Der Staat ist das größte Monopol: Ansichten eines Libertären

StaatMonopolKapitalismus und Neoliberalismus haben keinen guten Leumund. Dabei wurzeln beide Begriffe in einer Idee, die nichts anderes bedeutet als freie schöpferische Selbstentfaltung. Ein Gespräch über das Zwangsmonopol Nr. 1 und den Weg in die Selbstverantwortung.

DW: Wie sieht es mit der Infrastruktur aus? Gäbe es dann nicht an jeder zweiten Ecke eine andere Wasserversorgung? Andere Autobahnen? Andere Gerätenormen?

CS: Würdest du das praktisch finden? Also ich nicht. Alle wollen praktische Lösungen für solche Fragen, die Nachfrage besteht also. Man kann im Vorhinein nicht exakt vorhersagen, was in jedem Einzelfall die einfachste und günstige Lösung für die Verbraucher ist. Was man jedoch sagen kann, ist, wer auch immer diese Fragen am zufriedenstellendsten für die Verbraucher beantwortet, macht auf dem Markt das Rennen. Das führt zu einer Dezentralisierung, zu sinkenden Preisen und auch zu Vereinheitlichungen, wenn sich das als praktisch erweist. Auf die DIN-Norm hat man sich beispielsweise auch freiwillig geeinigt, einfach weil sie praktisch ist. Man kann in einer Privatrechtsgesellschaft auch globale Standards und sogar globale Institutionen haben.

Die Frage nach den Straßen ist ein absoluter Klassiker im Diskurs um den Libertarismus, das ist in meinem Buch ein eigenes Kapitel. Grundsätzlich ist bei Großprojekten oder auch beim Schutz großer Ökosysteme ein gewisser Überbau häufig zweckdienlich. Hierzu könnte man entweder gewinnorientierte Unternehmen beauftragen oder es in die eigene Hand nehmen, indem man Kollektive oder Non-Profits gründet. Das kann dann auch Ähnlichkeiten mit politischer Verwaltung haben. Wichtig ist nur, dass alle Beteiligten freiwillig mitmachen bzw. sich vertraglich dazu verpflichten.

Damit eine gemeinschaftliche Verwaltung von Ressourcen funktioniert, sollten gewisse Rahmenbedingungen beachtet werden. Für ihre Forschungen zu diesem Thema hat Elinor Ostrom 2009 als erste Frau überhaupt einen Wirtschaftsnobelpreis bekommen. Laut ihren Untersuchungen erfolgt eine gemeinschaftliche Verwaltung am besten in einer rechtlich souveränen und klar definierten Interessengemeinschaft. Die Gemeinschaft muss die konkreten Regeln zum Schutz ihrer Ressourcen selbst entwerfen, anpassen und überwachen – unter Berücksichtigung ihrer spezifischen örtlichen und kulturellen Bedingungen. Jedes Mitglied der Gemeinschaft muss in vollem Umfang für seine Handlungen rechenschaftspflichtig und an der Überwachung der Regeln beteiligt sein. Eine Instanz zur kostengünstigen Schlichtung von Konflikten muss verfügbar sein. Wenn ein Mitglied die Regeln der Gemeinschaft wiederholt verletzt, muss sich die Strafe bei jeder erneuten Straffälligkeit erhöhen. All diese Faktoren sind in einer Privatrechtsgesellschaft ohne Weiteres umsetzbar, während man im staatlichen Rahmen in praktisch allen Punkten am Gewaltmonopol scheitert.

DW: Ein Grundproblem des heutigen Systems sehen die Libertären darin, dass der Staat auch ein anderes Monopol diktiert: das Geld. Was wäre der Vorteil von konkurrierendem Geld? Und haben wir mit Regiogeld, Tauschringen und Kryptowährungen nicht schon Alternativen, die wir nur nutzen müssten?

CS: Libertäre nennen das System von konkurrierenden Währungen freies Marktgeld. Da wundern sich jetzt vielleicht einige, hört man doch ständig vom ungezügelten Finanzmarkt. Tatsächlich ist der Finanzmarkt jedoch ganz und gar nicht ungezügelt, sondern extrem eingeschränkt. Indem jeder Staat in der Regel genau eine Fiat­währung – aus dem Nichts geschaffenes und mit nichts gedecktes Scheingeld – zum gesetzlichen Zahlungsmittel ernennt, hat diese Währung einen Monopolstatus. Innerhalb dieses Systems sind Zentral- und Geschäftsbanken tatsächlich ungezügelt, sie bilden gemeinsam mit dem Staat ein Geldschöpfungskartell und nutzen den Monopolstatus ihres Geldes, um die Menschen auszunehmen, die von diesem Geld abhängig sind.

