wurde. Das ist freilich keine Überraschung, wenn man den weitaus komplexeren Lebenszyklus der Plasmodien und ihre Antigenvariabilität berücksichtigt.
Sein Postulat, dass die Strahlenemission der Priore-Maschine die körpereigenen Abwehrmechanismen generell stimuliere, veranlasste Pautrizel zu einer Untersuchung, ob sich diese Wirkung auch auf die Vorbeugung oder Heilung von Arteriosklerose ausweiten ließe. In einem weiteren kurzen Artikel, den mir – wie sonst auch – Courrier17 übermittelte, wird ein spektakuläres „Abklingen“ von Hyperlipidämie bei Kaninchen, die durch eine Ernährung mit „Industriegranulat“ ausgelöst worden ist, beschrieben. Dem Futter wurde ein Prozent Cholesterin zugesetzt, sodass jedes Kaninchen rund ein Gramm Cholesterin pro Tag verzehrte. Die Bestrahlung der Tiere hatte zur Folge, dass eine Erhöhung des Cholesterinspiegels – auch noch mehrere Wochen nach der Behandlung – ausblieb und die Ablagerungen in der Aorta deutlich zurückgingen. Ich persönlich finde die Daten wenig überzeugend, da sich die Werte von Versuchs- und Kontrollgruppe stark überschneiden. Was den möglichen Wirkmechanismus betrifft (falls der Effekt bestätigt werden kann), so warfen Pautrizel et al.17 die Frage auf, ob ihm eine Aktivierung des Fettkatabolismus zugrunde liegen könnte.
Seltsamerweise wird die Rolle von Makrophagen für die Rückbildung von Tumoren, die Heilung bei Trypanosomiasis oder die Vorbeugung eines hohen Cholesterinspiegels nicht angesprochen, obwohl eine Mobilisierung von Makrophagen als gemeinsamer Mechanismus durchaus denkbar ist.
Die Erfindung
Priores Geheimniskrämerei wurde vielfach bedauert. Die einen brachte sie in Verlegenheit, andere wiederum nahmen sie zum Anlass, seine Erfindung herabzuwürdigen. Ich persönlich vertrete die Meinung, dass eine Erfindung, sofern sie von Bedeutung ist, trotz der Verschwiegenheit ihres Erfinders wie ein empirisches Phänomen untersucht werden muss, und dass das Hindernis, das die mangelnde Kooperationsbereitschaft darstellt, in dem Geiste akzeptiert werden sollte, in dem wir die Uneinholbarkeit der Natur als eine intellektuelle Herausforderung ansehen.
Genau genommen hat sich Priore als sehr viel zugänglicher als der Allmächtige erwiesen, der uns die Baupläne seiner Schöpfung nicht mitgeliefert hat, während Priore seiner ersten Veröffentlichung eine Fußnote9 beigefügt hat, in der uns anvertraut wird, dass das physikalische Prinzip seiner Erfindung Gegenstand eines Patents gewesen ist.18 Wie merkwürdig, dass keiner der Journalisten, die sich dem Thema gewidmet haben – ob Zuckerman oder andere –, es der Mühe wert gefunden hat, auf dieses Dokument hinzuweisen. Als ich mehrere Teilnehmer an der Exkursion nach Floirac davon in Kenntnis setzte, machte sich allein schon ob der Existenz dieser Patentschrift Erstaunen breit, gefolgt vom Zweifel daran, ob sich in einem ihnen bislang unbekannten Schriftstück überhaupt Informationen von Wert finden lassen würden. Ich hatte nicht die Gelegenheit, Priore persönlich zu fragen, doch ein Kollege, der ihn darauf ansprach, erhielt eine ähnlich lautende Antwort: Das Dokument werde sich als keine große Hilfe erweisen, meinte er. Dennoch handelt es sich bei der darin beschriebenen Apparatur vermutlich um diejenige, die von Rivière eingesetzt wurde und die er auch in einem Artikel erwähnte. Der Umfang der darin angegebenen Informationen dürfte ausreichen, dass – falls kein Betrug im Spiel ist – Personen, die auf diesem Gebiet bewandert sind, die erzeugte Strahlung vernünftig beurteilen können.
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