Die ketogene Diät - ein kritischer Blick

Es kursieren unzählige Ernährung­svorschriften, um Krebs und anderen Zivilisationskrankheiten entgegenzuwirken. Als neuester Trend wird die ketogene Diät gehandelt, die auf einem kohlenhydratarmen, fettreichen Speiseplan basiert. So neu ist ihr Konzept allerdings gar nicht, und beim genauen Hinsehen offenbart auch die ketogene Kost ihre Tücken. Eine Bestandsaufnahme.

Dennoch bleibt die Anti-Angiogenese als Antwort auf Krebs bis heute eine große Triebkraft für „Biotech“-Firmen, die eine ganze Palette von Angiostatin- und Endostatin-Derivaten entwickelt haben. Dazu zählt auch das Mittel Avastin, das bis zu $ 10.000 pro Monat kostet, obwohl es keine besonders gute Wirkung zeigt: Die klinischen Studien sind wenig eindrucksvoll und berichten üblicherweise von einigen Monaten Lebensverlängerung bei Patienten mit diversen fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Nachdem das Medikament für die Behandlung von Brustkrebs bei Frauen genehmigt worden war, kam es zu einer weiteren ironischen Wendung: Die FDA widerriefim Dezember 2010 ihre Bewilligung von Avastinfür diese Anwendung, da klinische Versuche keinen signifikanten Nutzen hatten zeigen können.

Die Liebesaffäre mit der Anti-Angiogenese betraf nicht nur konventionelle Forscher und Onkologen, sondern reichte bis tief in die „alternative“ Krebswelt. Ende der 1990er las ich zahlreiche Artikel, die den anti-angiogenen Effekt verschiedener Kräuter lobten. Ungefähr zu dieser Zeit hatte eine Anzahl von alternativen Ärzten begonnen, Artemesinin, eine Heilpflanze aus Afrika, die seit Langem gegen Malaria eingesetzt wird, als „natürliche“ anti-angiogene Nahrungsergänzung zu bewerben. Doch zehn Jahre nach dem anfänglichen Anflug von Begeisterung wird die Pflanze nur noch von wenigen meiner Kollegen erwähnt.

So läuft der Hase. Wir als Kultur, als Nation, als Welt suchen stets nach neuen Wundern aus den Händen unserer wissenschaftlichen und medizinischen Gurus – Wunder, die endlich den Krebs in die Knie zwingen können. Und diese pflückreifen Wunder wird es immer geben.

Der „ketogene Diätwahn“ und seine theoretischen Grundlagen

Der neueste theoretische Durchbruch, der anscheinend die alternative Welt gepackt hat, noch bevor er in den wissenschaftlichen Mainstream Einzug hielt, ist die „ketogene Diät“. 2012 veröffentlichte der Grundlagenforscher Dr. Thomas Seyfried das Buch „Cancer as a Metabolic Disease“ (Wiley, 2012) und verkündete der Welt, dass eine fettreiche, kohlenhydratlose, ketogene Diät die Lösung zur Prävention von Krebs und zu dessen Behandlung darstellt. Seine Monographie wurde mit viel Applaus aufgenommen, wenngleich das Lob nicht das Niveau der Interleukin-2-Hysterie von 1985 erreichte.

warburgseyfried

Dr. Seyfried, den ich persönlich nicht kenne, ist wohl kaum als „alternativer“ medizinischer Wissenschaftler zu bezeichnen, denn nach seinem Werdegang auf der Rückseite des Buchs zu urteilen, scheint er eine konventionelle akademische Laufbahn absolviert zu haben:

„Thomas N. Seyfried, Phd., hat mehr als 25 Jahre an der Yale-Universität und am Boston College in den Bereichen Neurogenetik, Neurochemie und Krebs gelehrt und geforscht. Er hat mehr als 150 wissenschaftliche Artikel und Buchkapitelveröffentlicht […].“

Zweifellos hat Dr. Seyfried ein eindrucksvolles Werk verfasst, in dem er detailliert seine Überzeugung darlegt, dass Krebs nicht – wie allgemein angenommen wird – aus Genveränderungen resultiert, sondern auf Veränderungen in der grundlegenden Zellphysiologie, insbesondere in der Energieproduktion, zurückgeht, die dann zu ausgebildetem Krebs führen. Kurz: Die Gene bleiben intakt, aber der Metabolismus läuft aus dem Ruder.

Das Buch fasst zuerst die Konzepte des großen deutschen Wissenschaftlers Dr. med. Otto Warburg zusammen und baut dann auf diesen auf. Dr. Warburg gewann 1931 den Nobelpreis in Medizin und Physiologie für seine Arbeit über Zellatmung und Energieproduktion. Kein Wissenschaftler ist jemals häufiger für den begehrten Preis nominiert worden als Dr. Warburg, aber er verlor laut einiger Quellen seine Chance auf einen zweiten Preis, als Hitler im Jahr 1944 verfügte, dass kein deutscher Wissenschaftler diesen Preis annehmen dürfe.

