Energiepolitik – bla, bla, bla, Umweltbilanz – bla, bla, bla, Energierendite, Ölfördermaximum, CO2-Fußabdruck, Erneuerbare, Wasserkraft, Kernenergie – bla, bla, bla, bla, bla.
Das war eine überzeugende Analyse, nicht wahr? Nachdem ich das nun hinter mich gebracht habe, kann ich zum wichtigen Teil übergehen. Was Energiepolitik anbelangt, verfolge ich einen ungewöhnlichen Ansatz, der sich gleichermaßen auch auf die persönliche Energiebilanz eines Wesens aus Fleisch und Blut anwenden lässt.
Bei den meisten Diskussionen über Energie geht es hauptsächlich um die Frage, wo die Energie herkommen soll. In unserer modernen Zeit wurden wir Zeugen, wie immer wieder eine Technologie eine andere ersetzte, die jeweils eine neue Ära mit sauberer, schier unerschöpflicher Energie einzuleiten versprach. Vielleicht reicht Ihr Gedächtnis ja nicht so weit zurück, aber ich kann mich noch an meine Jugendtage in den 1880er-Jahren erinnern, als die neuen Ölöfen uns von dem Holzrauch zu befreien versprachen, der jeden Winter unsere Städte, Dörfer und Häuser erstickte und die Landschaft immer kahler werden ließ. Welchen Segen das für die Umwelt bringen würde! Etwa um die gleiche Zeit bescherte die Wissenschaft uns Kerosin und wir konnten die schmierigen Talg- und Walfettlampen ausrangieren, die unsere Häuser mit Gestank erfüllten und die Wale in den Ozeanen ausrotteten.
Etwas Ähnliches erlebte ich in meiner Jugend in den 1920er-Jahren, als Automobile die allgegenwärtigen Pferde ersetzten, die unsere Städte mit Dung überhäuft hatten. Wissen Sie noch, wie jedes Jahr im Frühling der Regen die Straßen in einen knöcheltiefen Morast verwandelte, der erst durch die Wärme der Julisonne trocknete und sich dann als feiner Staub an unsere Kleidung heftete und in unsere Nasenlöcher eindrang? Ach, und diese Fliegen! Was war die neue pferdelose Kutsche doch für eine Wohltat!
Als junger Mann schloss ich in den 1950er-Jahren Bekanntschaft mit einer neuen Energiequelle, die damals in unser Leben trat. Wir nannten sie Atomkraft. Sie setzte der Verschmutzung endgültig ein Ende. Keine Rauchschlote, kein Kohlenstaub und keine Verunreinigungen mehr. Saubere, unbegrenzt verfügbare Atomenergie sollte dem modernen Zeitalter sein wahres Potenzial entlocken.
Doch jede dieser neuen Errungenschaften erwies sich als Umweltkatastrophe. Aber keine Sorge! In den letzten Jahrzehnten erblickten neue Technologien das Licht der Welt, die es uns endlich ermöglichen werden, große Mengen von Energie zu erzeugen, ohne die Umwelt zu verschmutzen. Wind, Biomasse und Solarkraft sorgen für Energie und Treibstoff ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt. Nun, das war zumindest die Idee, die dahintersteckte. Doch es wird bereits offensichtlich, dass sich das jahrhundertealte Muster wiederholt. Die Umweltschäden durch Minen zum Abbau von Lithium, Kobalt, Silber, seltenen Erden und Ähnlichem sind nicht weniger erschreckend als die durch Öllecks, Bohrfelder und Emissionen verursachten Schäden. Und die Zerstörung der Ökosysteme, die durch im großen Stil erzeugte Biokraftstoffe angerichtet wird, stellt deren angeblichen Nutzen für das Klima weit in den Schatten.1
Es stellt sich also die Frage, wie wir unseren Energiebedarf auf nachhaltige Weise befriedigen können, ohne der menschlichen Gesundheit, dem Planeten und allen übrigen Lebewesen weiterhin Gewalt anzutun.
Die Frage ist eigentlich falsch gestellt, weil die Formulierung die Möglichkeit einer Antwort impliziert. Das Problem besteht aber nicht in unserer Energieerzeugung, sondern in unserer Energieverwendung.
Zur Erklärung möchte ich das Konzept der heiligen Reziprozität heranziehen und versuchen, es aus der Mülltonne spiritueller Klischees hervorzuholen. Damit ein System, gleich welcher Art, gedeihen kann, müssen Geben und Nehmen im Gleichgewicht sein, und zwar nicht in einem rigiden oder statischen Gleichgewicht, sondern in einem Zustand dynamischer Ausgewogenheit.
