Ansteckende Impfstoffe und Shedding – eine Einordnung

Shedding Impfstoff Teaser 100pxForscherteams aus verschiedenen Teilen der Welt arbeiten an der Entwicklung übertragbarer, quasi ansteckender Impfstoffe. Bisher wurde das Verfahren offiziell nur in einem einzigen Tierversuch erfolgreich getestet: Spanischen Wissenschaftlern gelang es im Jahr 1999, gut die Hälfte einer Wildkaninchenpopulation gegen Myxomatose zu immunisieren, indem sie einen Teil der Tiere mit einem übertragbaren Vakzin impften. Einen Monat später wiesen 56 Prozent der ungeimpften Tiere entsprechende Antikörper auf.

Der Versuch fand vor mehr als 20 Jahren statt und das Thema genoss seither wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Ende 2017 erschien ein Meinungsartikel mit dem Titel „Übertragbare Virusimpfstoffe“ im Fachmagazin Trends In Microbiology, dessen Autoren mahnten, sich bewusster mit ansteckenden Vakzinen auseinanderzusetzen:

„Die Übertragung von Impfstoffen ist einfacher als gemeinhin gedacht. Die Frage ist nur: Wissen wir, wie wir damit umgehen sollen?“

Sie beziehen sich damit allerdings explizit auf Lebendimpfstoffe – diese seien „prinzipiell in der Lage, auf neue Wirte übertragen zu werden, wenn auch vielleicht in weitaus geringerem Maße als Viren, die Krankheiten verursachen können“. Das Phänomen sei bei menschlichen Wirten jedoch erst selten beobachtet worden:

„Der einzige derzeit existierende abgeschwächte Humanimpfstoff, von dem bekannt ist, dass er häufig übertragen wird, ist der orale Polioimpfstoff, obwohl es vereinzelte Berichte über die Übertragung durch andere abgeschwächte Impfstoffe gibt.“

Rekombinante, also genetisch veränderte Vektorimpfstoffe mit abgeschwächten Lebendviren böten „das größte und meistunterschätzte Potenzial für eine Übertragung“, allerdings würden „die epidemiologischen Folgen einer Impfstoffübertragung je nach Impfstoffdesign variieren“ und seien oft fallspezifisch.

Die Virenübertragung von Geimpften auf Ungeimpfte wird landläufig als Shedding bezeichnet und gelangte im Zuge der oben erwähnten Polio-Impfungen erstmals ins öffentliche Bewusstsein. In der Virologie meint Shedding allgemein die Freisetzung eines erfolgreich replizierten Virus aus der Wirtszelle. Obschon das Phänomen ein medizinischer Fakt ist, haben sich über die Jahre diverse Mythen um das Impfstoff-Shedding gebildet, die im Zuge der Coronapandemie erneut aufgeflammt sind. Während Experten wie Wolfgang Wodarg das Shedding im Falle der Covid-Vakzine für plausibel halten, widersprechen andere kritische Virologen wie Dr. Sucharit Bhakdi der oft gehörten Behauptung, gegen Corona Geimpfte könnten Ungeimpfte anstecken – mit Verweis auf die Abwesenheit von Lebendviren. Immer wieder stößt man im Zusammenhang mit dem Shedding auch auf die Aussage, das Spike-Protein, insbesondere aus mRNA-Vakzinen, könne vom Wirt übertragen werden und potenzielle Gesundheitsschäden hervorrufen. Die Annahme geht vermutlich auf eine Reihe von Tweets des Virologen und mRNA-Experten Luigi Warren zurück, in denen er verschiedene Hypothesen zur potenziellen Übertragung von Geimpften zu Ungeimpften diskutierte. In einem späteren Tweet relativierte er seine Aussagen jedoch:

„Es stimmt sicherlich, dass Menschen, die mit mRNA-Impfstoffen geimpft wurden, das Spike-Protein ausscheiden, aber in winzigen Mengen, die beinahe mit Sicherheit keine Krankheit oder Unbehagen auslösen können.“

Die Mehrheit der Experten verbannt das Shedding infolge einer Tot- oder mRNA-Impfung bekanntermaßen gänzlich ins Reich der Fantasie.

Alles in bester Ordnung also? Nun ja. Zum einen besteht bei konventionellen Lebendimpfstoffen grundsätzlich durchaus ein Ansteckungsrisiko, das für immunschwache Menschen in manchen Fällen schon heute zur Gefahr werden kann. Und zum anderen: Auch wenn sich derzeit eine Mehrheit der Wissenschaftler im öffentlichen Diskurs aus Gründen der Ethik und Unkontrollierbarkeit – auch hinsichtlich etwaiger Mutationen – gegen den Einsatz ansteckender Impfstoffe ausspricht, heißt das noch lange nicht, dass es sie nie geben wird. Ihre gezielte Weiterentwicklung unter Zuhilfenahme moderner Gentechnik könnte die Effizienz und Handhabung in Zukunft erheblich verbessern.

