Aladdin verwaltet weltweit mittlerweile Vermögen im Wert von 21 Billionen Dollar. Um das anschaulich zu machen: Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt der USA von 20 Billionen Dollar oder die 15 Billionen Dollar BIP der gesamten Europäischen Union.
Der New Statesman schrieb, dass das gesamte physische Bargeld in der Welt – das aller sieben Milliarden Menschen, das in Banktresoren, Brieftaschen und Sparschweinen existiert – etwa fünf Billionen Dollar beträgt.
Aladdin hat sich also zu einem System entwickelt, das Vermögenswerte verwaltet, die mehr als viermal so viel wert sind wie alles Bargeld auf der Welt. Dieses eine Computerprogramm bestimmt die Aktivitäten der US-Notenbank, nahezu jeder wichtigen Bank und jedes großen Investmentfonds an der Wall Street und der über 17.000 Börsenhändler. Es kontrolliert die Hälfte aller börsengehandelten Fonds (ETFs), 17 Prozent des Rentenmarktes, 10 Prozent des weltweiten Aktienmarktes, führt jeden Tag eine Viertelmillion Trades durch und erstellt in jeder Woche Milliarden von Vorausberechnungen. Jahr für Jahr saugt es Billionen von Daten über sämtliche Märkte, alle Unternehmen und jedes Vermögen auf – und nun auch über jeden von uns: was wir kaufen, verkaufen und sagen. Somit weiß Aladdin viel besser als jeder Mensch, was man kaufen und was man verkaufen sollte.
Alle großen Banken, Unternehmen und Investmentfonds verlassen sich mittlerweile auf dieses Programm, seine hoch entwickelte künstliche Intelligenz mit ihren Algorithmen, um am Markt gut abzuschneiden; andernfalls wären sie schon auf der Strecke geblieben.
Und wissen Sie, was das Verrückteste an der Sache ist? Der Bot – so werden solche Programme im Fachjargon genannt – legt nun erst richtig los!
Woher also kommt Aladdin und wie wurde dieses Programm so mächtig?
Aladdin ist das Geistesprodukt von Larry Fink, dem Gründer der Investmentgesellschaft BlackRock. Die Dominanz dieses Computerprogramms hat BlackRock zur größten Schattenbank der Welt und dem mächtigsten Unternehmen auf Erden gemacht.
Diese Geschichte beginnt in den 1980er-Jahren, als Larry Fink Millionen damit verdiente, dass er für die Wall-Street-Bank First Boston als einer der ersten mit hypothekenbesicherten Wertpapieren handelte. Richtig, genau dieselben Hypothekengeschäfte, die im Jahr 2008 die weltweite Finanzkrise auslösten, doch damals gab es zwischen ihm und Lewis Ranieri von Salomon Brothers eine Wall-Street-Rivalität monumentalen Ausmaßes. Letzterer gelangte in Michael Lewis’ Buch „Liar’s Poker“ als Big Swinging Dick zu zweifelhaftem Ruhm.
Damals machte Larry Millionen für die Bank und war auf dem Weg, Geschäftsführer von First Boston zu werden. Doch dann führte im Jahr 1986 ein Fehler in den Computermodellen dazu, dass er falsche Entscheidungen traf und die Bank 100 Millionen Dollar verlor. Larry musste als Versager gehen und der dumme Computer war schuld daran.
Nach dieser Erfahrung hatte er nur noch ein Ziel: einen superintelligenten Bot zu entwickeln, der Risiken und Chancen am Markt besser erkennen kann, als irgendein anderer Computer oder Mensch es könnte.
1988 gründete er ein Start-up, BlackRock, mit einem kleinen Team von Programmierern, um ein solches Computerprogramm zu erschaffen. Er nannte es Aladdin, ein Akronym für Asset Liability and Debt and Derivative Investment Network.
