Die Auszahlung erfolgt nicht in Form von Sachleistungen (Unterkunft, Essen) oder Gutscheinen. Es ist ein garantiertes Einkommen; niemand kann weniger verdienen als diese Summe.
Fragen stellen sich vor allem in Zusammenhang mit der praktischen Umsetzung dieser Politik. Ist ein Grundeinkommen steuerpflichtig? Wer sind eigentlich „alle Menschen“? Steht ein Grundeinkommen nur den Bürgern des jeweiligen Staates zu?
Die Idee, der Staat solle das Einkommen aller Menschen absichern, tauchte in den vergangenen zweihundert Jahren wiederholt auf – sei es als Bürgerdividende, Sozialkredit, nationale Dividende, „demogrant“ bzw. „Bürgergabe“, negative Einkommenssteuer, Mindesteinkommen oder in irgendeiner anderen Variante.
Gegenwärtig ist die Vorstellung eines Grundeinkommens wieder einmal sehr populär, wobei die Befürworter von diversen ideologischen Standpunkten aus höchst unterschiedlich argumentieren. Das ist wenig überraschend, wenn man die verworrene Herkunft des Grundeinkommens betrachtet. Vereinfacht gesagt betrachten es die Befürworter aus dem linken Lager als Mittel gegen Armut und soziale Unterschiede; der rechte Flügel hingegen sieht seine Vorteile eher in einer gesteigerten Effizienz des Wohlfahrtsstaates.
Dabei spalten die Differenzen unter den Reformern selbst sowohl das linke als auch das recht Lager noch weiter: Einige wollen das Grundeinkommen in Anbetracht gegenwärtiger Probleme sofort umsetzen, die Futuristen hingegen die Gesellschaft als solches radikal reformieren – oder sie vor einer radikalen Umwälzung durch die Automatisierung bewahren.
Ein paar der führenden Köpfe des Silicon Valley unterstützen das Grundeinkommen als Gegengewicht zu der von ihren Branchen verursachten Automatisierung. Zu diesen zählt Elon Musk, der künstliche Intelligenz als „unsere größte Existenzbedrohung“ bezeichnet. Sam Altman, Präsident der Start-up-Schmiede Y Combinator, kündigte eine „große Langzeitstudie“ in Oakland, Kalifornien, über die Auswirkungen des Grundeinkommens an.
Daron Acemoglu (MIT) und Pascual Restrepo (Boston University) kamen in einer Studie vom März 2017 zu dem Schluss, dass jeder Roboter durchschnittlich 6,2 Menschen arbeitslos macht.
Und die Situation verschlechtert sich wahrscheinlich weiter. Carl Frey und Michael Osborne aus Oxford sahen in einer wissenschaftlichen Arbeit im Jahr 2013 47 Prozent der US-amerikanischen Arbeitsplätze durch die Digitalisierung gefährdet. Am stärksten bedroht sind dabei nicht etwa rein manuelle Tätigkeiten: So besteht etwa bei Finanzbeamten, Kellnern, Rechtsanwaltsgehilfen, Kreditbetreuern, Kreditanalysten und 166 weiteren Berufen eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent oder mehr, dass sie von Algorithmen abgelöst werden. Algorithmen diagnostizieren schon heute bestimmte Krankheiten besser als Mediziner, und die Prototypen selbstfahrender Autos schweben als Damoklesschwert über den Köpfen von Berufsfahrern.
Eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Probleme wäre, die Produktion zu verdoppeln, anstatt die Hälfte der Mitarbeiter zu entlassen.
Manche Zukunftsforscher können allerdings gar nicht verstehen, was all die Aufregung über Massenarbeitslosigkeit soll. Wenn Roboter das Essen servieren oder Reisende zum Flughafen bringen, nehmen sie dann Kellnern und Taxifahrern die Arbeitsplätze weg oder befreien sie diese nicht vielmehr aus ihrem Alltagstrott? Wohl eher Letztgenanntes, vorausgesetzt, die betreffenden Personen erhalten ein Grundeinkommen, das für ein bequemes Leben reicht. Dies gilt besonders, wenn diese ihre neu gewonnene Freizeit kreativ und gesellschaftsförderlich nutzen.
1930 beschrieb John Maynard Keynes seine Zukunftsvision der „technischen Arbeitslosigkeit“. Er meinte, irgendwann würden wir unseren „Existenzkampf“ hinter uns lassen und Arbeit wäre dann keine Notwendigkeit mehr, dennoch „würde der alte Adam in uns noch so stark bleiben, dass jeder von uns ein gewisses Pensum“ – vielleicht 15 Stunden pro Woche – „arbeiten muss, um zufrieden zu sein“. Keynes erwähnte kein Grundeinkommen, sondern ging stattdessen davon aus, der Lebensstandard würde unaufhaltsam steigen, bis seine Utopie etwa um 2030 Wirklichkeit würde. Bis dahin ist zwar noch etwas Zeit, doch einige der Befürworter meinen, ein Grundeinkommen könnte den Prozess vorantreiben. Sie haben Visionen von kreativen Menschen, die keiner ungeliebten Tätigkeit mehr nachgehen müssen und somit zur künstlerischen, unternehmerischen und spirituellen Vitalität der Gesellschaft beitragen. Ebenfalls sehen sie eine – wenn auch implizite – Anerkennung der großteils unbezahlten sozialen Arbeit der Frauen voraus.
