Bitcoin als Schuldgeld: Alte Tricks mit neuem Geld?

bitcoIn dieser Kolumne möchte ich mich an ein heißes Eisen wagen. Gemeint ist das eher unbekannte Bitcoin Lightning Network. Dabei wirkt das Thema auf den ersten Blick gar nicht besonders heiß, sondern eher wie ein Versprechen in die Zukunft des Bitcoin. Denn dieses Netzwerk hat das Potenzial, die größte technische Hürde des Bitcoin – das Skalierungsproblem – zu lösen.Wer meine letzte Kolumne gelesen hat, weiß: Nutzen zu viele Menschen den Bitcoin, wird die Blockchain, die dezentrale Datenbank des Bitcoin, überladen und Transaktionen werden entweder teuer oder langwierig. Stand heute ist der Bitcoin deshalb nicht massentauglich.

Eine Lösung, die immer mehr an Popularität gewinnt und die ich am Ende meiner Kolumne angeschnitten hatte, ist das erwähnte Lightning Network. Wenn Sie einen Kaffee im Bistro um die Ecke kaufen möchten, eröffnen Sie und der Verkäufer beim Lightning Network einen gemeinsamen Zahlungskanal, in dem sowohl Sie als auch der Verkäufer eine gewisse Anzahl an Bitcoins hinterlegen. Die Rechte an den hinterlegten Bitcoins können Sie dann abseits von der Blockchain munter hin und her transferieren. Es spielt dabei keine Rolle, ob Sie eine, einhundert oder eine Million Transaktionen durchführen, da die Blockchain über diese Transfers gar nicht mehr informiert wird. Nur Sie und der Verkäufer müssen zustimmen, nicht das gesamte Netzwerk. Sobald Sie dann fertig sind, können Sie den Zahlungskanal wieder schließen und die Blockchain über die neuen Kontostände informieren. Für diese existieren folglich nur zwei Transaktionen: Die, mit der ein Zahlungskanal eröffnet wurde, und die, mit der er wieder geschlossen wurde. Indem die Blockchain schlichtweg übergangen wird, wird auch das Skalierungsproblem umschifft.

Genau genommen handeln Sie beim Lightning Network gar nicht mehr mit Bitcoins. Denn diese können die Blockchain nicht verlassen. Sie handeln abseits der Blockchain mit etwas, das jedem, der sich mit der Geschichte unseres Geldes befasst hat, merkwürdig bekannt vorkommen dürfte: mit Schuldscheinen, die durch Bitcoins gedeckt sind.

War nicht unser Papiergeld ursprünglich auch ein Schuldschein für den Besitz von Gold? Entstand es nicht ebenfalls, weil das ständige Herumtragen von Gold zu umständlich und gefährlich wurde? Geschieht mit dem digitalen Gold, wie der Bitcoin auch genannt wird, nun etwas Ähnliches wie mit dem physischen Gold im 14. Jahrhundert in Italien, wo das Giral- bzw. Schuldgeld seinen Anfang nahm?

Das Lightning Network existiert bereits und findet derzeit immer mehr Nutzer – verglichen mit den klassischen Bitcoin-Nutzern, deren Transaktionen über die Blockchain laufen, sind dies jedoch noch verhältnismäßig wenig. Lassen Sie uns das Experiment dennoch etwas weiterspinnen und so tun, als würde „Lightning“ bereits in unserem Alltag Verwendung finden. Wenn Sie für jede einzelne Person, mit der Sie handeln, einen Extra-Kanal anlegen und hierfür Bitcoins hinterlegen müssten, würden Sie vor lauter Zahlungskanälen vermutlich schnell den Überblick verlieren. Sie könnten jedoch auch mit mehreren Leuten einen größeren, gemeinsamen Kanal anlegen – was voraussichtlich dazu führen würde, dass immer größere Zahlungskanäle entstünden. Diese könnten Sie wiederum mit zentralen Knotenpunkten verbinden. Letztlich sind solche Lightning-Hubs – derzeit existieren sie noch nicht – ähnlich wie Internet-Router geplant: Es sollen Verteilerstellen werden, auf denen so viele Bitcoins hinterlegt sind, dass sie einen riesigen Zahlungskanal für die gesamte Umgebung anbieten könnten. Die Hubs würden somit als Mittelsmänner dienen und ähnlich einer Bank Ihre Bitcoin-Schuldscheine von A nach B schicken.

Wenn Sie jemandem über einen Hub Geld schicken möchten, so hat der Hub zwar Ihre Bitcoins als Sicherheit hinterlegt. Doch bevor er die Bitcoins von Ihnen „einzieht“, schickt er das Geld bereits an denjenigen, mit dem Sie handeln möchten. Das Geld für diese Transaktion muss er allerdings aus dem großen Topf aller einzahlenden Teilnehmer vorstrecken.

