Cryptocurrency: Wie virtuelles Geld unsere Gesellschaft verändert

cryptoMichael Casey, Paul Vigna
ECON

395 Seiten
ISBN: 978-3-430-20189-6
€ 19,90

Bücher über Bitcoin waren bisher schmal und meist verwirrend – Bücher von Technikfreaks für Technikfreaks. Das ist nicht sehr überraschend, weil diese Technologie bis vor etwa anderthalb Jahren fast ausschließlich von solchen Menschen dominiert wurde. Das ändert sich seitdem rasant, und auch wenn Bitcoins als Währung und als Technologie noch nicht in der breiten Masse angekommen sind und niemand sicher sagen kann, ob sie sich durchsetzen werden: Sie haben das Potenzial, unsere Gesellschaft sehr stark und je nach Sichtweise sogar radikal zu verändern.

Casey und Vigna sind Wirtschaftsjournalisten, die regelmäßig für die Financial Times, die Washington Post, für das Wall Street Journal, CNN und BBC arbeiten. Mehr an klassischer Ökonomie geht fast nicht mehr:

„Wir waren beide Skeptiker, als wir von Bitcoin hörten. Geld, das nicht vom Staat garantiert wird? Verrückt!“

Aber sie sind neugierig und beiden steckt noch der Crash von 2008 in den (Schädel-)Knochen. Sehr nachvollziehbar beschreiben sie die Phasen der Akzeptanz: von Geringschätzung über Skepsis und Neugier bis hin zum Moment „wo der Groschen fällt“, wo sie „plötzlich eine Vorstellung von einer ganz neuen Art, Dinge zu tun“ haben, bis hin zur Zustimmung. Ihr Buch ist eine Entdeckungsreise in die Welt der Kryptowährungen und der Technologie dahinter. Sie versuchen, die vielen Puzzleteile zusammenzusetzen. Das ist ihnen nicht nur gelungen, sie haben es zudem in einer Sprache geschrieben, die jeder verstehen kann. Aus meiner Sicht ist es derzeit das Standardwerk zum Thema, einfach guter Journalismus.

Als Einstieg wählen sie die Geschichte unseres Währungssystems, die mir die gewachsene Verflechtung von Staat und Banken klar gemacht hat. Sie gehen dann zur Entstehungsgeschichte des Bitcoins über und wie die Gemeinschaft in den ersten Jahren angewachsen ist. Wichtige Akteure – mit Ausnahme von Satoshi Nakamoto, dem Begründer des Bitcoins – haben sie direkt befragt, sodass man ein atmosphärisches Bild aus dieser Zeit bekommt. Sie erläutern die Nachteile des „normalen“ Zahlungsverkehrs per Kreditkarte und wie Bitcoin diese Probleme lösen, das heißt das gesamte Prozedere vereinfachen kann. Aber natürlich ist auch Bitcoin nicht die Lösung aller Probleme, denn vor allem fehlt ihm noch das Vertrauen der Menschen, bevor er sich als stabile Währung etablieren kann, die unabhängig von einer Regierung funktioniert. Dazu erläutern die Autoren die Blockkette, die Technologie hinter allen Kryptowährungen: Diese „block chain“ ist im Grunde eine revolutionäre „Sozialtechnologie“, eine Art digitales, öffentliches Grundbuch, die viele der heutigen „Vertrauenspersonen“ – Banken, Versicherungen, Anwälte, Notare – überflüssig machen könnte. Und nicht nur diese: Auch Teile des Regierungsapparats könnten schlicht verzichtbar werden. Casey und Vigna erklären, wie diese Blockkette durch das „Schürfen“ („Mining“) öffentlich digital verwaltet wird.

In den folgenden Kapiteln gehen sie auf zwei sehr unterschiedliche Aspekte ein: Zum einen beschäftigen sie sich mit den Innovatoren, die das wirtschaftliche Potenzial erkannt haben und mit der Technologie reich werden wollen. Zum anderen sehen sie die 2,5 Milliarden Menschen, die kein Bankkonto haben und für Geldtransfers meist 20 Prozent, aber gerne auch mal 30 Prozent des Überweisungsbetrags abführen müssen. Die Armen in Afrika und Asien, die für Banken wegen ihres geringen Einkommens uninteressant sind, müssen andere Wege finden, um Geld an ihre Familien zu senden, und es gibt hier schon seit einigen Jahren spannende Ideen wie M-Pesa, die in einigen Ländern Afrikas Millionen Nutzer haben.

Aber wie sieht die Zukunft des Bitcoins und der Bitcoin-Technologie – der Blockkette – aus, wo liegen die Konfliktlinien? Werden wir weiter in Richtung einer noch stärkeren Zentralisierung, in Richtung eines Bankenstaates steuern? Oder werden sich die libertären Kräfte durchsetzen, die für eine Dezentralisierung eintreten? Die beiden Autoren diskutieren verschiedene Szenarien, die sich entfalten könnten, wenn alles so weiterläuft wie bisher. Wird sich der Bitcoin als Währung durchsetzen? Wird es eine Konkurrenz verschiedener Kryptowährungen geben? Wird die Technologie der Blockkette die Basis des Finanzsystems werden? Oder werden die Regierungen einfach eigene, zentralisierte digitale Währungen ausgeben?

Beide Autoren kommen aus der klassischen Ökonomie, die permanentes Wachstum im Fokus hat, und das hat mir interessante Einblicke verschafft. Zugleich macht es sie aber für radikale Alternativen blind und sie diskutieren weitgehend evolutionäre Prozesse der Anpassung.

Der Punkt ist aber, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so weitergehen wird wie bisher. Als Journalisten, die für die Presse-Flaggschiffe des westlichen Finanzsystems arbeiten, berufen sich Casey und Vigna gerne auf „Experten“, die eine weitere Krise für unvermeidlich halten. Das weiß aber im Grunde jeder, der seine Augen offen hält. Ein Crash könnte der Durchbruch für den Bitcoin, zumindest aber für die Technologie dahinter werden. Satoshi Nakamoto schickte sein mittlerweile berühmtes White Paper zum Bitcoin am 31.10.2008 in die Welt, im April 2011 versendete er seine letzte Email – und seitdem schweigt er; niemand weiß, wer er ist. Es gibt klare Hinweise darauf, dass sein Bitcoin-Entwurf eine direkte Reaktion auf die Finanzkrise des Jahres 2008 war. Einmal ist ihm ein Geniestreich gelungen – vielleicht gelingt ihm ein zweiter, wenn er in der nächsten Krise seine eigene Million Bitcoins (von den insgesamt 14,16 Millionen Bitcoins – Stand Mai 2015) klug einsetzt.

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