Die Forschung an Tieren ist seit dem populären Wildkaninchenversuch von 1999 jedenfalls nicht eingeschlafen, und die gesammelten Erfahrungen scheinen kurz davor zu stehen, neue Früchte zu tragen. In einem Artikel von National Geographic heißt es:

„Gerade entwickeln Forscher selbstverbreitende Impfstoffe für Ebola, Rindertuberkulose und Lassa-Fieber, eine durch Ratten übertragene Viruserkrankung, die in Teilen Westafrikas jährlich bis zu 300.000 Infektionen verursacht. Der Ansatz könnte auf andere Zoonosekrankheiten wie Tollwut, das West-Nil-Virus, Borreliose und die Pest ausgeweitet werden.“

Das Hauptargument der Befürworter des Einsatzes in der Tierwelt: Selbstverbreitende Impfstoffe könnten „die Ausbreitung von Infektionskrankheiten unter Tieren unterbrechen, bevor es zu einem zoonotischen Übergreifen kommen kann – und so möglicherweise die nächste Pandemie verhindern“.

Rechtliche Hürden bei der Anwendung am Menschen dürfte es kaum geben, denn die Verwendung von potenziell ansteckenden Lebendviren oder ähnlichen Organismen in Impfstoffen ist in § 21 des bundesdeutschen Infektionsschutzgesetzes ausdrücklich erlaubt. Es „dürfen Impfstoffe verwendet werden, die Mikroorganismen enthalten, welche von den Geimpften ausgeschieden und von anderen Personen aufgenommen werden können. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit […] wird insoweit eingeschränkt.“

Entgegen manchen Spekulationen ist die Passage nicht neu und steht schon seit Inkrafttreten des IfSG im Januar 2001 im Gesetzestext.

Quellen: IFLScience.com, 24.03.2022, https://bit.ly/3rpVNci; NationalGeographic.com, 18.03.2022, https://on.natgeo.com/3uISb7G; BR.de, 16.07.2021, https://bit.ly/3l5cAy8; Correctiv.org, 08.06.2021, https://bit.ly/3L7LPng; Cell.com, 01.01.2018, https://bit.ly/3N90iRg

Anmerkung der Redaktion

Eine Debatte zum Thema ist sicher angebracht - falls Sie weiterführende Informationen und Erkenntnisse haben, führen Sie dies doch in den Kommentaren aus. Bitte keine Links ohne nähere Erklärung posten.

Kommentare

14. März 2023, 00:30 Uhr, permalink

Herr Vril

Solch ein Impfstoff würde den Profit für die Hersteller doch recht schmälern.Ohne Zoonosen und Pandemien würde eine enorme Einnahmequelle wegfallen.Also ist es unwahrscheinlich, dass solche Impfstoffe im großen Stil eingesetzt werden,denk ich.
Ob das Übertragen in freier Wildbahn auch tatsächlich funktioniert? Auch hätten Jäger keinen Grund mehr,präventiv Kaninchen zu ermorden,um sie vor der "Kranlheit" zu beschützen.(LOL)

Es ist doch so,wenn der gesetzliche Rahmen es zulässt,dass Impfstoffe übertragen werden können,dann wird das auch passieren,bzw.ist es schon längst passiert.(allein durch Nadel können Stoffe in die Umgebung gelangen)
Ein selbst erlebtes Beispiel dazu.
Meine Tante kam mich 1Woche nach ihrer Jo&Jo Impfung besuchen. Es war sehr Warm.Sie trug eine Bluse mit kurzen Ärmeln.wir saßen draußen und sie fasste sich 1,2,3 mal an ihre Impfstelle.Meine Katze kam auch zu uns.Sie lägte sich vor uns auf den Rasen.Tante wollte ihr Hallo sagen und sie streicheln.Sie streckte ihre Impstellen-Hand der Katze entgegen,die in dem Moment den Kopf drehte, wobei Tantes Impf-Finger den Teil zw.Auge und Wange berührten.Meiner Katze war es unangenehm,denn sie kniff die Augen zusammen und wich zurück.
Am nächsten Tag bemerkte ich eine leichte Schwellung an der Stelle und am Tag darauf schwoll auch das Auge an und es entwickelte sich eine ordentliche Eiterbeule die aber gut durchs Auge abfließen konnte.
Gibt es einen Zusammenhang? Keine Ahnung - aber Eiter leitet Giftstoffe aus,bzw. kapselt unerwünschte Eindringlinge ein.

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