Doch nun begannen die Immobilienbesitzer, die ihre Kreditrahmen längst ausgeschöpft hatten, mehr und mehr in Zahlungsverzug zu geraten. Sie mussten nicht nur die laufenden Kosten für ihre Häuser zahlen, sondern auch sämtliche Schulden, die sie im Lauf der Jahre gemacht hatten: Autos, Kreditkartenrechnungen, Studienkredite, Arztrechnungen und ihre Eigenheimkredite. Sie hatten sich Geld ausgeliehen, um für Lebensmittel und sprunghaft angestiegene Krankenversicherungsbeiträge aufkommen zu können – und das alles nur, weil sie ihren Lebensstil den größeren Häusern und Autos anpassen mussten. Sie schuldeten ihre Kredite um und merkten bald, dass die anfangs niedrigen Raten für die neuen Kredite rasch anstiegen. Der Durchschnittsamerikaner schuldete ein Viertel seines Jahreseinkommens den Kreditkartenfirmen.
2008 fi ngen die Immobilienpreise in den USA rapide zu fallen an. Hypotheken verloren plötzlich an Wert. Im September waren die Produktionsaufträge durchschnittlich um 4,5 Prozent zurückgegangen. Lagerbestände begannen sich zu stapeln, die Arbeitslosigkeit stieg rapide an, und die Zwangsvollstreckungen aus Hypotheken hatten um 121 Prozent zugenommen – in Kalifornien sogar bis zu 200 Prozent.
Die Finanzriesen sahen sich gezwungen, den Handel mit den hypothekenbesicherten Wertpapieren einzustellen, da ihre Verluste bereits jetzt unübersehbar waren.
Die Investoren begannen ihre Mittel zurückzuziehen. Im März musste die Investmentbank Bear Stearns, die sich stark auf Hypotheken-Portfolios spezialisiert hatte, als Erste aufgeben. So wie schon im 20. Jahrhundert stürzte sich das Bankhaus J. P. Morgan sofort auf die Beute und übernahm Bear Stearns für eine Spottsumme. Ein Jahr zuvor waren Bear-Stearns-Aktien noch für 159 Dollar gehandelt worden; nun konnte sich J. P. Morgan mit zwei Dollar pro Aktie einkaufen. Im September brach Washington Mutual zusammen – die größte Bankenpleite der Finanzgeschichte. Wieder war J. P. Morgan zur Stelle und zahlte nur 1,9 Milliarden Dollar für Aktivposten, die mit 176 Milliarden Dollar zu Buche standen. Der große Ausverkauf hatte begonnen.
Der Hypotheken-Rettungsfonds-Betrug
Freddie Mac und Fannie Mae – die börsennotierten Unternehmen, die für 80 Prozent der Hypothekenkredite zuständig waren – büßten über den Sommer still und leise beinahe 90 Prozent ihrer Jahresbewertung ein. Gemeinsam zeichneten sie zwar für die Hälfte der ausstehenden Kreditsummen verantwortlich, waren jedoch für jeden Dollar Kapitalrücklage mit 80 Dollar verschuldet.
Um ihr Überleben zu sichern, wurden Freddie Mac und Fannie Mae von der US-Notenbank übernommen. Am 7. September 2008 wurden sie „unter Obhut der Regierung gestellt“ – ein Vorgang, der im Rest der Welt als „Verstaatlichung“ bekannt ist. Doch die Amerikaner haben eben ein Problem mit der Vorstellung einer staatlich betriebenen Branche, die mit Steuergeldern finanziert wird.
In Wahrheit hatte die Regierung jedoch eine unbeschränkte Kreditlinie gewährt. Die Transaktion wurde nicht vom Finanzamt, sondern von der Notenbank durchgeführt, also musste sie auch nicht vom Kongress bewilligt werden. Das Finanzamt versteigerte zwar anschließend Schatzanweisungen, um Geldmittel für die Notenbank zu beschaffen, doch es war der Steuerzahler, der für diese Rettungsaktion aufkam. Die Bankiers hatten mit ihren Hedging- und Derivate-Spekulationen Milliarden Dollars aus dem System abgezapft und dadurch das Austrocknen der Interbankkredite herbeigeführt, was schließlich zum völligen Erliegen des Interbankenmarkts führte.
