NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/strom-aus-einem-wassertropfen
Die Umgebungswärme des Meerwassers und der Luft könnte unseren ganzen Planeten problemlos mit Energie versorgen – wenn wir sie zu nutzen verstehen. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits gelungen.
ooft Sie ein weißes LED-Licht in einer Deckenleuchte sehen, nehmen Sie ein Phänomen wahr, das die Welt abkühlen, die globale Erwärmung stoppen und der Menschheit grenzenlose Energie liefern könnte. Im vorliegenden Artikel betrachten wir die Physik hinter dieser unglaublichen Behauptung. Aber ich warne Sie: Es ist wahr – und es wird alles verändern.
Natürlich sind weiße LEDs an sich keine Stromquelle; es geht vielmehr um das, was sie weiß macht. Normale weiße LED-Lichter sind schließlich in Wirklichkeit blaue LEDs – und zwar so blau, dass sie fast violett sind (mit einer Wellenlänge von 400 bis 450 Nanometer). Besagtes blaues Licht scheint auf einen „weißen“ Leuchtstoff, der dann weniger energiereiches Licht und etwas zusätzliche Wärme abgibt. Diese Verschiebung der Wellenlänge von blau nach grün, gelb und rot – wobei sich diese niedrigeren Energien alle gemeinsam zu weißem Licht vermischen – wird Stokes-Verschiebung genannt. Wenn Sie Leuchtfarben oder Farben sehen, die bei Schwarzlicht leuchten, ist ebenfalls die Stokes-Verschiebung daran schuld, die einen Teil der Energie von blauerem Licht abzieht, diese Energie als Wärme abgibt und aus dem Rest rotes Licht abstrahlt.
Zum Leidwesen der fossilen Brennstoffindustrie funktioniert die Stokes-Verschiebung auch in die umgekehrte Richtung. Die Anti-Stokes-Verschiebung absorbiert ein röteres Photon mit niedriger Energie und gibt dafür ein blaueres Photon mit höherer Energie ab. Dabei stiehlt sie die zusätzliche Energie buchstäblich aus der Umgebungsenergie, das heißt die Umgebungkühlt dabei ab. Das Leuchtstoffmaterial wird heruntergekühlt und gibt mehr Lichtenergie ab, als es aufgenommen hat.
Das wäre etwa so, als würde man mit einer Rotlicht-Taschenlampe einen Spiegel anleuchten, der blaues Licht reflektiert und dabei eiskalt wird. Und wenn wir die zusätzliche Energie in dem blauen Licht, das der Spiegel zu uns zurückwirft, genauer betrachten, dann sehen wir, dass genau diese Energiemenge von der Temperatur des Spiegels abgezogen wurde. Er wurde um genau dieselbe Energiemenge kühler, die wir soeben kostenlos in Form von Licht höherer Energie erhalten haben.
Dieses Phänomen sagte Adolf Smekal bereits 1923 vorher, doch es wurde von den führenden Köpfen seiner Zeit als unmöglich angesehen, bis es fünf Jahre später von C. V. Raman – nach dem die Raman-Spektroskopie benannt ist – verifiziert wurde. Es ist also doch möglich, Umgebungswärme in nutzbare Energie umzuwandeln.
Diese Fähigkeit, normale Raumtemperatur in kostenlose Energie umzuwandeln, wird heute in Universitätslaboratorien auf der ganzen Welt genutzt. Auf dem Bild von der Stanford University sehen wir die Doktorandin Jenny Knall neben einer Temperaturkurve des Faserlasers, den sie gerade eingeschaltet hat. Der Laser kühlt ab, wenn er aktiv ist, weil es sich um einen Anti-Stokes-Laser handelt, der Umgebungswärme aufnimmt, um im abgestrahlten Laserlicht mehr Energieleistung zu liefern.
„Es hat sich als enorm schwierig erwiesen, die richtige Siliziumdioxid-Zusammensetzung zu finden, sodass manche Fachleute schon vermuteten, dieses Ziel wäre kaum oder gar nicht zu erreichen. […] ‚Auch ich hatte insgeheim fast schon die Hoffnung aufgegeben‘, sagt Knall, eine Doktorandin im Fach Elektrotechnik. […]
Die Bestätigung kam dann spät in der Nacht. […] ,Das gibt’s doch nicht!‘, dachte ich anfangs. Ich wollte mir keine Hoffnungen machen, weil es sich ja auch um irreführende Messschwankungen des Temperatursensors hätte handeln können‘, erzählt Knall. Also wiederholte sie die Messung – sechsmal. […]
‚Dann schickte ich ein E-Mail an alle, alles in Großbuchstaben: WIR HABEN ES GESCHAFFT.‘“1
Bevor wir zumnächstenSprung nach vorne in diesem Forschungsfeld kommen, sollten wir uns noch die unglaubliche Kraft der Umgebungswärme vor Augen führen. Wir wissen, dass Wärme Bewegungsenergie ist, die in Form von Zufallsschwingungen auf atomarer Ebene auftritt. Je stärker Dinge schwingen, desto wärmer sind sie. Und an sehr kalten Tagen könnte man annehmen, dass es nirgends Wärme gibt.
