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Smart Cities: Die nächste Masche im Überwachungsnetz des 21. Jahrhunderts

Das Jahrhundert der „Massendaten“ wird auch das Jahrhundert beispielloser Überwachung sein. Alle Tyrannen der Geschichte träumten stets von der totalen Überwachung, Kontrolle und Steuerung des Volkes. Das effizienteste Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Fähigkeit, das Verhalten ganzer Populationen vorhersehen zu können.


Jahrtausende hindurch existierte so etwas hauptsächlich im Reich der Fantasie. Durch den enormen technischen Entwicklungssprung in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich diese Idee aber von der reinen Dystopie mehr und mehr zum Tagesgeschäft totalitärer Hightechregimes.

Die meisten Leser sind mittlerweile vertraut mit den rücksichtslosen Überwachungsaktionen durch Behörden wie die amerikanische NSA und das britische GCHQ, die der hochrangige NSA-Whistleblower William Binney als vom Wesen her „totalitär“ beschrieb. Er fügte hinzu, das Ziel der NSA sei es, „Mittel und Wege vorzubereiten, um die Bevölkerung zu kontrollieren“. Doch viele Bürger sind sich vielleicht noch nicht im Klaren über die nächste Masche im Überwachungsnetz des 21. Jahrhunderts: die „intelligentere Stadt“, oder auch „Smart City“.

Während einige dieses Konzept als kostengünstige und effiziente Möglichkeit anpreisen, das Stadtleben zu managen, halten andere die daraus resultierenden Überwachungsmöglichkeiten gelinde gesagt für haarsträubend.

Smart Cities definieren sich grob als digital vernetzte Stadtgebiete, gespickt mit omnipräsenten Sensoren, Monitoren und Messgeräten, die über jeden einzelnen städtischen Aspekt Daten sammeln – angefangen beim Energieverbrauch bis hin zu Transportmustern. Diese Daten werden dann von Städteplanern analysiert und genutzt, um „Entscheidungsfindungen zu erleichtern“.

Aktuell lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten – ein Trend, der sich künftig noch verstärken wird. Das heißt, das Smart-City-Konzept wird das Leben von Milliarden Menschen weltweit betreffen. Indien steht diesbezüglich an der Spitze, da hier für die kommenden Jahre 100 Smart Cities geplant sind. Singapur soll die erste „Smart Nation“ der Welt werden. Smart Cities sind aber nicht nur für Asien geplant – zu den Städten, die im Rahmen der IBM-Initiative „Smarter Cities Challenge“ intelligenter vernetzt werden sollen, gehören auch Glasgow, Rio de Janeiro, New Orleans und Cape Town, um nur einige zu nennen.

Privatsphäre in einer Smart City

Die globalen Schritte in Richtung eines „intelligenteren Planeten“ stellen eine beunruhigende Aussicht für viele dar, die angesichts der zunehmenden Erosion der Privatsphäre in der modernen Welt nervös werden. Kann so etwas wie Privatsphäre in einer Smart City existieren, wo alle Ecken und Winkel des Stadtgebiets mit digitalen Sensoren gespickt sind, die 24 Stunden täglich Daten über jede städtische Aktivität sammeln?

Darüber hinaus handelt es sich bei vielen der Befürworter und Verfechter smarter Initiativen um multinationale Unternehmen und anrüchige Stiftungen, darunter IBM, Siemens, Cisco und die Rockefeller-Stiftung. Die Vorstellung eines von Unternehmensgiganten gesteuerten smarten Planeten wird umso beunruhigender, wenn man die Vergangenheit von Unternehmen wie IBM mit in Betracht zieht, das eine zentrale Rolle beim Holocaust spielte und eng mit Nazi-Deutschland zusammenarbeitete. Sollten wir IBM in Anbetracht seiner dunklen Geschichte wirklich die Macht in die Hände geben, weltweit zahlreiche Städte zu regulieren und zu verwalten?

In einem Artikel für AlterNet.org mit dem Titel „Die erschreckende ‚Smart‘ City der Zukunft“ warnte Allegra Kirkland:

„Die Überwachungsmöglichkeiten, die sich durch derartige Stadtprojekte mit ihren massiven Datensammlungen ergeben, sind gelinde gesagt beunruhigend. Der Städteplaner und Autor Adam Greenfield schrieb in seinem Blog Speedbird, dass dieses zentralisierte Regierungsmodell ‚auf verstörende Weise nach implementiertem Autoritarismus klingt‘. Um die Dinge noch weiter zu verkomplizieren, wird die große Mehrheit der Smart-City-Technologie von IT-Systemgiganten wie IBM und Siemens konzipiert. An Orten wie Songdo, dem geistigen Kind von Cisco Systems, sind Unternehmen dafür verantwortlich, die Grundfunktionen städtischen Lebens zu planen und aufrechtzuerhalten. […]

Ihre Verfechter […] ignorieren die Tatsache, dass die Datenmasse von Privatunternehmen verwaltet und kontrolliert wird, die nicht im gleichen Maße wie die Regierung gegenüber der Öffentlichkeit zur Rechenschaft verpflichtet sind.“

Prognostizierende Polizeiarbeit

Die Menge der in den vergangenen Jahren generierten Daten ist rasant gestiegen. So bemerkte die IBM-Geschäftsführerin Ginni Rometty in einer Rede von 2013, dass

„90 Prozent aller Daten, die der Menschheit je bekannt waren, in den vergangenen beiden Jahren gesammelt wurden“.