Um Jahrzehnte Warburg’scher Forschung kurz aufzusummieren: Säugetierzellen erzeugen und speichern verwendbare Energie in Form des Adenosintriphosphat-Moleküls (ATP). Die Produktion von ATP ist eine komplizierte Angelegenheit, die drei separate und sequenzielle zelluläre Reaktionsabläufe beinhaltet und mit der Aufspaltung der Glukose beginnt, einem Zucker mit sechs Kohlenstoffatomen. Der erste dieser Prozesse, die Glykolyse, erfordert keinen Sauerstoff und findet im Zytoplasma statt; der zweite, der Zitronensäurezyklus, vollzieht sich innerhalb der Mitochondrien, jenen ovalen Organellen, mit denen das Zytoplasma durchsetzt ist, und erfordert Sauerstoff; und der dritte, in puncto ATP-Erzeugung produktivste Prozess, der Elektronentransport, läuft in den Membranen der Mitochondrien ab und benötigt gleichfalls Sauerstoff.

In normalen Säugetierzellen stellt die Glykolyse den Ausgangspunkt der Energiesynthese dar. Ihr Endprodukt, Brenztraubensäure, geht dann zunächst in den Zitronensäurezyklus und schließlich in die Elektronentransportkette ein. Bei diesem Prozess werden in einer komplexen Reihe schrittweiser Reaktionen mehrfach energiereiche ATP-Moleküle freigesetzt.

Basierend auf seiner jahrelangen Erforschung des Zellstoffwechselspostulierte Dr. Warburg, dass Krebszellen, anders als normale Zellen, ihre Energie ausschließlich aus anaerober Glykolyse gewinnen. Solche Zellen haben kein Problem bei Sauerstoffmangel, da die metabolische Glykolyse-Maschinerie keinen Sauerstoff erfordert. Warburg behauptete, dass sich in diesen abnormalen Zellen die Glykolyse vom Zitronensäurezyklus und vom Elektronentransport abkoppele, sodass die Zellen letztlich von diesem reichlich ineffizienten Überlebensmechanismus abhängig seien. Krebszellen sind nicht die einzige Zellart, die sich auf diese Weise am Leben erhält: Auch Bakterien synthetisieren ihre ATP-Energie ausschließlich aus der Glykolyse, in einem Prozess, den wir als Gärung kennen.

Diese Abkopplung der Glykolyse vom Zitronensäurezyklus und vom Elektronentransport sowie die angenommene grundlegende Abhängigkeit der Krebszellen vom anaeroben Metabolismus ist seit Warburgs Tagen ausführlich erforscht worden. Viele Wissenschaftler haben seitdem Warburgs Hypothese bestätigt und ergänzt. Wie Dr. Seyfried richtig ausführt, sind Krebsforscher in jüngster Zeit davon abgekommen, die gestörte Zellphysiologie zu untersuchen, da sie von genetischen Abweichungen als erster und einziger Antriebskraft bei Krebsentstehung und -wachstum fasziniert sind.Warburgs Ideen über einen fehlerhaften Stoffwechsel scheinen vonEleganz und Faszination der „genetischen Ursache von Krebs“ in den Schatten gestellt worden zu sein.

Ich meine, dass Dr. Seyfried uns allen ein großen Dienst erwiesen hat, indem er Dr. Warburgs bemerkenswerte Forschungen von vor 80 Jahren neu definiert, wieder aufs Tapet gebracht und verfeinert hat. Anhand von aktuellen Daten aus der Grundlagenforschung belegt er Warburgs Überzeugung, dass das Überleben von Krebszellen allein von der Glykolyse abhängt. Gleiches gilt für dessen Behauptung, dass dies mit der Abkopplung des zuckergestützten und sauerstoffunabhängigen Prozesses vom Zitronensäurezyklus und der Elektronentransportkette zu tun hat. Aber er geht einen gewichtigen Schritt weiter und erklärt, dass die Verbreitung von Krebszellen gestoppt werden kann, wenn man sie der Blutglukose beraubt, da ihre Energiegewinnung vom anaeroben Glukosemetabolismus abhängt.

Unsere normalen gesunden Zellen, egal ob sie im Gehirn sitzen oder in der Haut unserer Füße, bevorzugen tatsächlich Glukose als ihre Rohenergiequelle, die sie aus dem Zucker erhalten, der im Blut zirkuliert. Dieser „Blutzucker“ stammt aus einer Vielzahl von Quellen, darunter diätetischen Kohlenhydraten aus Früchten, stärkehaltigem Gemüse wie Kartoffeln und aus Getreide. Die komplexen Kohlenhydrate in solchen Nahrungsmitteln werden im Verdauungsprozess in Glukose umgewandelt und durch eine Vielzahl kohlenhydratspezifischer Enzyme wie Amylase katalysiert.

Kommentare

27. Januar 2019, 11:11 Uhr, permalink

Pat Buchtmann

Vielen Dank für den interessanten Artikel. Allerdings kann ich den vollständigen Namen des Autoren nicht finden (Dr Gonzalez?) oder Referenzen zu den im Artikel erwähnten Studien bzw. Literatur

27. Januar 2019, 11:16 Uhr, permalink

ein Redaktionsmitarbeiter

@Pat Buchtmann
hier gelangen Sie zur Autorenseite von Dr. Nicholas J. Gonzales mit weiteren Informationen: www.nexus-magazin.de/artikel/autor/dr-nicholas-j-gonzalez
Eine Infobox über den Autor befindet sich rechts neben unseren Artikeln. Falls sie von einem Smartphone zugreifen, kann es je nach Displaygröße passieren, dass diese Box aus Platzmangel nicht angezeigt wird.

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