Das ist, als würde der Staat nur einen Autohersteller zulassen. Zusammen diktieren Staat, Hersteller und Autohäuser dann Qualität und Preise. Würde man da von einem ungezügelten Automobilmarkt sprechen? Um so einen Automobilmarkt zu reformieren, würde wahrscheinlich keiner auf die Idee kommen, das Kartell strenger zu regulieren, so wie es heute in Bezug auf das Geldsystem andauernd gefordert wird. Man würde stattdessen darauf bestehen, den gesetzlichen Monopolstatus aufzuheben und damit das Kartell aufzulösen, sodass alle Autos bauen, handeln und nutzen können, wie sie wollen. Mit Geld ist es das Gleiche.

Jeder will wertstabiles Geld haben, die Nachfrage ist also gegeben. Damit eine Währung auf einem freien Währungsmarkt akzeptiert wird, muss sie selten, haltbar, homogen, prägbar, wertgeschätzt und transportabel sein. Die meisten libertären Ökonomen nehmen an, Gold und Silber würden sich auf einem freien Währungsmarkt durchsetzen. Letztlich ist es den Libertären aber egal, wofür sich Menschen als Zahlungsmittel entscheiden.

Die von dir erwähnten Modelle sind interessante Alternativen. Wenn man sich die Preisentwicklung von Bitcoin anschaut, kann einem echt schwindelig werden. Angesichts der Gelddruckorgien des Fiatgeldkartells wird das vermutlich auch so weitergehen. Die größten Schwächen der aktuellen Alternativwährungen ergeben sich leider aus der Tatsache, dass weiterhin ein Geldmonopol besteht. Um deine Steuern zu zahlen, musst du Alternativwährungen wieder umtauschen. Das ist ärgerlich, wenn Bitcoin plötzlich einbricht, was trotz des kometenhaften Aufstiegs immer mal wieder vorkommt. Zudem kann das Geldschöpfungskartell unbegrenzt Geld drucken, mit dem man Alternativwährungen aufkaufen oder allgemein ihren Wert manipulieren kann. Unterm Strich ist aber jede Initiative hilfreich, mit der man das Kartell untergräbt.

DW: Kommen wir nochmal zum Anfang zurück. Ich könnte mir vorstellen, dass Internetgiganten wie Google, Apple oder Amazon auch in einem libertären System so groß geworden wären – sie hatten einfach zur richtigen Zeit die richtige Idee, haben die Idee vorangetrieben, und die Menschen haben es genutzt. Passiert so etwas nicht automatisch, und sammelt sich dadurch nicht Macht und Einfluss allein durch den Anteil am Markt? Wer am besten ist, zu dem wollen doch die meisten. Wie will bzw. kann man so etwas überhaupt verhindern?

CS: Wenn sie doch heute eindeutig mithilfe des Staates so groß geworden sind, wie kommst du dann darauf, dass sie ohne den Staat genauso groß geworden wären?

Wenn ein Unternehmen allein durch freiwilligen Austausch zum Marktführer wird, warum sollte man das verhindern? Wenn sich der Einfluss eines Unternehmens darauf gründet, dass es die Bedürfnisse der Menschen am besten erfüllt und die Menschen daher gerne und freiwillig zu ihm kommen, ist doch alles in Ordnung, das ist eine Win-win-Situation. Sobald das Unternehmen die Nachfrage der Menschen nicht mehr optimal bedient, wird es ganz organisch wieder schrumpfen. Problematisch wird es nur, wenn das Unternehmen vom staatlichen Herrschaftsprivileg profitiert, dann greift die organische Regulierung über den Markt nicht mehr.

DW: Grundsätzlich finde ich die libertäre Idee nach wie vor attraktiv, aber wenn man sie gesamtgesellschaftlich umsetzen will, wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Wie würde man deiner Meinung nach aus den aktuellen Verhältnissen in dieses System kommen?

CS: Zuallererst müssen die Menschen an sich selbst glauben. Solange Menschen ihre Eigenverantwortung an den Staat auslagern oder sich grundsätzlich einem Gruppenzwang beugen, wird unsere Zivilisation auf ein Desaster zusteuern. Alles dreht sich um Selbstverantwortung, das ist der Schlüssel zur Freiheit. Jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung hilft, egal ob im eigenen Leben, im persönlichen Umfeld oder in einem größeren Kontext. Nicht irgendein spezielles Projekt, sondern alles, was vom Ideal des selbstverwirklichten Menschen beseelt ist, der seine persönliche Schöpferkraft zu friedlichen Zwecken nutzt. Je mehr sich jeder Einzelne eigenverantwortlich ins Leben stürzt, desto besser kommen wir voran.

