Die ominöse Kaaba der Kalmücken

kaabaEine gigantische Kuppel mitten in der sibirischen Tundra scheint für das Volk der Kalmücken von zentraler Bedeutung gewesen zu sein – regelmäßig nahm es die beschwerliche Wallfahrt auf sich, um … ja, um was eigentlich?

Die wenigen schriftlichen Quellen liefern nur spärliche Informationen, und in der offiziellen Geschichtsschreibung haben die rituellen Sibirienreisen der Kalmücken keinen Platz gefunden. Diente die gigantische Metallkuppel der Kommunikation mit den Göttern und Ahnen? Handelte es sich um eine fortschrittliche Technologie? Eine Waffe? Oder einfach um einen metallurgischen Sakralbau, der seiner Zeit voraus war? Eine neue Übersetzung macht das Rätsel nicht kleiner.

Ist es möglich, dass die Geschichtswissenschaft jahrhundertelang eine Kolonie von der Größe Irlands übersehen hat? Die vergessenen Reisetagebücher eines türkischen Reisenden des 17. Jahrhunderts sprechen für die Existenz einer unbekannten Macht, die maßgeblich an der Besiedelung der Erde beteiligt war.

Der Zensur zum Trotz

Derwisch Mehmed Zillî (1611–1682), bekannt unter dem Namen Evliya Çelebi (deutsch auch Ewlija Tschelebi), war ein Gesandter und Forscher, dessen Reisen ihn durch das Osmanische Reich und angrenzende Länder führten. In den Jahren 1666 und 1667 besuchte Tschelebi die Halbinsel Krim und die Region der unteren Wolga. Dort tauschte er sich mit lokalen Stämmen wie den Nogai-Tartaren, den Baschkiren und Kalmücken aus. Sein Reisetagebuch mit dem Namen „Seyahatnâme“ (Buch der Reisen) wurde vollständig auf Türkisch und in Auszügen auf Englisch übersetzt und veröffentlicht.

Tschelebi erzählt darin unter anderem die faszinierende Geschichte einer regelmäßig stattfindenden Massenpilgerfahrt der Kalmücken aus der Gegend um das Kaspische Meer zu einem heiligen Ort (Kaaba), der sich irgendwo in der Wildnis Sibiriens befand. Diese Darstellung war so ungewöhnlich, dass sie 1979 in einer gekürzten Fassung ins Russische übersetzt wurde. 2023 wurde der Originaltext schließlich von Dr. Ewgenij W. Bakhrewski, Kulturattaché der russischen Botschaft in der Türkei, nochmals in voller Länge ins Russische übertragen.

Die Übersetzung wurde in Nomadic Civilization: Historical Research, einer eher unbekannten, hochspezialisierten Fachzeitschrift veröffentlicht.1 Dass es der Text dorthin geschafft hat, liegt vermutlich daran, dass Bakhrewski geografische und ethnografische (etwa ritueller Kannibalismus) Aspekte in Tschelebis Bericht hervorhebt.

Unglücklicherweise werden andere Teile von Tschelebis Berichten über die Pilgerfahrten der Kalmücken nicht näher analysiert. Dass sich auch die Herausgeber darüber beharrlich ausschweigen, zeigt, dass das Thema in Russland tabu ist. Dennoch sollte die Öffentlichkeit von dieser unbekannten Seite der Geschichte erfahren. Darum wird Bakhrewskis Übersetzung zusammen mit anderen Überlieferungen und historischen Quellen im Folgenden zum ersten Mal im Kontext unseres aktuellen Wissensstandes analysiert.

Reise ans Ende der Welt

Die türkisch-mongolischen Vorfahren von Tschelebis Informanten, die Nogai und Kalmücken, zogen im 13. Jahrhundert als Teil der Horden von Dschingis Khan aus dem Süden Sibiriens in die nördliche Kaspische Steppe. Das Siedlungsgebiet ihrer Vorfahren umfasste den gesamten Westen Sibiriens, vom Sajangebirge bis zur Halbinsel Taimyr. Infolgedessen blieben die Kalmücken ihrer alten Heimat auch später stark verbunden.

Tschelebi schreibt:

„Man weiß, dass die Kalmücken etwa alle 70 bis 80 Jahre, wie schon Iskander2, zur Mauer von Gog und Magog und dem Berg Qaf pilgerten.“1

Der Berg Qaf ist in der arabischen Überlieferung der entlegenste Punkt der Erde im nördlichen Meer, der vom Volk der Dschinn bewohnt wird. Der Berg ist die Grenze zwischen natürlicher und übernatürlicher Welt, der Ort der Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Entsprechend berichtet Tschelebi:

„Die Nogai-Tartaren wissen, dass sich nicht weit weg vom Lande Moskau ein Ort befindet, der im Koran ,Meer der Dunkelheit‘3 genannt wird. Es ist von Eis durchsetzt, und schon Iskander der Große durchquerte dieses Eismeer auf seiner Reise zur Mauer von Gog. Die Kalmücken reisen 70 Tage und 70 Nächte über das Eismeer; in den Nächten scheint Licht wie bei Morgendämmerung.“1

Die 70 Tage und Nächte umfassten offenbar auch den Ritt entlang der westlichen Ausläufer des Ural vom Siedlungsgebiet der Kalmücken in der Kaspischen Steppe zur Küste des Arktischen Meers (Abb. 1). Danach nutzten die Kalmücken das weniger zerklüftete und zuverlässigere Eis der Barentssee und Karasee, um entlang der arktischen Küste nach Sibirien zu gelangen. So umgingen sie zahlreiche Flüsse und Sumpfgebiete. Tschelebi beschreibt eine solche Eisquerung mit sehr realistischen Details: große Nägel in den Hufeisen der Pferde, Hufe in Filz eingewickelt, Pferde, die mit getrocknetem Fisch gefüttert wurden, sogar ein Scharmützel zwischen den Kalmücken und einem europäischen Schiff wird beschrieben.

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