NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/skeptischer-doktor-gegen-das-herumdoktern-an-daten
Sie können kaum eine Zeitung zur Hand nehmen oder Radio und Fernseher einschalten, ohne mit Gesundheitsratschlägen bombardiert zu werden. Gehen Sie zum Arzt, so erhalten Sie nicht nur in etwa dieselben Ratschläge, sondern man verschreibt Ihnen auch oft das eine oder andere Medikament – nicht etwa, weil Sie krank sind, sondern weil Blutdruck oder Cholesterinwert zu hoch ist.
Sind Sie eine Frau, wird man Sie dazu drängen, eine Mammografie vornehmen oder sich auf Gebärmutterhalskrebs untersuchen zu lassen. Sollten Sie in Ihrer Menopause sein oder diese hinter sich haben, wird eine Hormonersatztherapie verordnet.
Fragen Sie den Arzt nach den Gründen, so wird Ihnen vermutlich erklärt, er oder sie folge erprobten, auf wissenschaftlicher Forschung basierenden Richtlinien. Womöglich wurde auf Ihren Arzt auch Druck ausgeübt, alle Patienten zur Teilnahme zu bewegen.
Dr. Malcolm Kendrick ist ein Arzt, der gegenüber dieser Fülle von Empfehlungen skeptisch geworden ist. Ein Teil der Ratschläge ist sicherlich korrekt – die Belege dafür, dass Rauchen Ihrer Gesundheit schadet, sind überwältigend. Doch als Dr. Kendrick damit begann, nach den Belegen zu suchen, auf denen andere uns erteilte Empfehlungen fußen, fand er heraus, dass eine Menge davon nicht nur fadenscheinig sind, sondern es sie teils gar nicht gibt. Viele der in Aussicht gestellten Verbesserungen, selbst die tatsächlich eintretenden, sind so gering, dass sie der Mühe gar nicht wert sind – vor allem dann, wenn man sie mit ihren Nebenwirkungen ins Verhältnis setzt.
In Wahrheit wissen die Experten nicht so viel, wie sie Sie glauben machen wollen. Schlimmer noch, manche von ihnen haben ein persönliches Interesse daran, Sie zum Befolgen ihrer Ratschläge zu bewegen, besonders wenn es um Medikamente geht.
Dr. Kendrick hat aufgrund seiner Nachforschungen ein „Instrumentarium zur Wahrheitsfindung“ erstellt: Zehn Dinge, an die Sie sich erinnern sollten, wenn Ihnen das nächste Mal etwas über die Gesundheit erzählt wird [siehe: Kendrick, Dr. Malcolm: „Doctoring Data“ (Caldicot, UK: Columbus Publishing, 2015)].
Wenn Menschen, die mehr rotes Fleisch essen, einem höheren Herzkrankheitsrisiko unterliegen, bedeutet das, der Verzehr roten Fleisches ist schlecht für Ihr Herz? Man könnte es vermuten, da eine Studie der Harvard University1herausfand, dass Menschen, die mehr rotes Fleisch essen, ein höheres Herzkrankheitsrisiko aufweisen. Und so wurde es von den Medien dargestellt.2 Allerdings enthüllte die Studie auch, dass Menschen, die vermehrt rotes Fleisch essen, außerdem mehr Kalorien zu sich nehmen, sich weniger bewegen und eher zum Rauchen neigen.
Oftmals lesen wir von dem einen oder anderen neuen Medikament, das Leben rettet, obwohl es im besten Falle den Tod hinauszögern kann. Die wichtige Frage lautet somit: „Um wie lange?“ Dr. Kendrick verweist auf eine Presseveröffentlichung3, in der verlautbart wurde, man könne jährlich etwa 50.000 Menschenleben retten, würde man 10 Millionen Menschen mit Statinen behandeln. Er meint, dies könne man auch aussagekräftiger formulieren: Ließen sich 200 Menschen ein Jahr lang behandeln, so würde dies für 199 von ihnen keinen Unterschied machen.Ein Einziger würde noch einige weitere Monate leben.4
Dr. Malcolm Kendrick, Autor von „Doctoring Data“ (2015) und „The Great Cholesterol Con“ (2008). (Quelle: http://drmalcolmkendrick.org)
Nach einer Berichterstattung der BBC5 verdreifacht sich das Risiko, an Kehlkopfkrebs zu erkranken, wenn man regelmäßig zwei große Gläser Wein trinkt oder täglich zwei Krüge starken Biers. Das klingt alarmierend, aber nur 2,5 von 100.000 Briten sterben an Kehlkopfkrebs. Selbst wenn es sich nun hierbei um Ursache und Wirkung handelt und nicht nur um eine Assoziation (Menschen, die trinken, neigen auch eher zum Rauchen, zu weniger Bewegung und so weiter), so ist die Anzahl der Betroffenen doch sehr gering. Dreimal eine winzige Menge bleibt eine winzige Menge.