Was es im größeren Kontext konkret zu lösen gilt, ist das Eigentumsdilemma. Es hat mit zwei Tatsachen zu tun, die beide für sich genommen wahr sind, aber im Konflikt miteinander stehen. Zum einen ist die Garantie der Selbstbestimmung über Körper und Eigentum ein zivilisatorischer Fortschritt. Es ist die Überwindung der Aufteilung der Gesellschaft in Herrschende und Beherrschte. Eine libertäre Privatrechtsordnung macht aus Menschen gleichberechtigte und souveräne Partner. Leider gründet sich die aktuelle globale Eigentumsverteilung jedoch auf die hochgradig unmoralischen und kriminellen Machenschaften der Korporatokratie. Wenn man also von jetzt auf gleich alles über Selbsteigentum regeln würde, hätten die Kriegsgewinnler der Korporatokratie – Banken, Rüstungsunternehmen, Technologieunternehmen usw. – einen riesigen Startvorteil.

Obwohl es grundsätzlich erstrebenswert ist, Eigentumsrechte konsequent zu schützen, wäre es eine Zumutung, die aktuellen Eigentumsverhältnisse zur Grundlage einer Privatrechtsordnung zu machen. Die Akzeptanz und Nachhaltigkeit einer Privatrechtsordnung hängt wesentlich von der Rechtmäßigkeit der Eigentumsverteilung ab. Um also die Vorzüge einer Privatrechtsgesellschaft genießen zu können, muss gleichzeitig mit der Entstaatlichung der Gesellschaft eine gerichtliche Aufarbeitung der wirtschaftlichen und politischen Geschichte erfolgen, um Strafen und Entschädigungsleistungen zu bestimmen. Es muss perspektivisch Kriegsverbrecherprozesse geben.

Das ist eine riesige Herausforderung und ich weiß nicht, ob wir sie bewältigen werden. Wenn wir uns jedoch wirklich in Richtung einer friedlichen und fairen Gesellschaft weiterentwickeln wollen, führt – so wie ich das heute sehe – kein Weg daran vorbei, also muss man es aussprechen. Wie genau wir mit all dem vorankommen, kann niemand im Vorhinein wissen oder festlegen. Mit jedem Schritt, den wir auf die Freiheit zugehen, ändern wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, somit müssen wir ständig neu improvisieren. Je mehr von uns Verantwortung übernehmen und sich an diesem Prozess beteiligen, desto besser.

Kommentare

15. Februar 2021, 08:35 Uhr, permalink

Karla

Wer von den prominenten Verfechtern der Dezentralisierung (des Libertarismus) hat konkret selbst in seinem Umfeld schon dezentrale Strukturen umgesetzt? Selbst in diesem System gibt es eine Reihe von Menschen, die sich schon seit Jahren/Jahrzehnten organisieren (etwa in selbstversorgenden Lebensgemeinschaften) statt andere mit Konzepten "wie es denn sein sollte" zu besamen. Ohne konkretes Handeln vor Ort bleiben Konzepte nur Konzepte. Inzwischen entscheiden ganze Apparate darüber, wo wer was anbauen darf, Leute, die vermutlich selbst noch nie einen Baum gepflanzt haben. Wenn wir mehr Rosenbeete wollen, müssen mehr Menschen Rosenbeete anlegen - sinnbildlich gesprochen. Die Anthroposophen z.B. sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass wir überhaupt gesunde Lebensmittel haben. Die Industrialisierung hat ja erst wesentlich zur Entwurzelung und Entfremdung von natürlichen Rhythmen beigetragen. Wer dezentrale Strukturen möchte, was wichtig ist, kann sich dort engagieren, wo bereits Menschen für dezentrale Strukturen sorgen. Dann kann das "alte System" schrittweise obsolet werden. Das ist weniger ein intellektueller Vorgang, sondern einer, der durch konkretes Handeln vor Ort "in die Materie" gebracht wird. Die Regierung spiegelt womöglich auch nur als "Konglomerat" das Massenbewusstsein wider. Zu beklagen, was man nicht mehr will, ist immer einfacher, als selbst neue Ideen umzusetzen. Schreibtischtäter verändern weniger als jene, die ein Stück Land liebevoll bearbeiten.

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