NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/twilight-zone-existiert-eine-zweite-sphinx-auf-dem-gizeh-plateau
Auf dem unten abgebildeten Kupferstich von Vivant Denon ist deutlich zu erkennen, dass zur Zeit von Napoleons Besuch in den Jahren 1798/99 nur Kopf und Schultern der Großen Sphinx von Gizeh aus dem Sand ragten. Der erste Versuch, die Sphinx freizulegen, hatte bereits im Jahr 1400 v. Chr. stattgefunden: Damals schlief der junge Thutmosis IV eines Tages neben dem riesigen Kopf ein und träumte, er würde Pharao werden, wenn es ihm nur gelänge, die Sphinx auszugraben.
Selbst unter großen Mühen schaffte er es aber nur, die beiden Vorderpfoten freizulegen. Zur Erinnerung an die aufwendigen Arbeiten errichtete Thutmosis IV. eine Granitstele zwischen den Pfoten der Sphinx, die heute als Traumstele bekannt ist.
In der ersten Ausgrabung der Moderne wurde dann im Jahr 1817 unter Leitung von Kapitän Giovanni Battista Caviglia der Brustkorb der Sphinx vom Sand befreit.
Die klassische Ägyptologie schätzt das Alter der Monumente in Gizeh auf etwa 4.000 Jahre. Dennoch weisen etliche Gelehrte immer wieder auf konkrete Belege dafür hin, dass die Sphinx zumindest 10.000 Jahre alt sein dürfte. Die Meinungen über ihr Alter gehen also weit auseinander; ich für meinen Teil glaube eher, dass sie deutlich älter ist als die Pyramiden.
Anders als die Pyramiden, die aus unzähligen einzelnen Gesteinsblöcken zusammengesetzt sind, wurde die Sphinx in einem Stück aus dem vorhandenen, darunterliegenden natürlichen Fels gehauen. Betrachtet man dazu ihre Position, stellt sich die Frage: Wieso ist sie merkwürdigerweise anders ausgerichtet als die anderen Bauwerke, die ja angeblich mit ihr in Verbindung stehen sollen und nach unglaublich präzisen mathematischen Berechnungen auf dem Gizeh-Plateau errichtet wurden?
Im Dezember 2003 lernte ich drei wichtige Menschen kennen: den Generaldirektor der Pyramiden von Gizeh Dr. Hawass, Adel Hussein Mohamed und den damaligen Oberaufseher des Pyramidenplateaus Dr. Mansour Boraik.
Während meines Besuchs in Kairo im März 2005 gestattete mir Adel, die Chephren-Pyramide nach den offiziellen Öffnungszeiten gemeinsam mit einem Führer zu betreten. Als ich die Pyramide wieder verließ, sah ich zufällig in Richtung der Sphinx, die etwas tiefer liegt als die Chephren-Pyramide. Da fiel mir zum ersten Mal auf, dass die Sphinx leicht versetzt ist und nicht in einer Linie zur Pyramidenspitze steht.
„Blick auf die Sphinx nahe Kairo“ von Vivant Denon, gezeichnet 1798, veröffentlicht etwa 1802/03. (Quelle: www.freemaninstitute.com/sphinx.htm)
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung musste ich mich fragen, ob es nicht mehr als eine Sphinx gibt. Da die Sphinx anders als die Pyramide ausgerichtet ist und nach Osten blickt, war sie vielleicht ursprünglich als Wächter gedacht. Und wenn sie das war – wäre es möglich, dass es zwei davon gibt? Die Löwen aus dem chinesischen Kaiserreich etwa, die die Tempel bewachen (auch „Fo-Hunde“ genannt), sind auch stets paarweise aufgestellt. Und selbst Sphingen-Paare gibt es an anderen Orten in Ägypten, wo sie Prachtstraßen oder Eingänge zu bedeutenden Gebäuden flankieren.
Nördlich der Sphinx bemerkte ich einen großen Erdwall – ein perfekter Ort, an dem meine mutmaßliche zweite Sphinx vergraben liegen könnte. Meine späteren oberflächlichen Untersuchungen des harten Bodens dort ergaben, dass es sich dabei um verdichteten Sand handelt, der seit langer Zeit, möglicherweise seit Jahrhunderten, unberührt geblieben ist.
Da die Sphinx erst in den 1930er Jahren wieder ausgegraben wurde, kann es sich bei dem Erdwall nicht um die Abraumhalde der Ausgrabung handeln. Wo sich der ganze Schutt und Sand von damals befindet, scheint allerdings niemand mehr zu wissen.