Der bisher kälteste Tag wurde 1983 in der Antarktis gemessen, wo es minus 60 Grad Celsius hatte. Das sind 180 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt; das bedeutet, dass sogar am kältesten je gemessenen Ort auf der Erde noch 180 Kelvin Wärme verfügbar waren. Am heißesten Tag, gemessen im amerikanischen Death Valley, hatte es 300 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt. Was also die Bewegungsenergie angeht, aus der Wärme besteht, so liefert uns die Erde immer 180 bis 300 Kelvin dieser Energie, und zwar immer und überall.
Warum herrschen bei uns stets mindestens 180 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt? Warum gefriert die Luft nie zu flüssigem Stickstoff? Warum frieren die Meere nachts nicht komplett ein?
Mehr als 50 Prozent der von der Sonne gelieferten Energie wird im Infrarotbereich abgestrahlt und gelangt als Wärme zu uns. Sie erwärmt die Erde und verhindert, dass unser Wasser, unsere Luft und unsere Körper einfrieren. Die Wärme auf der Erde istimmerbei uns, überall, die ganze Zeit.
Ein paar kleine Rechnereien werden uns zeigen, welches RIESIGE Ausmaß diese kostenlose Energie hat. Der Großteil der Erdoberfläche besteht aus Wasser. Wasser speichert Wärme, und die Menge der Wärmeenergie, die es pro Kilogramm enthält, heißt „spezifische Wärme“. Die spezifische Wärme des Salzwassers im Meer beträgt etwa 3.850 Joule pro Kilogramm pro Kelvin. Nun schauen wir uns einmal an, welche fantastische Menge an Energie sich daraus ergibt.
Das beginnt damit, dass ein Kilogramm Wasser etwa ein Liter ist. Nehmen wir nun an, dass wir ein Grad seiner Wärmeenergie in Strom umwandeln. Dieses eine Grad kann Celsius oder Kelvin sein, das macht keinen Unterschied. Wenn wir es aber genau nehmen wollen, dann sagen wir, unser Liter Wasser hat 25 °C, und wir haben ihn in einer Sekunde auf 24 °C abgekühlt. Das ist eine Veränderung von –3.850 Joule. Da ein Watt ein Joule pro Sekunde ist und wir gerade 3.850 Joule in einer Sekunde erzeugt haben, haben wir durch die Abkühlung dieses einen Liters Wasser um ein Grad in einer Sekunde 3.850 Watt erzeugt.
Das Gesamtvolumen der Weltmeere beträgt ca. 1,33 × 1021Liter, also eine gigantische Menge. In unserer Milchstraße gibt es höchstens 4 × 1011 Sterne; das bedeutet, dass die Ozeane der Erde für jeden Stern unserer Galaxis 3.330.000.000 Liter Meerwasser enthalten.
Und bedenken Sie: Jeder dieser Liter Wasser kann uns 3,85 Kilowatt Energie liefern, wenn wir ihn um ein Grad pro Sekunde abkühlen. Wir haben es also mit einer kolossalen Energiemenge zu tun, die wir nutzen könnten – und das allein im Meerwasser unserer Erde.
Verfügbaren Daten zufolge betrug der gesamte Energieverbrauch auf der Erde im Jahr 2022 25 Terawattstunden (TWh). Nehmen wir an, wir müssten die gesamte Energiemenge von 25 TWh aus der Abkühlung der irdischen Meere beziehen, wenn wir davon ausgehen können, dass ein Liter Wasser, dessen Temperatur in einer Sekunde um ein Grad sinkt, 3,85 kW produziert.
Wir wissen, dass 1 TWh = 3,6 × 1015Joule sind, also entsprechen 25 TWh = 9 × 1016Joule. So viel Energie benötigen wir, um ein Jahr lang sämtliche elektrischen Geräte auf unserem gesamten Planeten anzutreiben.
