Am 6. April 2016 fällte das deutsche Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil zu Cannabis: Ein Schmerzpatient aus Mannheim mit Multipler Sklerose darf Cannabis für Therapiezwecke selbst anbauen. Zwar gibt es in Deutschland mehr als 600 Patienten, die Cannabis als Medikament verwenden dürfen. Sie müssen es aber in der Apotheke kaufen, dürfen es nicht selbst anbauen und müssen es selbst bezahlen, da keine Krankenkasse die Kosten übernimmt. Doch das können sich längst nicht alle Patienten leisten. Das Urteil ist zwar ein Einzelfall, aber es könnte sich auf gleichgelagerte Fälle auswirken. Somit würden chronisch kranke Patienten, die keine andere Chance als eine Cannabis-Therapie haben, endlich nicht mehr in die Kriminalität abgedrängt. In den USA sieht die Situation zwar anders aus. Doch dass nach den jüngsten Volksentscheiden in den Bundesstaaten Washington und Colorado ungestört gekifft werden darf und zusätzlich in 18 Staaten Cannabis auf ärztliches Rezept erworben werden kann, täuscht nicht darüber hinweg, dass die Vereinigten Staaten auf dem Gebiet der Legalisierung noch lange nicht so weit sind, wie progressive Gruppen fordern. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind jedoch eindeutig: Cannabis wirkt gegen zahlreiche medizinische Probleme und ist bei gelegentlicher Anwendung weniger schädlich als manche pharmazeutischen Mittel.
So überrascht es keineswegs, dass das vorliegende Buch aus den USA kommt und dort schon 2014 erschienen ist, bevor es jetzt den Weg zu uns nach Deutschland gefunden hat. Der Autor Michael Backes ist auf wissenschaftliche und rechtliche Fragen bezüglich Cannabis spezialisiert und ist zudem Gründer der ersten Apotheke für medizinisches Cannabis in den USA.
Das Buch ist eine Anleitung zum medizinischen Einsatz der Hanfpflanze. Es ist in vier Hauptteile untergliedert: Teil 1 gibt einen historischen und wissenschaftlichen Überblick, Teil 2 bietet einen Leitfaden für die Anwendung, Teil 3 stellt 27 Cannabis-Züchtungen und ihre verschiedenen Wirkweisen vor und Teil 4 informiert darüber, wie man Cannabis bei bestimmten Erkrankungen unter ärztlicher Aufsicht effektiv einsetzen kann. Dazu gibt es einen sehr ausführlichen Anhang mit einer großen Literaturauswahl, einem Glossar und einem Register.
Zugegeben, es ist mein erstes Buch über Cannabis und eine große Ahnung von der Pflanze hatte ich vor dem Lesen nicht wirklich. Zum Glück gehöre ich auch nicht in die Gruppe der Schwerkranken, die Cannabis benötigen. Doch ich muss gestehen: Es hat mich eine gewisse Faszination ergriffen, was diese Pflanze betrifft. Eigentlich überrascht es, dass Cannabis aus unseren Arzneischränken verbannt wurde. Schließlich wurde es über Jahrtausende in Kulturen rund um die Welt als Medikament gegen körperliche wie geistige Erkrankungen eingesetzt. Obwohl der medizinische Wert von Cannabis durchaus bekannt war und ist, wurde es als gefährliches Rauschgift verbannt. Heute wissen die Patienten besser über die Pflanze Bescheid als ihre Ärzte oder Therapeuten. Backes räumt mit einigen falschen Überlieferungen und Meinungen auf, weist auf Gefahren und falschen Umgang hin und stellt Cannabis ins rechte Licht, wo es auch hingehört.
Das Buch ist für Patienten und Ärzte gleichermaßen geeignet. Neben neuen und alten Erkenntnissen zum Einsatz von Cannabis als Arznei erfährt man aus Fallberichten kalifornischer Patienten, auf welchen Gebieten und bei welchen Krankheiten die Pflanze unterstützen kann.
Dank der Variationen in ihrer chemischen Zusammensetzung haben unterschiedliche Cannabis-Züchtungen verschiedene physiologische Wirkungen und führen zu grundlegend unterschiedlichen Erfahrungen. Cannabis bietet ein ganz ungewöhnliches Wirkspektrum und kann kreativ und intelligent eingesetzt werden. Sicherlich ist es kein Allheilmittel, doch für gewisse Personen in gewissen Situationen ist die Pflanze sehr hilfreich. Ich vermute, dass Gegner des Einsatzes von Cannabis als Medizin nur so lange Gegner bleiben, bis sie selbst von einer Krankheit heimgesucht werden. Cannabis ist ein extrem komplexes Arzneimittel, das in verschiedenen Arten und Formen unterschiedlichste medizinische Effekte erzielt.
Das Cannabis-Verbot hat zu einer riesigen Kluft zwischen der momentanen medizinischen Praxis und dem Konsum von Cannabis als Arznei geführt. Den Ärzten von heute wird nicht gelehrt, dass Cannabis ein effektives Medikament sein kann. Sie lernen nur, dass es eine gefährliche Droge ist und damit offen für jeglichen Missbrauch. Cannabis kann die Symptome vieler Erkrankungen lindern. Heilen kann es weniger oft, doch es kann die Häufigkeit einiger Krankheiten reduzieren und anderen vorbeugen. Das Wichtigste für die erfolgreiche Anwendung von Cannabis als Arznei sind die richtige Dosierung und die regelmäßige Verabreichung. So möge dieses Buch dazu beitragen, Cannabis aus dem Schattendasein einer illegalen Droge zu befreien und ihm seinen gebührenden Platz als Heilmittel zugestehen. Es wäre für so viele schmerzgeplagte Menschen als letzte Hoffnung sehr wünschenswert.
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