Viele Merkel-Gegner und auch die Autoren dieses Buches werfen der Kanzlerin ihre Vergangenheit als FDJ-Sekretärin vor, um ihre umstrittenen Entscheidungen zu erklären und sie gar als verkappte Kommunistin darzustellen. Doch die 1954 in Hamburg geborene Pfarrerstochter, die trotz der freiwilligen Übersiedlung ihres Vaters in die DDR statt der sozialistischen Jugendweihe die Konfirmation vorzog, dürfte stärker von einem politisch-progressiven Christentum geprägt sein, als viele Konservative meinen. Nicht ohne Grund leitete Merkel von 1992 bis 1993 den Arbeitskreis der evangelischen Christen (EAK) innerhalb der Unionsparteien.
Merkwürdig ist aber schon, wie eine politisch unbedarfte Physikerin in der Wendezeit so schnell in der CDU unter Helmut Kohl aufsteigen und bereits am 18. Januar 1991 als Bundesministerin für Frauen und Jugend vereidigt werden konnte. Die Frage nach den Strippenziehern hinter Merkel drängt sich damit förmlich auf. Wurde die unscheinbar wirkende Frau zunächst von Helmut Kohl protegiert, sägte Merkel nach der Spendenaffäre den Übervater der Union zur Jahrtausendwende ab und stellte sich an die Parteispitze. Disziplin, äußere Anpassungsbereitschaft und öffentliches Auftreten ohne Starallüren sicherten Merkels Erfolg als Kanzlerin ab 2005 ebenso wie ihr feines Gespür für den Zeitgeist und ihr machiavellistisches Machtverständnis. Dies wurde insbesondere im Frühjahr 2011 deutlich, als Merkel entgegen ihrer bisherigen Positionierung den Reaktorunfall im fernen Fukushima für einen sofortigen Atomausstieg und damit für die teure Energiewende ausnutzte. Erklärte Angela Merkel noch im Oktober 2010 das Konzept der multikulturellen Gesellschaft als „absolut gescheitert“, öffnete die Christdemokratin nur fünf Jahre später aus „humanitären Gründen“ die Landesgrenzen gegen geltendes Gesetz und gesunden Menschenverstand. Merkel agierte in der Finanz- und späteren Eurokrise auf Kosten der deutschen Steuerzahler als zuverlässige Stütze der Bankenoligarchie – und eben nicht als „Edel-Sozialistin“.
Die Coronakrise kam Merkel 2020 äußerst zupass, da durch die medial heraufbeschworene Seuchengefahr die Kritik an ihrer Person verstummte; darüber hinaus ermöglichte das Coronaregime die Aushebelung von Grundrechten und parlamentarischen Befugnissen. Wieder orientierte sich die Regierung Merkel an Vorgaben internationaler Organisationen und delegierte sogar die Bestellung von Impfstoffen an die Europäische Union.
Pünktlich zum Auslaufen ihrer Regierungszeit erscheint im Kopp Verlag eine gepfefferte Abrechnung mit der Ära Merkel. Die verschiedenen Autoren hinter dem Pseudonym Dr. C. E. Nyder beziehen klare Stellung und nehmen die verschiedenen Schlüsselentscheidungen der Kanzlerin auseinander. Leider bleiben viele Kapitel an der Oberfläche hängen und leuchten die Hintergründe nicht detailliert genug aus.
Völlig falsch ist es meiner Ansicht nach, Merkel für alle Probleme der letzten 16 Jahre verantwortlich zu machen, denn die langjährige Regierungschefin ist nur das austauschbare Gesicht eines politischen Systems, das sich alle vier Jahre durch Millionen Wähler legitimieren lässt. Stilistisch ragt der Essay von Thor Kunkel heraus, der die Leser einführt in das Forschungsgebiet der Ponerologie – das Studium des Bösen – und in die fünf Phasen der Karrieredynamik politischer Psychopathen nach dem Psychologen Dr. A. M. Lobaczewski.
Insgesamt ist die Aufsatzsammlung eher als rabulistisch und meinungsverstärkend einzustufen – ich hätte mir als Merkel-Kritiker mehr Sachlichkeit gewünscht.
Dr. C. E. Nyder
Kopp Verlag
288 Seiten
ISBN: 978-3-864458-35-4
€ 19,99
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