Nehmen wir weiter an, dass wir diese Energie aus der Wärme unserer Meere beziehen, indem wir die Wärme in Energie umwandeln – mittels einer Methode, die der Anti-Stokes-Verschiebung ähnelt, aber im industriellen Maßstab. Würden unsere Meere zufrieren, wenn wir unsere Energie ausschließlich aus ihnen bezögen?
Rechnen wir nach. Die Durchschnittstemperatur der Weltmeere, einschließlich ihrer tiefsten Zonen, liegt bei etwa 3,5 °C. Da jedes Grad Celsius 3.850 Joule Energie pro Kilogramm Meerwasser entspricht und die Meere 1,37 × 1021Kilogramm Salzwasser enthalten, entspricht eine Temperaturänderung um 1 °C in den Weltmeeren 5,26 × 1024Joule Energie. Wir benötigen aber nur 25 TWh oder 9 × 1016Joule, um alles auf Erden zu betreiben, was mit Strom arbeitet. Daher entnehmen wir nur die notwendige Menge, die einer Temperatursenkung von –1,71 × 10–8Grad oder –0,000000017 °C im Laufe eines Jahres entspricht.
Man schätzt, dass sich die Weltmeere derzeit um durchschnittlich 0,0078 °C pro Jahr erwärmen. Da die Erzeugung des Stroms für das Gesamtenergiebedürfnis nur 0,000000017 °C davon abzieht, ist offensichtlich, dass die Erzeugung des gesamten irdischen Strombedarfs die Erwärmung der Meere nur um 0,00022 Prozent verlangsamen würde. Oder anders ausgedrückt: Wir müssten unseren weltweiten Jahresenergiebedarf um den Faktor 455.759 erhöhen, um die aktuelle Erwärmung der Weltmeere im Energiesektor zu verbrauchen.
Das heißt, dass die Versorgung der ganzen Erde mit der Wärmeenergie der Meere diese nicht nur nie zufrieren lassen würde, sondern wir es auch schwer hätten, die dadurch bewirkte winzige Änderung der Wassertemperatur überhaupt zu messen. Unsere mathematischen Berechnungen haben gezeigt, dass wir die gesamte Energie, die wir je benötigen könnten, in Form der überall vorhandenen und völlig kostenlosen Umgebungsenergie bereits auf der Erde haben. Selbst in der Antarktis stehen uns stets mindestens 180 Kelvin zur Verfügung.
Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie wir an diese Energie kommen.
An Phänomenen wie der Anti-Stokes-Verschiebung erkennen wir, dass es möglich ist, Umgebungswärme zu entnehmen und diese in ein energiereicheres Licht umzuwandeln. Wir dürfen sie „entnehmen“ – aber was wir wirklich wollen, ist elektrischer Strom, nicht zusätzliches Licht. Wir wollen Strom, und zwar sehr viel davon, mindestes 25 TWh im Jahr, bitte!
Im Jahr 2020 entwickelte der amerikanische Forscher Dr. Paul Thibado die erste nachgewiesene Methode, Umgebungswärmeenergie wie die, die in unseren Meeren vorhanden ist, in elektrischen Strom umzuwandeln. Ich möchte Ihnen anhand eines Vergleichs erläutern, wie Dr. Thibados nobelpreiswürdige Erfindung funktioniert.
Bei Wärme handelt es sich bekanntlich nur um die zufälligen Schwingungen von Atomen und Molekülen im kleinsten Maßstab. Luft besteht bei Zimmertemperatur aus heftig schwingenden Luftmolekülen, die miteinander und mit jeder der Luft ausgesetzten Oberfläche – auch unseren Trommelfellen – kollidieren. Da Luftmoleküle so winzig und so zahlreich sind, können wir nicht jede dieser kleinen Kollisionen mit unseren Ohren oder auch den empfindlichsten Mikrofonen hören. Die Durchschnittskraft dieser Kollisionen erzeugt jedenfalls das, was wir als Luftdruck erleben.
Wenn wir ein Mikrofon konstruieren könnten, das so winzig ist wie die Luftmoleküle, dannkönntenwir damit hören, wie jedes der Moleküle kollidiert und gegen Oberflächen stößt. Das würde so klingen wie Regen auf einem Blechdach, wobei wir jeden einzelnen Regentropfen hören können und einem ziemlichen Krach ausgesetzt sind.