Kann ein Grundeinkommen funktionieren?
Nicht alle sind von dieser Idee überzeugt. Bill Gates etwa sagte im Februar während einer Fragestunde auf der Onlineplattform Reddit:
„Selbst die USA sind nicht reich genug, um ihren Bürgern ein arbeitsfreies Leben verschaffen zu können. Eines Tages werden sie das sein, doch bis dahin steigern Dinge wie der Earned Income Tax Credit [Anm. d. Übers.: eine Lohnaufstockung für Geringverdiener] die Nachfrage nach Arbeitskräften.“ Seine Aussage fasst die beiden größten Kritikpunkte am Grundeinkommen zusammen: dass es exorbitante Kosten verursachen und die Anreize, arbeiten zu gehen, reduzieren oder wegfallen lassen würde. Die Befürworter bestreiten beide Aspekte, doch da empirische Studien über die Auswirkungen des Grundeinkommens fehlen, bleibt die Debatte rein spekulativ.
Ob sich ein beliebiges Land die Zahlung eines Grundeinkommens leisten kann, ist abhängig vom gezahlten Betrag, der Gestaltung der Maßnahme – ob beispielsweise andere Sozialleistungen oder Unterstützungen dadurch ersetzt werden – und dem Finanzhaushalt des Landes.
Schätzungen darüber, was sich die Regierungen derzeit leisten könnten, weisen auf ein ziemlich niedriges realistisches Grundeinkommen hin. The Economist hat für 34 OECD-Staaten die fiktive Höhe der Zahlung berechnet, sofern alle nicht gesundheitsbezogenen Beihilfen gestrichen werden. Die großzügigste hypothetische Leistung gibt es dabei in Luxemburg: Mit einem Pro-Kopf-BIP von 100.300 US-Dollar könnte sich das Land eine jährliche Zahlung von 17.800 US-Dollar leisten. An zweiter Stelle folgt Dänemark. Dank Steuereinnahmen in Höhe von 49,6 Prozent des BIP könnten hier jährlich 10.900 US-Dollar ausgezahlt werden. In den USA betrüge die Zahlung bei den derzeitigen Steuersätzen 6.300 US-Dollar. Um jährlich 12.000 Dollar zahlen zu können (60 Dollar unter der offiziellen Armutsgrenze), müssten die Steuereinnahmen um zehn Prozent des BIP steigen.
Im Juni 2016 fand in der Schweiz eine Volksabstimmung über einen Antrag für ein Grundeinkommen statt, der nur von 23,1 Prozent befürwortet wurde. Einer der Gründe für die Ablehnung war, dass die Maßnahme als unbezahlbar wahrgenommen wurde. Auf dem Stimmzettel stand kein genauer Betrag, Wahlhelfer sprachen aber von 30.000 Schweizer Franken (rund 27.500 Euro).
Kleine Zahlung, große Wirkung
Einiges deutet darauf hin, dass sich auch kleine Summen positiv auswirken. So reduzierte etwa die an Bedingungen geknüpfte Beihilfe Bolsa Família die Armut in Brasilien, obwohl hier im Durchschnitt monatlich weniger als 178 Real (49 Euro) pro Familie ausgezahlt werden. Bezugsberechtigt sind Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 170 Real (47 Euro), und 13,6 Millionen erhalten die Sozialleistung.
Die aus den Öleinnahmen finanzierte Permanent Fund Dividend in Alaska erreichte 2015 mit 2.072 US-Dollar ihren Höchstwert, und dennoch ergeben sich daraus, wie Scott Goldsmith (University of Alaska) in einer Studie von 2010 ermittelte, geschätzte 900 Millionen US-Dollar zusätzliche Kaufkraft jährlich – was in etwa dem Einzelhandelssektor Alaskas entspricht.
In einigen Konzepten fällt die Zahlung an wirklich jedermann der Finanzierbarkeit zum Opfer. Indien beispielsweise erwägt ein „quasi allgemeines“ Grundeinkommen von 7.620 Rupien (rund 106 Euro) pro Monat. Damit das Konzept funktioniert, kann die Leistung nach Schätzungen der Regierung allerdings nur an 75 Prozent der Bevölkerung ausbezahlt werden. Ideen zu Einschränkungen der Inanspruchnahme wären unter anderem die Veröffentlichung von Verstößen und eine Bedürftigkeitsprüfung anhand von Besitztümern wie Autos oder Klimaanlagen.
Kommentare
11. Oktober 2017, 19:13 Uhr, permalink
Anouschka Nitzlnader
Ihre Kommentare oder Artikel sind sehr gut weiter so
Kommentar schreiben