Da sich dieser Trend gezwungenermaßen weiter fortsetzen wird, findet derzeit ein Wettrennen bei der Entwicklung von Systemen statt, die das Verhalten ganzer Völker akkurat vorhersagen sollen. Dazu wird ein enormes Datenvolumen auf Verhaltensmuster durchleuchtet.

Die Australian Crime Commission bedient sich aktuell großer Datensysteme, um Verhaltensprofile zu analysieren und dadurch Verbrechen zu prognostizieren, bevor sie geschehen.

Das Los Angeles Police Department verfügt über eine Abteilung für Echtzeitanalyse und kritische Intervention, in der topaktuelle algorithmische Systeme und Analytik zum Einsatz kommen, um künftige Verbrechen vorherzusehen.

Bereits seit zwei Jahren arbeitet die britische Polizei in Kent mit einem Softwareprogramm namens „Predpol“, das Gesetzesverstöße auf der Basis von Datum, Ort und Straftatbestand analysiert, um die Entscheidungsfindung der Polizei bezüglich ihrer Patrouillengänge zu unterstützen.

Die ethischen und moralischen Fragen hinsichtlich der entstehenden prognostizierenden Polizeiarbeit sind offensichtlich und lassen viele eine potenzielle „Diktatur des Algorithmus“ befürchten. Werden die gewonnenen Datenmassen im Bereich der Strafverfolgung eingesetzt, so können Sie sich gewiss sein, dass sich in der Smart City der Zukunft Geheimdienste und Behörden dieser Daten bedienen werden, um das Verhalten der Stadtbevölkerung zu kontrollieren und vorherzusehen.

Kristallkugelsoftware

Im Jahr 2010 erhielten wir einen Einblick in die Absichten von CIA und Google, die ein Unternehmen namens Recorded Future gründeten –eine Organisation, die laut eigener Aussage über eine Technik verfügt, die durch das Sammeln von Internetdaten die Zukunft vorhersagen kann. Recorded Future will das gesamte Netz durchleuchten, Informationen analysieren und weltweit nach Mustern suchen. Geschäftsführer Christopher Ahlberg verriet, die Software durchsuche jede Woche „acht Milliarden Datenpunkte [aus] 600.000 Quellen“.

Da sich Kapazität und Reichweite des Internets der Dinge [engl.: „Internet of Things“, IoT] weiterhin ausdehnen und noch mehr Daten produzieren werden, wird auch die Nachfrage nach Firmen wie Recorded Future steigen, für die sich besonders Geheimdienste und Unternehmen interessieren dürften. Techopedia definiert das IoT als ein

„EDV-Konzept, das eine Zukunft beschreibt, in der alltägliche physische Objekte im Internet vernetzt werden und in der Lage sind, sich selbst gegenüber anderen Geräten zu identifizieren.“

Die Anzahl der internetfähigen Geräte ist in den vergangenen Jahren förmlich explodiert, ein Trend, den Cisco in einem Bericht von 2011 näher definierte:

„Im Jahr 2003 […] gab es 500 Millionen internetfähige Geräte. Die explosionsartige Ausbreitung von Smartphones und Tablets erhöhte die Zahl […] bis zum Jahr 2010 auf 12,5 Milliarden. Cisco IBSG prognostiziert, dass sie im Jahr 2015 […] bei 25 Milliarden und im Jahr 2020 bei 50 Milliarden liegen wird.“

Viele haben bereits Bedenken geäußert, wie es um den Datenschutz steht, wenn das Internet in alles verwickelt sein soll – vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass Regierungsbehörden und Unternehmen jahrelang ganze Schwaden privater Informationen illegal aus dem Internet gefischt haben.

So fragte Michael Snyder kürzlich in einem Artikel:

„Könnte ein Internet der Dinge einen dystopischen Albtraum erzeugen, in dem alles und jeder konstant durch die Regierung überwacht und geortet werden kann?“

Wir beschreiten in der Tat eine „schöne neue Welt“, in der Sciencefiction zur Realität wird. Aber welchen Preis wird die Bevölkerung für die Entstehung dieser Welt zahlen, und welche Rolle wird die gewählte Regierung darin spielen?

Quelle: Journal-NEO.org, 15.06.2015, http://tinyurl.com/pzrwwyn