Durch Zufall fand ich den alten Abzug eines Fotos der Keystone Company aus dem Jahr 1934, das von der Spitze der Großen Pyramide aus aufgenommen war. Es zeigt eindeutig denselben Hügel, der auf dem Bild in seiner Ausdehnung etwa genauso lang und breit ist wie die Sphinxgrube. Von oben gesehen war er sogar etwas höher als der Scheitel der Sphinx!
Wenn meine Theorie stimmt, dann ist dieser Hügel nicht nur ein Sandberg, sondern bedeckt die Stelle, an der eine zweite Sphinx begraben sein könnte.
Während meines Besuchs bei Adel ein Jahr später beschrieb ich ihm, was ich beobachtet hatte und fragte, ob der Sandhügel jemals erforscht worden sei. Er sah sich meine Illustrationen näher an und meinte, seines Wissens sei bisher noch niemand auf die Idee gekommen, dass dort draußen noch weitere große Monumente verborgen sein könnten. Daraufhin fragte ich, ob ich dies mit Dr. Hawass besprechen könnte, doch der hielt sich damals leider nicht in Kairo auf.
Als Nächstes wollte ich den ungefähren Abstand vom Scheitel der Sphinx zur östlichen Grundlinie der Chephren-Pyramide ermitteln. Die einfachste Methode zur Messung bot sich mit dem Kilometerzähler eines Autos. Adel stellte mir dafür seinen Lastwagen zur Verfügung, und ich stand hinten auf der Ladefläche, während der Fahrer die Straße von der Pyramide bis zur Sphinx hinunterfuhr. Ich gab dem Fahrer die Anweisung, das Fahrzeug so auszurichten, dass es exakt in Richtung der Chephren-Pyramide zeigte, und dann langsam loszufahren. In dem Moment, als wir uns genau auf Höhe des Sphinxkopfes befanden, ließ ich den Kilometerzähler auf Null stellen. Als wir an der Ostseite der Chephren-Pyramide angekommen waren, zeigte der Kilometerzähler eine zurückgelegte Strecke von 600 Metern an.
Es wäre nicht besonders aufwendig – und würde auch mit Sicherheit kein Monument beschädigen, weil in diesem Gebiet bloß Sand ist –, dieselbe Strecke zum Erdwall abzumessen und an der Stelle, an der sich der Kopf der zweiten Sphinx befinden müsste, eine Versuchsbohrung durchzuführen. Sollte die Bohrung in entsprechender Tiefe auf etwas Hartes im Sand stoßen, wäre es den vergleichsweise geringen Aufwand wert, bis zur betreffenden Stelle zu graben. Alternativ dazu könnte man den Wall auch mittels Bodenradar scannen, eine in der modernen Archäologie inzwischen verbreitete zerstörungsfreie Standardtechnik. Noch fortschrittlicher und aussagekräftiger wäre allerdings die Untersuchung mithilfe des „Sub Terrain Prospecting“ (SteP), bei dem Satellitenbilder einer mehrschichtigen Analyse unterzogen werden.
Obwohl viele der Ansicht sind, dass die Sphinx auf dem Gizeh-Plateau männliche Gesichtszüge aufweist, herrscht die übereinstimmende Meinung, das Gesicht sei nachträglich verändert worden. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass hier einst eine zweite Sphinx gestanden hat – mit weiblichen Gesichtszügen.
Der Kairoer Geologe und Archäologe Dr. Aly Bakarat untersuchte etliche Jahre arabische Schriftstücke aus dem Mittelalter. Dabei stellte er fest, dass der berühmte muslimische Geograf Muhammad al-Idrisi (1099–1166 n. Chr.) von zwei einander gegenüberliegenden Sphingen in Gizeh sprach. Die zweite Sphinx war vermutlich weiblich und befand sich am östlichen Ufer des Nils, von wo aus sie auf die gegenwärtige, männliche Sphinx blickte. Aber wohin ist die weibliche Sphinx verschwunden? Scheinbar wurde sie im Jahr 1311 n. Chr. zerstört, als ein großes Erdbeben weite Teile von Kairo dem Erdboden gleichmachte.
Meine Nachforschungen ergaben auch, dass ein ägyptischer Amateurägyptologe namens Bassam El Shammaa glaubt, es gebe eine zweite Sphinx auf der Gizeh-Ebene. Seine Überzeugung beruht auf der ägyptischen Tradition, immer zwei Sphingen paarweise als Wächter für Tempel aufzustellen – was sich mit meiner Theorie deckt. Auch dieser Forscher hatte übrigens Probleme damit, Dr. Hawass von seiner Hypothese zu überzeugen.
Den vollständigen Artikel finden Sie in Ausgabe 62.