Lightning-Hubs werden also liquide sein müssen, um in diese Vorleistung gehen zu können. Hierfür benötigt man natürlich eine Menge Bitcoins. Deshalb würde es für sehr reiche Menschen oder Organisationen einfacher sein, einen funktionierenden Hub aufzubauen. Wenn wir uns vor Augen führen, wie die Bitcoins verteilt sind – etwa 4 Prozent der Bitcoin-Adressen halten 96 Prozent aller Bitcoins –, wird schon jetzt die erschreckende Zentralisierung der Bitcoin-Menge auf einige wenige Superreiche deutlich. Wer diese Superreichen sind, ist Spekulation – aber sie würden über die Liquidität verfügen, schnell große Hubs einzurichten.

Sicherlich kann durch dieses System das Skalierungsproblem umgangen werden – mit dem Grundgedanken des Bitcoin hat das allerdings nur noch wenig zu tun. Dieser ist ja ursprünglich angetreten, um ein dezentrales, unregulierbares Peer-to-Peer-Netzwerk zu bilden, in dem keine Mittelsmänner wie Banken benötigt werden. Die Hubs können jedoch zu einer Zentralisierung des Systems führen. Kritiker behaupten, sie würden Tür und Tor für eine staatliche Regulierung öffnen, da sie (zumindest in den USA) aufgrund ihres Aufbaus unter die Zuständigkeit der amerikanischen Steuerbehörde IRS fallen würden. Dies würde beispielsweise steuerliche Verpflichtungen nach sich ziehen und die Auflage, Kundendaten zu verifizieren und weiterzugeben.

Vor unseren Augen entpuppt sich also im Extremfall ein von großen, reichen Hubs als zentralen Verteilstellen abhängiges und hochgradig reguliertes System, das nicht mehr mit Bitcoins, sondern mit Bitcoin-Schuldscheinen handelt.

Wenn immer weniger Menschen ihre Bitcoin-Schuldscheine in „reale“ Bitcoins umtauschen – wird es dann auch möglich sein, die Bitcoin-Deckung nach und nach aufzuweichen? Kann man sie letztlich sogar komplett verschwinden lassen, genauso wie es mit der Golddeckung unseres jetzigen Geldes geschehen ist? In der Konsequenz hätten wir dann im Kern fast dasselbe Geldsystem wie heute – nur ohne Bargeld.

Alle Vermutungen bezüglich der Zukunft des Lightning Networks sind bis zu diesem Zeitpunkt natürlich Spekulation, und um es bis ins Detail zu verstehen, braucht man tiefer gehende Programmierkenntnisse. In jedem Fall bietet es aber viel Stoff für Fragen. Doch an wen sollen wir diese richten? Vielleicht sollten wir uns dazu ansehen, wer eigentlich hinter dem Lightning Network steckt.

Die Firma Blockstream wurde im Jahr 2014 gegründet und ist für die Entwicklung des Lightning Networks verantwortlich. Sie beschäftigt mittlerweile einen großen Teil der ehemals unabhängig arbeitenden Bitcoin-Core-Developer. Zu ihren großen Investoren gehört (über den Risikokapitalfonds Axa Strategic Ventures) das Unternehmen Axa, das Blockstream 2016 mit 55 Millionen US-Dollar unter die Arme gegriffen hat. Der CEO dieses großzügigen Sponsors war damals ein gewisser Henri de Castries. Dieser interessante Mann hat noch einen anderen, mindestens ebenso interessanten Posten: Er ist Vorsitzender der Bilderberger-Treffen.

All dies muss nicht zwingend bedeuten, dass das Lightning Network ein trojanisches Pferd der Finanzlobby ist. Doch die Geschichte hat uns gelehrt: Wo das große Geld ins Spiel kommt, gilt es immer, doppelt vorsichtig zu sein und ganz genau hinzuschauen. Wenn also das Lightning Network nach und nach implementiert wird, die gesamte Community „Hurra“ schreit, der Bitcoin „endlich“ massentauglich wird und sein Preis die nächsten ungeahnten Höhen erklimmt, sollten wir dringend überprüfen, unter welchen Voraussetzungen dies geschieht.

Bitcoin ist und bleibt ein spannendes Projekt. Doch die Mischung aus technischen Problemen, dem möglichen Einfluss von Finanzeliten und zugleich der Neugierde, was die Kryptowelt noch zu bieten hat, hat mich dazu gebracht, einen Blick über den Tellerrand zu wagen und mir die Alternativen zum Bitcoin genauer anzuschauen. Ich traf auf eine unglaubliche Fülle an Konzepten und Ideen. Die Welt der sogenannten Altcoins ist eine große Spielwiese für jemanden, der auf der Suche nach dem perfekten Geld ist. Dorthin möchte ich Sie in der nächsten Ausgabe mitnehmen.

Bei über 1.500 offiziell handelbaren Kryptowährungen ist es zwar so gut wie unmöglich, den Überblick zu behalten, aber dennoch gibt es einige Coins, die einem im Kryptokosmos immer wieder begegnen und von denen wir uns einige gemeinsam ansehen werden.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eine neue Unterrubrik vorstellen, mit der ich Ihnen möglicherweise das ein oder andere Schmunzeln entlocken kann: die Fun Facts. In diesem nun regelmäßig in meiner Kolumne auftauchenden Kästchen berichte ich Ihnen von lustigen, skurrilen oder aufschlussreichen Fakten aus der Krypto-Szene.

In diesem Sinne – guten Appetit!

Ihr Kryptokosmonaut

Max

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