Lange Zeit glaubte man, ihre Geschlechtshormone würden Frauen vor Herzkrankheiten schützen. Dr. Kendrick gelang es nicht, irgendeine Studie ausfindig zu machen, die diese Aussage stützt. Der Ursprung scheint lediglich in den Beobachtungen zu liegen, dass (a) Männer für Herzkrankheiten anfälliger sind als Frauen und (b) Geschlechtshormone den offensichtlichsten Unterschied zwischen den Geschlechtern ausmachen. Folglich wurde vielen Frauen in der Menopause eine Hormonersatztherapie (HRT) verordnet, um den vermeintlichen Schutz aufrechtzuerhalten. In den USA könnte ein Nichtverordnen als Behandlungsfehler ausgelegt werden.6 Letztlich wurde eine großflächige, kontrollierte Studie durchgeführt, um den Effekt zu messen.7 Es stellte sich heraus, dass die Geschlechtshormone keinen Schutz bieten. Im Gegenteil war bei Frauen, die eine HRT in Anspruch nahmen, das Risiko für Herzversagen und Herzinfarkte größer.
Bluthochdruck wird mit einem größeren Risiko für Herzkrankheiten in Verbindung gebracht. Das heißt aber nicht, dass er deren Ursache ist. In Wahrheit gibt es keinen Beweis dafür, dass eine Blutdrucksenkung auch das Risiko senkt.8 Dennoch wird ein Medikament, das den Blutdruck unter einen gewissen Wert regulieren kann, als effektive Behandlungsmethode betrachtet, ohne dass man weitergehend untersucht, ob es dem Patienten in irgendeiner Form von Nutzen ist.
Als Marshall und Warren argumentierten, dass Geschwüre nicht durch Stress entstehen, sondern durch eine bakterielle Infektion, sahen sie sich Spott und Feindseligkeit ausgesetzt – bis man ihnen einen Nobelpreis verlieh. Dr. Kendrick schlägt drei Punkte vor, die man im Hinterkopf behalten sollte: Zunächst sind die meisten Experten nur in einem relativ eingeschränkten Gebiet Experten. Zweitens argumentieren sie umso wütender, je mehr sie glauben falsch zu liegen. Und drittens ist es für Experten sehr schwer, ihre Meinung zu ändern, da Ruf, Status und Einkommen auf dem Spiel stehen könnten.
Wer die Musik bezahlt, bestimmt die Melodie. Die Pharmaindustrie vollzieht oder finanziert einen stetig wachsenden Anteil der Forschung und bezahlt auf die eine oder andere Art die meisten der sogenannten Meinungsführer.
Aus einer ganzen Reihe von Gründen neigen Ärzte dazu, eher mehr Eingriffe vorzunehmen als weniger.
Viele Menschen starben, da die damaligen Experten behaupteten, Cholera könne nicht über Wasser übertragen werden und Kindbettfieber nicht über die ungewaschenen Hände des Arztes. Heute wird uns versichert, dass eine Impfung keinen Autismus verursachen kann.9
Es mag sehr wissenschaftlich klingen, wenn einem gesagt wird, man solle einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 18,5 und 25 anstreben. Das sind jedoch willkürliche Werte. Zudem gibt es Belege dafür, dass diejenigen, die mit einem BMI zwischen 25 und 30 als übergewichtig gelten, länger leben als die „Normalen“. Dasselbe trifft sogar auf diejenigen zu, deren BMI zwischen 30 und 35 liegt und die in die Kategorie „adipös“ fallen.10
Quelle: ISIS Report via i-sis.org.uk, 06.07.2015, http://tinyurl.com/oz2eqgt