Während der ersten zehn Jahre seiner Existenz wurde Aladdin mit jeder verfügbaren Information über Veränderungen in den Vermögenswerten und Risikovariablen im globalen Rentenmarkt gefüttert – Larrys Spezialgebiet. In seinem elften Lebensjahr, im Jahr 1999, war Aladdin so gut darin, Gewinner und Verlierer zu identifizieren, dass Larry damit begann, Zugriff auf seine Daten an andere Wall-Street-Unternehmen zu verkaufen, und im selben Jahr brachte er auch BlackRock an die New Yorker Börse. Gleich nach dem Börsengang platzte die Dotcom-Blase und ein gewaltiger Geldstrom floss aus dem Aktienmarkt in den Rentenmarkt – und genau da war Aladdin die unangefochtene Nummer eins in der Welt.
Innerhalb weniger Jahre wurde BlackRock zu einem Billionen Dollar schweren Unternehmen, und als das Geld wieder in den Aktienmarkt zurückfloss – was tat Larry da? Er kaufte die Vermögensverwaltungsabteilung von Merrill Lynch, die auf Aktienhandel spezialisiert war. Das war das Geschenk für den Bot zu seinem 18. Geburtstag: detaillierte Daten über den gesamten Aktienmarkt – und plötzlich hatte Aladdin einen neuen Spielplatz, auf dem er jeden Aktienhandel und jeden Risikofaktor für jedes Unternehmen auf dem Aktienmarkt analysieren konnte.
Das hat dazu geführt, dass BlackRock und seine beiden größten Rivalen, Vanguard und State Street, die beide ebenfalls auf Aladdins gewaltiges Wissen vertrauen, zusammen die größten Aktionäre von über 40 Prozent aller börsennotierten Unternehmen in Amerika sind.
Als dann 2008 die globale Finanzkrise ausbrach, wurde Aladdins Hilfe von jeder Wall-Street-Bank und auch von Timothy Geithner, damals US-Finanzminister und Chef der US-Notenbank von New York, in Anspruch genommen, noch bevor der Bot 21 Jahre alt war. Mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und dem Beginn des Wall-Street-Crashs wurden Forderungen der US-Regierung laut, die nächste kollabierende Bank, Bear Stearns, zu retten. Es war Aladdin, der entschied, welche Vermögenswerte im Rahmen des 30 Milliarden Dollar umfassenden Rettungspaketes gehalten und welche veräußert wurden – und nur wenige Menschen wissen, dass ein Computerprogramm Amerika vor einer Katastrophe bewahrt hat.
Nach diesem ersten Erfolg begannen die US-Notenbank, die US-Regierung und nun auch die europäische und die japanische Zentralbank, sich auf Aladdin zu verlassen, wenn Entscheidungen zu treffen waren, wofür die 2,5 Billionen Dollar neu gedruckten Geldes eingesetzt werden sollten. Meist waren es Rentenpapiere und finanzielle Mittel für Hypothekeninstitute und Banken. Doch Moment mal, sind das nicht genau die Geschäftsfelder, in denen Aladdin und BlackRock bereits tätig waren? Exakt! Aber anfängliche Proteste über Interessenskonflikte wurden durch den Lärm der Notenpressen übertönt, die immer mehr Geld druckten, während das von Aladdin verwaltete Vermögen bis 2013 auf elf Billionen Dollar anwuchs. Während der vergangenen zehn Jahre ist Aladdin vom Marktführer zum Beherrscher aller Finanzmärkte geworden. Mit dem Aufkauf von Barclays erwarb BlackRock iShares, Barclays’ Sparte für börsengehandelte Fonds (ETFs). Damit wurde Aladdin auch noch zum Beherrscher der börsengehandelten Fonds, genau zu dem Zeitpunkt, als alle großen Investoren von offenen Investmentfonds zu börsennotierten Indexfonds (ETFs) wechselten.
Und dann änderte sich im Jahr 2017 alles.
An Aladdins 29. Geburtstag startete Larry ein streng geheimes Projekt bei BlackRock mit dem Codenamen „Monarch“, das im Ergebnis dazu führte, dass die Fondsmanager entlassen und ihre Fonds durch die von Aladdin ersetzt wurden. Das Computerprogramm verdrängte nun die Menschen – und mittlerweile werden über 70 Prozent aller Aktienkäufe und -verkäufe an US-amerikanischen Börsen von Bots durchgeführt. Aladdin spielt hier natürlich weiterhin die erste Geige.
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