Aus diesem Prinzip folgt, dass die Art unseres Nehmens so gut wie keine Rolle spielt, solange es am Geben hapert. Das Prinzip der Gegenseitigkeit verlangt, dass wir die Schönheit, die wir aus der Welt beziehen, in umgewandelter Form wieder an ihre Quelle zurückführen. Wir nehmen die Gaben der Natur entgegen, verändern sie und leiten sie weiter. So tragen wir zur Gesundheit, Schönheit und Lebendigkeit der Welt bei.
Meine Frau Stella, die aus Südamerika stammt, orientiert sich an der schamanischen Tradition Perus. Ein gängiger Brauch betrifft die Herstellung von sogenannten despachos, kurzlebigen Schreinen aus Blumen, kleinen dekorativen Elementen, farbenfrohen Kerzen und Ähnlichem, die später verbrannt oder vergraben werden. Die Überlieferung besagt, dass dieapus– die Götter der Berge – und andere Geister sich an deren Schönheit laben.
Dieses Verständnis beschränkt sich keineswegs nur auf Peru. Jeder, der einen Altar anlegt, verleiht ihm Kraft durch die sorgfältige Anordnung heiliger Gegenstände. Der architektonische Glanz, der sich in westlichen Kathedralen und Moscheen entfaltet, weist auf eine ähnliche Denkweise hin. Der Zweck solch opulenter Ausschmückungen bestand darin, Gott zu verherrlichen. Die gleiche geistige Schwingung vermitteln auch die heiligen Stätten des Fernen Osten, beispielsweise die taoistischen und shintoistischen Tempel in China und Japan. Wenn sie gut gelungen waren, verschönerten sie die Landschaft, ohne sie zu dominieren. Sie fügten der Natur etwas hinzu, anstatt ihr etwas zu entziehen.
Die Schönheit oder auch die Hässlichkeit der sakralen Architektur enthüllt die Gesundheit oder Krankheit einer Gesellschaft. Das gilt nicht nur für deren sakrale Architektur, sondern auch für alle anderen Bauwerke und für alles, was sie tut. Nicht nur sind die nach 1950 erbauten christlichen Kirchen genauso hässlich wie die übrige moderne Landschaft, auch die Tempel der modernen Religionen (Wissenschaft, Medizin und Kommerz) weisen kaum ansprechende Züge auf.
Selbst etwas so Banales wie die Lebensmittelherstellung kann man im Geiste der Extraktion oder im Geiste der Gegenseitigkeit – und damit als Beitrag zum Leben – gestalten. Die Indianer Nordamerikas gewannen ihre Lebensmittel auf eine Art und Weise, die sowohl die Produktivität erhöhte, als auch die Biodiversität förderte, wie Kat Anderson in seinem klassischen Werk „Tending the Wild“ beschreibt. Mit der Zerstörung der alten Bräuche durch die Kolonialherren und Siedler begann der Verfall der Ökosysteme. Die heutzutage häufigen Flächenbrände sind diesem genozidalen Vermächtnis zu verdanken.
Die Vorstellung, man könne den klimaschädlichen Emissionen, der Ausplünderung der Ressourcen oder dem Verlust der Biodiversität beikommen, indem man despachos arrangiert oder mit mehr Zeit- und Geldaufwand schönere Gebäude errichtet, mag abstrus erscheinen – als flüchte man ins Spirituelle, um sich den quantitativen Problemen von Energieproduktion und -verbrauch nicht stellen zu müssen. Der Kernpunkt ist jedoch, dass die Menschheit heute den Großteil der Energie nicht zum Wohle aller Menschen, geschweige denn zum Wohle des gesamten Lebens auf der Erde einsetzt. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir auf „nachhaltige“ Ressourcen umsteigen.
Um die Bedeutung zu erkennen, die der Gestaltung einesdespacho,der Errichtung sakraler Architektur oder der Anlage eines Altars oder Schreins zukommt, muss man verstehen, dass man damit ein Prinzip, ein Vorbild und eine Gewohnheit etabliert. Es geht um gewohnheitsmäßige Hingabe: Hingabe an die Schönheit, Hingabe an das Leben und Hingabe an Heilung.
Auch in der Kunst verwirklicht sich diese Hingabe. Ein Künstler gestaltet irgendetwas schöner, als es notwendig wäre, um den vorgesehenen Zweck zu erreichen. Kunst äußert sich also in einem Geist von Geben. Das meine ich mit heiliger Reziprozität.
Bei den meisten Bauprojekten wird zunächst einmal der Baugrund freigeräumt. Dieser erste Schritt lässt völlig außer Betracht, was sich vorher an der entsprechenden Stelle befunden hat.2 Religiöse Architektur und religiöse Gesinnung streben im Allgemeinen nicht danach, die Welt auf null zu setzen und dann neu zu beginnen. Vielmehr würdigen sie die Geschenke, die die Welt bisher gegeben hat und versuchen, an den Prozess der Schöpfung anzuknüpfen.
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