Jedes Lebensmittel, das jemals durch die enzymatische Umwandlung organischer Stoffe geschaffen wurde, fand irgendwann als Kostprobe oder Rezept den Weg zu Sandor Ellix Katz, zu all seinen Bottichen, Krügen, Fässern und Schüsseln, in denen es mal mehr und mal weniger heftig blubbert. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man das großformatige, sehr umfangreiche Buch in den Händen hält, das einem erklärt, wie man all diese Köstlichkeiten selber fabrizieren kann.
Sandor Katz überlässt alles der Natur, je nach Eigenart der Ausgangsmaterialien mehr oder weniger dem Zufall, aber bloß nicht der (Lebensmittel-)Industrie – das ist das große Anliegen des Autors. Er hat eine ansteckende Begeisterung für alles Vergorene, sich Verwandelnde, die mitreißt und neugierig macht.
Wegbegleiter und Verkoster, Selberbrauer und studierte Köpfe – wer etwas zum Buch beitragen konnte, kommt zu Wort. So wird wertvolles altes Wissen und Können erhalten und der breiten Masse erneut zugänglich gemacht. Zahlreiche Beschreibungen und Rezepturen des Autors und seiner fermentationsbegeisterten Zeitgenossen laden ein, es selbst zu probieren.
Das nötige Wissen um die einzelnen Arbeitsschritte und die chemischen Prozesse wird dabei sehr entspannt vermittelt. Denn weiß man um die Wechselbeziehungen der unzähligen uns umgebenden Hefen, Bakterien und Pilze, kann man Fehlentwicklungen zeitig begegnen und grobe Fehler vermeiden. Der im Buch zitierte Sidney Mintz meint dazu:
„Was fermentiert und was verrottet ist, kann davon abhängen, ob eine Person dazu erzogen wurde, das eine oder andere zu essen.“
Und tatsächlich: Vieles, was vor einigen Jahren noch selbstverständlich war, wurde nach und nach mit Argwohn beäugt und schließlich ganz und gar in die kalten metallenen Klauen der industriellen Fertigung gegeben; fiel der irrigen Annahme zum Opfer, die häusliche Herstellung wäre zu unhygienisch, zu aufwändig und zu teuer. Die propagierte Zeitersparnis und Entlastung durch moderne Fertigprodukte hat die lebendige Vielfalt der Küche durch sterile Einheit ersetzt. Dabei haben wir sie so bitter not, die unbehandelten ursprünglichen Lebensmittel, die die Botschaft der Heimaterde in unsere Körper tragen.
Das zum Fermentieren erforderliche Handwerkszeug legt Katz so kenntnisreich dar, dass wirklich keine Frage offen bleibt: Ton-, Holz-, Kunststoff-, Glas- oder Metallgefäß, vielleicht auch einen Kürbis oder eine Grube nach alter Methode? Im Buch finden Sie die Antwort.
Weiter geht’s mit der Vergärung von Zuckern und damit der Herstellung von Wein oder Met. Auch hier wartet Katz wieder mit einer unglaublichen Vielzahl von Anregungen auf, die er im nächsten Buchabschnitt, in dem es um Gemüse und Früchte geht, genauso bunt weiterführt.
Fantastisch, welche „neuen“ Möglichkeiten sich durch das Fermentieren bieten: Auf jedem Fleckchen Erde gibt es spannende regionale Rezepturen zu entdecken, von denen Katz sehr viele im Buch versammelt hat – selbst vor Pilzen macht er nicht Halt. Von Kuriositäten wie Feigenbutter ist zu lesen, von Erfrischungsgetränken, von Kwas und Kefir, Mauby und Tepache, von selbstgemachter Limonade – gesund und köstlich statt pappesüß. Mein Kombucha brachte bisher „nur“ ein Getränk hervor – das Buch verrät aber, wie auch Bonbons daraus werden.
Auch Käse und Joghurt sind Fermentationsprodukte, folglich ist ein Buchteil Milch und Molke gewidmet – freuen Sie sich hier auf ganz spezielle Expertentipps.
Selbst Veganer kommen nicht zu kurz: Wie Pflanzenmilchen und daraus nun wieder käseähnliche Erzeugnisse entstehen, gehört selbstverständlich auch in Katz’Werk. Diesbezüglich betont der Autor, dass es ihm nicht darum geht, einen Ersatz für tierische Produkte zu finden; vielmehr lässt er uns etwas völlig Neues entdecken.
Wie wäre es im Anschluss mit selbst gemachtem Bier, beliebig variabel nach den Rezepten aus aller Herren Länder? Oder Schimmel in Kulturform? Hülsenfrüchte, Samen, Fleisch, Eier – alles wandert in irgendeinen Behälter, notfalls in Mutter Erdes Schoß, aus dem es einst gekommen ist.
Fermentierung bedeutet stetige Veränderung und ist gleichzeitig eine Konstante im Kreislauf des Lebens. Ob im Keller oder auf dem Komposthaufen, im Garten, der Klärgrube oder in des Menschen letzter Ruhestätte – alles ist Fermentation. Das ist das Leben, gebunden im ewigen Tanz der Elemente. Katz vermittelt mehr als nur die Kunst des Fermentierens: Wer aufmerksam liest, erkennt den Wert der Nahrung, der Heimat, der Erde.
Lesen, nachschlagen, Anregungen wirken lassen, auf aromatische Weltenreise gehen, über die neckischen Anekdoten des Autors schmunzeln und schließlich die Küche um nie gekannte Gaumenfreuden bereichern –so habe ich Katz’Buch erlebt. Es ist die Bibel der Fermentationskunst, und der Autor ihr Prophet.
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