Ich saß in einem bequemen Sessel im Wintergarten eines wunderschönen alten Hotels mit Blick auf das Meer an der Westküste Irlands. Einen Tag zuvor war ich in Keel auf der Insel Achill Island angekommen, um nach zwei Monaten Arbeit in Europa einen wohlverdienten Kurzurlaub anzutreten. In Vorfreude auf Spaziergänge und Meditation in der Natur hatte ich mich gerade für ein ausgiebiges irisches Frühstück bereit gemacht, als ich eine vertraute Stimme hörte.
„Tanis, ich möchte, dass du sofort meine Lebensgeschichte aufschreibst.“
Dazu sollte ich vielleicht ein paar Hintergrundinformationen geben. Vor über 30 Jahren hatte ich in ebendiesem Dorf gelebt, in einem Cottage, das von einer Leprechaunfamilie heimgesucht wurde. Damals bat mich das männliche Familienoberhaupt, Himself, ein Buch über meine Erfahrungen zu schreiben. Das tat ich, und es entstand „Summer with the Leprechauns“. Das Buch hat viele Leser begeistert, und seither haben wir vier weitere Bücher zusammen geschrieben, während Lloyd (so nennt Himself sich im Umgang mit uns Menschen) regelmäßig auf eine Tasse Tee und eine Schale Porridge bei mir vorbeischaute. Jetzt stand er wieder vor mir, so übermütig wie eh und je, und bat mich, während meines Urlaubs seine Lebensgeschichte zu verschriftlichen.
Lloyd ist etwa 1,20 Meter groß, ein wenig untersetzt und mit einer beachtlichen Plauze gesegnet. Gekleidet ist er im Stil der traditionellen irischen Koboldmode mit einer eng anliegenden, kurzen grünen Jacke, einer braunen, auf Kniehöhe abgeschnittenen Wollhose und groben Stricksocken. Unten wird seine Kluft durch pantoffelähnliche Schuhe komplettiert, deren Länge darauf hindeutet, dass seine Füße größer sind als die eines Menschen. Oben rundet der obligatorische Zylinder das Ensemble ab.
Ob andere Menschen ihn sehen können? Nein, es sei denn, sie haben das Zweite Gesicht, so wie ich. Damit meine ich die Gabe, Wesen aus anderen Welten zu sehen.
„Und was ist mit meinem Urlaub?“, fragte ich, nicht besonders erpicht darauf, meine freie Zeit zu opfern, wie Sie sich sicher denken können.
„Das ist gar kein Problem. Du kannst drei Stunden pro Tag schreiben und den Rest der Zeit Urlaub machen.“ (An dieser Stelle sei gesagt, dass Lloyd nur über ein sehr schwammiges Zeitverständnis verfügt.)
„Ich habe noch eine ganze Reihe anderer Bücher, die darauf warten, von mir geschrieben zu werden“, gab ich zurück. „Da muss sich nicht noch ein weiteres hinten anstellen. Wieso kommst du eigentlich erst jetzt mit der Idee an?“
„Welchen Sinn hätte es, über etwas zu sprechen, dessen Zeit noch nicht gekommen ist, hm?“, konterte Lloyd. „Ihr Menschen. Immer lebt ihr in der Zukunft anstatt in der Gegenwart. Wie auch immer. Es wird ganz einfach“, fügte er hinzu und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf.
„Wie einfach?“ Dieses Versprechen hatte ich in der Vergangenheit nur allzu oft gehört und dabei feststellen müssen, wie sehr unsere Vorstellungen davon, was „einfach“ war, auseinandergingen. „Na ja, egal“, sagte ich. „Ich habe hier noch nicht einmal einen Computer.“
„Kein Problem. Darum kümmere ich mich“, versprach Lloyd und verschwand im Handumdrehen.
Während des Frühstücks ließ ich mir den Wunsch meines Freundes durch den Kopf gehen. Zusammen hatten wir es weit gebracht, und mir wurde klar, dass ich nie gewusst hatte, worauf ich mich einließ, wenn er mich bat, ein Buch zu schreiben. Stattdessen hatte ich gelernt, darauf zu vertrauen, dass sich unsere Projekte von selbst entwickelten. Wenn auch mit einem Gefühl der Beklemmung wusste ich mittlerweile die ausgedehnte Leere des Unwissens zu schätzen, mit der alles beginnt, was aus dem Äther geboren wird. Und deshalb war ich mir eigentlich schon völlig sicher, mich auf Lloyds Vorhaben einzulassen, als ich mir den letzten Bissen Sodabrot in den Mund schob.
Ich beschloss, das letzte bisschen kostbarer Zeit, das mir von meinem zusammenschrumpelnden Urlaub noch übrig blieb, dafür zu nutzen, an diesem wunderschönen Junitag über die Crumpaun Lane zum Cottage der Leprechauns zu wandern, in dem ich vor so vielen Jahren gelebt hatte. In der Zwischenzeit war das Haus an eine Familie aus Dublin verkauft worden, die sich nur selten blicken ließ – was der Koboldfamilie äußerst gelegen kam. Die Besitzer waren nicht da, und in der festen Überzeugung, dass sie nichts dagegen einzuwenden hatten, trat ich durch das Tor in den mit Wildblumen übersäten Garten meines früheren Zuhauses, als ich plötzlich eine Stimme aus dem Äther hörte – Sie ahnen es schon: „Ich arbeite noch an dem Computerproblem.“
Kommentar schreiben