Nicht gefruchtet: Gemüse mit Impfstoffen
Nährstoffangereichertes Obst und Gemüse sowie Krankheitsresistenzen bringt die konventionelle Pflanzenzucht17 zwar regelmäßig hervor, die Entwicklung pflanzlicher Impfstoffe aber wird als einzigartige Gelegenheit für die Gentechnik begriffen:
„[…] [K]onkrete Verbrauchervorteile könnten das Blatt zugunsten gentechnisch veränderter Lebensmittel wenden“,
meinte Novartis-Geschäftsführer Daniel Vasella und versuchte so, die Impfstoffe in gutem Licht dastehen zu lassen.18
Die Idee essbarer Impfstoffe (schon vielfach auf Salat, Tomaten, Bananen und Kartoffeln angewendet) wurde vom britischen Guardian19 im Jahr 2000 als „spannendstes Gebiet der Biotechnik“ bezeichnet. Die Technologie sei kurz davor,
„Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern zu Hilfe zu kommen, die sich die westliche Medizin nicht leisten können“.
Ähnliche Berichte erschienen zwischen 2000 und 2005 bei PBS20 [öffentlich-rechtlicher Rundfunk in den USA, Anm. d. Übers.], in der New York Times21, zweimal im Wissenschaftsmagazin Scientific American22, 23 sowie in vielen weiteren einflussreichen Medien.
Die Berichte konzentrierten sich hauptsächlich auf die theoretischen Vorzüge solcher Impfstoffe, z. B. die preiswerte Herstellung und leichte Haltbarmachung. Dabei wurden schwerwiegende Nachteile verschwiegen.24 Einige betreffen Impfstoffe im Allgemeinen, andere hängen mit der Genmanipulation bei der Herstellung zusammen. Zum Beispiel sind die meisten herkömmlichen Impfstoffe nicht zum Verzehr geeignet. Sie werden injiziert, um nicht mit Speichel und Magensäure in Berührung zu kommen, durch die sie unbrauchbar würden. Weitere Probleme ergaben sich, als man die gentechnisch veränderten Pflanzen zum Wachsen bringen wollte.
Viele Nachteile essbarer Impfstoffe sind noch elementarer. So stellt sich die Frage, wie klug es ist, pflanzliche Medizinprodukte herzustellen, die mit bloßem Auge von normalen Lebensmitteln nicht zu unterscheiden sind. Die Selbstmedikation ist ebenso problematisch: Wie behalten medizinische Laien bei selbst hochgezogenen Pflanzen die Übersicht darüber, wie groß die Dosis war, die sie bereits eingenommen haben? Wie schützen wir die Nahrungsmittelversorgung gegen eine Kontamination durch Impfstoffgene? Wie gut würden solche Impfprogramme Dosisschwankungen tolerieren, dieu. a.durch natürliche Klima- und Wetteränderungen sehr wahrscheinlich aufträten?
Ein oft ins Spiel gebrachtes alternatives Szenario sieht vor, die Impfstoffpflanzen in regionalen Zentren aufzuziehen und von dort aus zu verteilen. Dabei treten wieder andere Probleme auf. Zum Beispiel müssten die Pflanzen – als verderbliche Lebensmittel – von normalen Nahrungsmitteln getrennt zum Verbraucher transportiert werden.
Wegen der ungeklärten Fragen ist noch kein derartiges Produkt über das Stadium von Pilotversuchen bei Mensch und Tier hinausgekommen. Ein wissenschaftlicher Bericht25 aus dem Jahr 2011 kam zu dem Schluss, dass transgene pflanzliche Impfstoffe „noch einen weiten Weg vor sich haben, bevor sie für Großversuche tauglich sind“ (Sekhon, 2011). Und selbst ein Großversuch schafft noch kein fertiges Produkt.
Goldener Reis, König der Gentechnik
Für Goldenen Reis wird kräftig die Werbetrommel gerührt26– ich muss also kaum Worte verlieren, um ihn vorzustellen. EineGoogle-Suche nach der Kombination „golden rice + vitamin A“ bringt ca. 131.000 Ergebnisse.27 Die Pflanze ist durch Hinzufügen eines Gens entstanden, das im Endosperm des Reiskorns eine geringe Menge Beta-Karotin produziert, die Vorstufe von Vitamin A. Goldener Reis ist inzwischen das Flaggschiff für den humanitären Einsatz der Gentechnik. Er hat es schon auf die Titelseite des Time-Magazins28 geschafft, und allein in derNew York Timeswurden ihm elf verschiedene Artikel gewidmet.
Wie die deutsche Nichtregierungsorganisation Testbiotech29 meldete, verwendet die PR-Kampagne für Goldenen Reis im Zusammenhang mit Gentechnik-Gegnern inzwischen den Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. So berichtet die indische Tageszeitung The Hindu30 über einen Indien-Besuch des Medizin-Nobelpreisträgers Sir Richard J. Roberts am 10. Dezember 2013:
„Er nannte den Protest europäischer ‚grüner‘ Parteien gegen genmanipulierte Pflanzen ein ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘. Dabei lenkte er die Aufmerksamkeit auf ein Projekt, das eine gentechnisch veränderte Reissorte entwickelt, um das Problem der Unterversorgung mit Vitamin A in Indien und anderen Ländern zu lösen.“
Die Realität könnte von dem durch plumpe PR-Kampagnen gezeichneten Bild kaum stärker abweichen. Vor dem Jahr 2005 bezogen sich alle Veröffentlichungen auf die Variante „Goldener Reis 1“ (GR1) (Ye et al., 2000). Journalistische Skepsis ließen die wenigsten davon erkennen. Lediglich Greenpeace31 und Dr. Vandana Shiva32 wiesen auf falsche Behauptungen hin: GR1 konnte die Vitamin-A-Unterversorgung nicht beheben, weil er nicht genügend Beta-Karotin enthielt. Das wurde damals noch bestritten, später allerdings mit der Entwicklung einer neuen Sorte (GR2) durch den Agrarkonzern Syngenta (Paine et al., 200533) klar eingestanden.
Die neue Variante wurde bislang in lediglich drei wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschrieben (Paine et al., 2005; Tang et al., 200934; Tang et al., 201235). Über ihre Ertragsmöglichkeiten und ihre agrartechnischen Eigenschaften ist nichts bekannt, fast ebenso wenig über die Wirksamkeit und Sicherheit. „Goldener Reis 2“ wurde bisher in keinem Land für den Verzehr und die kommerzielle Nutzung freigegeben. Er befindet sich also noch im Entwicklungsstadium. Tatsächlich sind seine Transgene erst vor Kurzem in die Indica-Reissorten eingekreuzt worden, von denen sich die meisten Bewohner Asiens ernähren. Insgesamt zeigt sich eine beispiellose Diskrepanz zwischen der Zahl der Veröffentlichungen über Goldenen Reis und dem, was das Produkt bisher erreicht hat – nämlich nichts.
Zumindest ein Teil der Presse hat auf die soziokulturellen und technischen Probleme hingewiesen, die dem Erfolg von Goldenem Reis im Weg stehen. Um die Ernährungssituation von Menschen mit Vitamin-A-Mangel zu verbessern, müsste Goldener Reis großflächig angebaut werden, er würde also tausende lokale Sorten verdrängen. Ansonsten müssten seine Transgene in jede einzelne Sorte eingekreuzt werden. Er sollte für die ärmsten und isoliertesten Bevölkerungsgruppen verfügbar sein, denn sie benötigen ihn am dringendsten. Und: Die traditionell ausgeprägte Vorliebe für weißen Reis müsste überwunden werden – wie auch immer das geschehen soll.
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