Stellen wir uns nun unter dieses laute Blechdach und bauen ein Mikrofon auf einem Stativ auf, um die Geräusche aufzunehmen. Unser Mikrofon wandelt die Schallenergie in ein wenig elektrische Energie – das elektrische Audiosignal, das wir aufnehmen – um. Verwenden wir diese Energie stattdessen dazu, eine Batterie aufzuladen, dann stellen wir fest, dass wir das Auftreffen von Regentropfen auf einem Blechdach dazu genutzt haben, Strom zu erzeugen. Genau das schafft auch Dr. Thibados Erfindung. Sie arbeitet mit winzigen „Mikrofonen“ aus Graphen, die so leicht und klein sind, dass einzelne Luftmoleküle, die auf sie treffen, elektrische Signale und somit eine winzige Strommenge erzeugen.
„Bei Zimmertemperatur sind mikrometergroße Platten aus frei stehenden Graphenen in ständiger Bewegung, sogar bei angelegter Vorspannung. Wir [sammeln] den Verschiebungsstrom mit einer nahen, kleinflächigen Metallelektrode. Durch den Belastungswiderstand wird Strom abgegeben, dessen Zeitmittelwert genau der vom Wärmebad gelieferten Leistung entspricht.“
Die Studie trägt den Titel „Schwankungsinduzierter Strom durch frei stehende Graphene“ und erschien im Oktober 2020.2 So wird mit wissenschaftlichen Ausdrücken der Satz „Wir haben soeben aus Umgebungswärme Strom erzeugt“ umschrieben.
Und genau solche Dinge hat man lange Zeit für unmöglich gehalten. Wir wollen aber keine Zeit damit vergeuden, auf veraltete falsche Ansichten einzugehen, sondern befinden uns in einer neuen Ära, in der die Umwandlung von Umgebungsenergie zu Strom bereits gelungen ist.
Jetzt geht es nur noch um das technische Wettrennen, wer es als Erster schafft, diese Technologie auf immer höhere Leistungsstufen hinaufzutreiben und die entsprechenden Geräte einfach herstellbar zu machen. Sehen wir uns zum Vergleich die Geschichte des Transistors an. Er wurde im Jahr 1945 von einem Team hochgebildeter Forscher möglich gemacht. Dann dauerte es 20 Jahre, bis man Transistoren effizient in Massen produzieren konnte, und weitere zehn Jahre, um sie zu Tausenden und Millionen in alle möglichen Geräte zu integrieren. Das brachte uns die modernen Computer und das mooresche Gesetz. Die Technikgeschichte zeigt uns also, dass es einen Zeitraum nach der Entdeckung gibt, in dem eine neue Technologie klein und ineffektiv bleibt, gefolgt von der neuen Fähigkeit, sie in Massen herzustellen, bis die jeweilige Technologie dann weltweit zum Einsatz kommt.
Sie ist real – und sie wird alles verändern. Als ich diese Worte Anfang 2025 niederschreibe, erfordert jede Art der Stromerzeugung einen umständlichen Materialeinsatz. Dabei kann es sich um Kohle, Erdgas, Uran oder schweren Wasserstoff handeln, also einen Brennstoff. Es kann auch Sonnenlicht oder Wind sein, die aber im besten Fall nur zeitweise vorhanden sein werden. Auf welche Weise wir auch immer Strom erzeugen, wir müssen etwas dazu beisteuern.
Aber diesmal ist dem nicht so. Die Technologie, Strom ständig und ohne jeden Brennstoff bereitzustellen, existiert bereits. Und da sie existiert, besteht die nächste Schwelle in der neuen Fähigkeit zu ihrer Massenproduktion. Wenn das erst geschafft ist, ist ihr weltweiter Einsatz unvermeidlich. Wir werden die erste Stromquelle schaffen, die uns Energie liefert, ohne eine Gegenleistung von uns zu verlangen.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit.
Mein Name ist Graham Gunderson. Ich habe Eternalon Inc. gegründet, um genau diese Technologie hochzuskalieren und eine billige Massenproduktion zu garantieren, damit wir saubere, kostenlose Energie auf der ganzen Welt genießen können. Wir werden zeigen, wie wir die Abkühlung im großen Maßstab bewerkstelligen, aber diesmal weder mit einem Laser noch mit Graphen. Stattdessen werden wir Eisenoxid verwenden, eine Form von chemisch dotiertem Rost, die leicht herzustellen ist und überall auf der Welt im Überfluss vorkommt.
Wer wird noch fossile Brennstoffe kaufen, wenn wir unseren Strom kostenlos beziehen können? Feiern wir also die kommende Revolution und die unglaubliche Wissenschaft dahinter.
„Stanford researchers develop first self-cooling laser made with a silica fiber“, Stanford.edu, 16.03.2021, t1p.de/dqy4s
Thibado, P. M. et al.: „Fluctuation-induced current from freestanding graphene“,Phys Rev E, 02.10.2020, t1p.de/rvntb