Die Übernahme wurde der Öffentlichkeit als staatlich finanzierter Rettungsfonds in der völlig willkürlichen Höhe von 700 Milliarden Dollar präsentiert. Damit war das Problem aber keineswegs gelöst. Nicht ein einziger Nationalökonom durfte seine Ansichten zum Thema vor dem US-Kongress vertreten. Und das staatliche Darlehen erfüllt nur die Aufgabe, den Mythos vom funktionierenden Bankensystem aufrechtzuerhalten.
Man muss davon ausgehen, dass der angerichtete Schaden nicht 700 Milliarden, sondern eher fünf Billionen Dollar betragen wird – der Gesamtwert sämtlicher von Freddie Mac und Fannie Mae vergebenen Hypothekenkredite. Der Rettungsfonds diente nur dazu, der Billiarden Dollar schweren Derivate-Branche aus der Patsche zu helfen, die ansonsten mehr als eine Billion Dollar für ihre faulen Hypotheken-CDS (Credit Default Swaps) hätte ausbezahlen müssen. Laut Finanzminister Henry Paulson sei der Fonds notwendig gewesen, um die amerikanische Nation vor den Folgen einer „Immobilien-Korrektur“ zu retten. Doch er fügte hinzu, dass auch die vom Steuerzahler finanzierte 700-Milliarden-Dollar-Übernahme weitere Banken-Zusammenbrüche und schließlich einen Börsencrash nicht verhindern würde.
Eigentlich hat Paulson also den Kongress erpresst, indem er unter der falschen Flagge eines notwendigen Gesetzesentwurfs einen Coup der Bankierselite durchzog, um zu verhindern, dass alle Dämme brachen. Wie fast ein Jahrhundert zuvor war es also wieder einmal gelungen, den Reichtum von einer Klasse zur anderen durchzureichen.
Der globale Dominoeffekt
Kaum hatte Paulson seine prophetischen Worte ausgesprochen, begannen andere Finanzinstitute zu implodieren, gefolgt vom globalen Finanzsystem – das in weiten Teilen das vielgepriesene US-Bankensystem zum Vorbild hatte.
Im September erwarb die Notenbank, deren Kreditlinie jetzt ja gesichert war, für 85 Milliarden Dollar einen 80-prozentigen Anteil an AIG, der weltgrößten Versicherungsgesellschaft. AIG hatte die meisten Credit Default Swaps verkauft und stand nun am Rande des Bankrotts, weil das Unternehmen mit seinen nicht vorhandenen Sicherheiten keine Auszahlungen machen konnte.
Im Oktober ging schließlich ganz Island bankrott, weil das Land in wertlose amerikanische Subprime-Hypothekenkredite investiert hatte. Die europäischen Banken standen ebenfalls vor dem Zusammenbruch, da sie alle gleichzeitig versuchten, ihre künstlich aufgeblähten US-Wertpapiere loszuwerden, um mit dem Erlös zinsgünstige Kredite zurückzahlen, bevor der Zinssatz steigen konnte.
Dabei hatten die Zeichen schon in den vorangegangenen Monaten auf Sturm gestanden. So war etwa Countrywide, die größte Hypothekenbank der Vereinigten Staaten, konkursreif und wurde am 1. Juli 2008 verkauft. Auch die große englische Bank Northern Rock musste verstaatlicht werden; in London hatte man sich ja schon lange die „kreativen Finanzierungsmodelle“ der Wall Street zum Vorbild genommen. Die Autoindustrien von Japan und Korea erlebten einen Umsatzeinbruch von 37 Prozent, da das Weltwirtschaftswachstum schrumpfte.
Kommentare
06. Juni 2010, 22:10 Uhr, permalink
Ade...
Na, dann ... nutzen wir die Chance zur Ablösung der Wirtschaftsvormacht, die ja eh nur ergaunert wurde!!! Ade, Amerika. Ein Land ohne Geschichte und eigene Kultur ist doch zum Untergang verdammt. Besinnung auf die guten alten Werte ... gibt es leider nicht.
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